Rezension von Cronn
In den letzten Jahren haben sich weltweit starke Entwicklungen im Bereich der Erforschung der Künstlichen Intelligenz ergeben. Mit der Veröffentlichung von OpenAIs Software-Entwicklung ChatGPT hat auch die breite Masse einen Einblick in die faszinierende Welt dieser Large Language Models erhalten, die allgemein als KI bezeichnet werden.
Inzwischen haben andere Startup-Unternehmen ebenfalls KI-Modelle entwickelt und veröffentlich, darunter das chinesische Deepseek oder das französische Claude.
Doch nicht nur Begeisterung vermögen diese Entwicklungen im Bereich der KI zu wecken. Es geht vielerorts auch die berechtigte Sorge um, ob nicht die Künstliche Intelligenz ein Irrweg ist, der das Potential hat, die Menschheit negativ zu beeinflussen. Manche Kritiker gehen sogar so weit, zu sagen, dass die KI die Menschheit versklaven oder gar vernichten könnte.
Eine Chance der Science-Fiction-Literatur ist es, der Gegenwart einen fiktiven Zukunftsspiegel vor Augen zu halten. Im Roman KAI wirkt es auf den ersten Blick so, aber es stellt sich dann doch ganz anders dar. Das Werk von Raymond Unger wurde im Europa Verlag veröffentlicht und ist im März als Hardcover erschienen.
In Berlin lässt der Professor für neue Medien Nils Larsen von der KI ein virtuelles Bild einer attraktiven Frau erstellen – kurze Zeit später lernt er die Schöne in der Realität kennen. In San Francisco vermarktet der Kreativdirektor Peter Siemsen KI-gesteuerte Avatare – die Projektionen entwickeln jedoch eine beunruhigende Eigendynamik. In Hamburg vertraut der Klimaforscher Rolf Hoffmann KI-gesteuerten Klimamodellen – die sich als grundfalsch erweisen. In Mainz designt der Epidemiologe Yanis Petridis mithilfe der KI neuartige mRNA-Impfstoffe – die auf lange Sicht verheerende Nebenwirkungen entfalten. Und in Washington nutzt die Politologin Alina Davis KI-erstellte Geostrategien, um Politiker zu beraten – mit katastrophalen Folgen für die Sicherheitspolitik.
Erst als der C. G.-Jung-Analytiker Johannes Baumkamp einen dieser KI-Nutzer behandelt, wird ein Muster hinter den Ungereimtheiten sichtbar. Was wie unscheinbare Fehler der KI anmutet, hat Methode. Die Suche nach den Hintergründen entwickelt sich zur Odyssee und Lebenskrise, in der Baumkamp seine Praxis und Ehe riskiert. Am Ende sucht er Rat bei seinem Mentor und ehemaligen Lehrer in Schweden. Als letztes Universalgenie leitet der Psychologe und Physiker Justus von Siggelkow dort ein abgelegenes Institut zur Erforschung parapsychologischer Phänomene. Hier finden sich hilfesuchend auch andere Protagonisten aus den verschiedenen Disziplinen ein, die durch ihre intensive KI-Nutzung ebenfalls in eine Krise geraten sind. Und hier, in der schwedischen Enklave, deckt die Gruppe schließlich ein Schreckensszenario auf, das die gesamte Menschheit bedroht …
Der Klappentext des Verlages zeigt die wesentlichen Handlungsstränge des Romans auf, sodass bereits direkt auf die Kritik übergegangen werden kann.
»KAI« besitzt interessante Inhaltsstoffe, die dazu geeignet wären, einen spannenden Science-Fiction-Roman zu gestalten. Doch kommt dem Autor ein missionarisch wirkender Impetus dazwischen, der das Konstrukt mit auktorialen Passagen behäbig und fehlgeleitet wirken lässt. Die Personenzeichnung bleibt blass und auch die Orte erhalten wenig Textur aufgrund kaum griffiger Beschreibungen, Schilderungen und häufig fehlender Metaphern und Vergleiche.
Damit ist »KAI« kein Werk, das guten Gewissens SF-Freunden empfohlen werden kann.