Judassohn (Autor: Markus Heitz; Judas 2)
 
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Judassohn von Markus Heitz

Reihe: Judas 2

 

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Es ist im Grunde ein gewöhnlicher Tag für Sia: Eine weitere Schicht im Nachtclub neigt sich ihrem Ende zu, sie schwingt sich auf das geliebte Motorrad; macht sich auf den Nachhauseweg, der sie durch das ebenso kalte wie verschneite Leipzig führt, als …

… ihr zwei, mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit an ihr vorbeipreschende Wagen ins Auge fallen und ihre Neugier wecken. Spontan beschließt Sia, die Verfolgung der beiden Vehikel aufzunehmen, deren Ziel das Krematorium der Messestadt ist. Kaum angekommen, wird sie Zeuge eines ziemlich unausgewogenen Kampfes, der sie – entgegen aller Vorsätze – mit einbezieht und den Sia dank ihrer Kräfte letztlich auch für sich entscheiden kann. Denn Sia ist nicht irgendeine junge Frau. Sie ist eine jahrhundertealte Vampirin, deren wahrer Name Theresia Sarkowitz ist. Und sie spürt, dass etwas nicht stimmt; dass sich unheilvolle Ereignisse in Gang gesetzt haben, deren Fangarme unter Umständen auch nach jenen greifen werden, die ihr lieb und wichtig sind: der 30jährigen Elena und Töchterchen Emma, die, nichts ahnend, mit den Vorbereitungen für die anstehende Silvesterparty beschäftigt sind.

Doch wird diese niemals stattfinden. Kaum bei den beiden angekommen, findet Sia ein wahres Blutbad vor; dominiert von einer Unbekannten, die es auf die Blutsaugerin abgesehen hat …

Rückblende: Frankreich, 18. Jahrhundert. Der Hauch der Revolution weht über das Land. Den Schilfbauern Tanguy interessiert dies wenig. Die bevorstehende Vermählung mit der liebreizenden Gwenn ist für ihn bedeutsamer – wäre nicht das Schicksal, dessen grausame Vorsehung etwas gänzlich anderes für Tanguy vorgesehen hat …

Ebenso radikal wird das Leben der Sennerin Sandrine durcheinander gewirbelt, als sie Anjanka kennen- und letztlich auch lieben lernt. Die bedingungslose Liebe zur der anderen Frau geht schlussendlich sogar so weit, dass sich Sandrine schließlich zu dem verwandeln lässt, was Anjanka ist. Gemeinsam, aber stets darum bemüht, keine Aufmerksamkeit zu erregen, gehen die beiden Liebenden fortan gemeinsam auf die nächtliche Jagd, um ihren Blutdurst stillen zu können. Doch dann geraten sie an ein Rudel Werwölfe und sehen sich gezwungen, die Flucht nach vorne anzutreten – direkt in die Höhle des Löwen, dem krisengeschüttelten Paris.

In den Straßen ebendieser Metropole treibt aber auch ein anderer Vampir sein Unwesen: Dominic de Marat. Anders als Sandrine und Anjanka beschränken sich seine Tätigkeiten jedoch nicht darauf, für konstanten Blutnachschub zu sorgen. Gemeinsam mit einer Gruppe Normalsterblicher hat er es auf die Reichen und Dekadenten abgesehen; eine Fraktion, die ihm zutiefst zuwider ist und welche er folglich mit Vergnügen ausnutzt und beraubt. Alles läuft bestens, bis er des nächstens denselben Häschern über den Weg läuft, die auch schon Sandrine und Anjanka aus ihrer bretagnischen Heimat vertrieben haben. Doch aus welchem Grund haben es die Lykanthropen auf ihn abgesehen? Eine ansatzweise Antwort bekommt Dominic schließlich im entfernten baltischen Reich, wohin es auch Sandrine und Anjanka verschlagen hat. Doch damit ist die Odyssee der drei Untoten noch nicht beendet – erst drei Jahrhunderte später gelangt das Trio an ihr Ziel: Leipzig …

 

Judassohn, die Fortsetzung von Markus Heitz’ Bestseller Kinder des Judas aus dem Jahre 2007 beginnt atemberaubend. Ein furioser Einstieg, bei dem die Seiten geradezu vorbeifliegen – und welcher deutlich macht, warum der gebürtige Homburger so beliebt ist. Die Verfolgungsjagd samt angeschlossenem Kampf sorgt für den berühmten „Film im Kopf“, ist aber gleichzeitig anspruchsvoll verfasst worden. Und wie jene, in dem dicken Schmöker dominanten Blutsauger, möchte man mehr, mehr, mehr …

… und findet sich unversehens in der weit zurückliegenden Vergangenheit wieder. Häh? Das mag für den Leser zunächst enttäuschend sein, entpuppt sich aber als ebenso geschickter wie spannender Kunstgriff des Autors. Geschickt, weil Heitz ebendort anfängt, die Fäden zu spinnen und auszulegen, welche im furiosen Finale gekonnt ineinander greifen; spannend, weil der Autor uns die Schicksale mehrerer hervorragend ausgearbeiteter Charaktere näher bringt, die anfangs noch als Randnotizen betrachtet werden, denen aber letztlich wesentlich bedeutsamere Rollen zugesprochen sind. Das mag sich kompliziert, verworren, ja sogar frustrierend anhören, ist es aber nur bedingt. Neueinsteiger in den Heitz’schen Mikrokosmos müssen sich zwar das eine oder andere Fragment schlichtweg dazu denken, bekommen aber unterm Strich dennoch genügend Freiraum gewährt, um die fast 700 Seiten genießen zu können. Wer jedoch mit Heitz’ anderen düster-phantastischen Werken vertraut ist – insbesondere mit Ritus, Sanctum, „Kinder des Judas“ und Blutportale – der wird beim Lesen den einen oder anderen Aha-Moment erleben. „Roman-fleuve“ lautet das Zauberwort, sprich: ein groß angelegtes Werk in mehreren Bänden, welches an einer Stelle bewusst Fragen aufwirft, um sie in einem Nachfolgeband schließlich zu beantworten. „Judassohn“ ist ein solcher Band – und einiges mehr. Denn trotz seines massiven Erfolges ist Markus Heitz nicht dem Lockruf erlegen und hat aus seinem Epos kein übersensibles, verweichlicht-schwülstiges Format der Marke „kitschige Seifenoper“ werden lassen. Ganz im Gegenteil! Verzehrende Teenies haben hier genau so wenig zu suchen wie Blümchensex und veraltete Maßstäbe. Stattdessen zündet Heitz die Triebwerke und startet voll durch. Folgerichtig wird im „Judassohn“ nichts angedeutet; die wilde, ungestüme Art der Vampire und ähnlich gearteter Wesen nicht verwässert. Stellenweise ist der Roman sogar derart heftig, dass man jugendlichen Lesern nur bedingt eine Kaufempfehlung aussprechen möchte.

 

Fazit:

Mit „Judassohn“ unterstreicht Markus Heitz seine Ausnahmestellung in der gegenwärtigen deutschen Phantastik. Trotz fast 700 Seiten besitzt der Roman keine Längen; erlaubt sich keinen Aussetzer – und schlägt die einfallslos-trivial-blutarme Konkurrenz um Längen. Chapeau für diese tolle Leistung!

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404231857460ddc04bf
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Buch:

Judassohn

Reihe: Judas 2

Autor: Markus Heitz

Taschenbuch, 686 Seiten

Knaur, 11. März 2010

 

ISBN-10: 3426652250

ISBN-13: 978-3426652251

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 06.06.2010, zuletzt aktualisiert: 29.11.2022 09:56, 10551