Kalle in der Wand (Autor: Lothar Nietsch)
 
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Kalle in der Wand

Autor: Lothar Nietsch

 

Ich war damals noch sehr klein und ich konnte gerade erst sprechen und laufen. Laufen konnte ich schon etwas länger, aber wie gesagt, ich war noch sehr klein.

In unserem Haus, besser gesagt in meinem Zimmer, da gab es eine Wand, die war sehr seltsam. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, weil ich glaubte, Wände wären halt manchmal so. Aufgefallen ist mir zunächst nichts, doch eines Tages schleuderte ich aus lauter Wut einen Spielzeugritter mit Pferd gegen diese Wand. Der Ritter prallte nicht ab, nein, er verschwand. Ich war darüber natürlich sehr erstaunt und warf, zur Sicherheit, gleich noch einen Ritter hinterher, den die Wand ebenso verschlang. Dann wollte ich wissen, ob ich vielleicht selbst durch die Mauer gehen konnte. Doch fühlte sich die Wand an, wie alle anderen Wände die ich kannte, hart und undurchdringlich. Meine Spielsachen aber, waren in ihr verschwunden.

Ich erzählte meinen Eltern davon, doch ich glaube, sie hielten das für kindliche Phantasien. Sie schmunzelten nur und sagten: ja, ja. Wie es Eltern eben so sagen, wenn sie einem nicht recht glauben. Eines Tages jedoch, traf ich im Hof einen fremden Buben in meinem Alter. Er erzählte mir, dass er im Nachbarhaus wohne und auf den Namen Kalle höre. Außerdem fallen aus seiner Wand im Kinderzimmer Spielsachen heraus. Ich wollte meine Ritter selbstverständlich wiederhaben, doch Kalle sagte, so was könne jeder behaupten und ich soll's erstmal beweisen.

So nahm ich Kalle mit nach oben. Meine Eltern und die große Schwester waren nicht zuhause. Wir gingen in mein Zimmer und ich nahm eine Spielzeugfigur, einen Indianer, da mir die Ritter allmählich ausgingen, und schmiss sie durch die Wand. Kalle staunte Bauklötze und ich forderte ihn auf, es selbst zu probieren. Das ließ sich Kalle nicht zweimal sagen und mit ganzer Kraft, warf er einen meiner Apachen gegen die Wand. Die Figur prallte ab und landete vor unseren Füßen.

Mit großen Augen sah mich Kalle an und wollte wissen, wie ich das mache. Ich konnte es ihm natürlich nicht erklären, sagte aber, dass ich nur andere Sachen durch die Wand werfen könnte, ich selbst ginge nicht hindurch. Es war dann Kalles Idee, der doch so gerne einmal durch eine Wand gehen wollte. Erst wehrte ich mich dagegen, es war mir doch etwas mulmig bei dem Gedanken einen lebenden Jungen durch die Mauer zu schubsen, doch Kalle bestand darauf. So faste ich ihn also an einem Arm, ich wollte ihn wie einen Kreisel um mich schleudern, drehte mich viermal um mich selbst und als ich dachte, Kalle hätte nun genügend Schwung, ließ ich los. Mit lautem Juchhe verschwand Kalle in der Wand, doch kam er drüben, in seinem Zimmer, nicht heraus.

Es gab am Abend und die nächsten Tage eine große Aufregung. Die Polizei fragte alle Nachbarn ob sie den Jungen gesehen hätten. Da verstand es sich von selbst, dass ich meinen Eltern berichtete, was tatsächlich geschehen war. Ich dachte, vielleicht könnten die Erwachsenen Kalle ja irgendwie aus der Mauer befreien. Ich wollte es dann nicht fassen, aber meine Eltern reagierten sehr erbost und schimpften, dass man über das Unglück anderer keine Witze machen dürfe.

Was sollte ich also tun? Ich ergab mich letztendlich meinem Schicksal, stellte hin und wieder Süßigkeiten vor die Wand und versuchte mit Kalle zu reden. Er hat mir nie geantwortet, vielleicht geht das ja auch nicht, wenn man mitten in einer Wand steckt. Soweit ich heute weiß, ist Kalle nie wieder aufgetaucht. Ich hoffe nur, dass es ihm in all der Zeit nie schlecht ergangen ist.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042510141010c39d58
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Erstellt: 31.08.2010, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10, 10928