Kolumne: Der Bücherfriedhof stirbt
Autor: Ralf Steinberg
An den Wänden meines Hauses ist kein Platz für noch mehr Bücher. Jedes Jahr kommen zwei bis drei Regalmeter hinzu. Manche Bücher harren auf ihren Plätzen wahrscheinlich unberührt bis meine Kinder dereinst den Krempel ihres toten alten Herrn entsorgen. Das Regal ist der Friedhof etlicher Werke. Doch es scheint sich ein Wandel abzuzeichnen. Weg vom Buch hin zur Datei und zu einem Lesegerät.
In Amerika vertreibt amazon elektronische Bücher für ein exklusives Lesegerät und die Verkaufszahlen lassen einen gewissen Erfolg vermuten.
Spontan fallen einem Vergleiche zur Musik ein, MP3 und IPod revolutionierten hier eine ganze Industrie, auch wenn diese es selbst als letzte bemerkte.
Kann das den Verlagen auch geschehen? Raubkopierer ruinieren die Verlagslandschaft?
Die Gefahr ist kaum zu verleugnen. Wo Songs und Videos mit einer spürbaren Dateigröße zu Buche schlagen, sind Textdateien meist schlank, selbst bei dicken Wälzern. Auch wenn man Cover und aktive Inhaltsverzeichnisse hinzufügt geraten Bücher kaum in die Verlegenheit, die Festplatte zu sprengen, ja es ist sogar problemlos möglich, elektronische Texte in eMails zu kopieren und somit völlig frei jeglicher Kontrolle zu vertreiben. Ein Alptraum?
Vielleicht.
Schon heute ist eine unüberschaubare Masse von Büchern digitalisiert und entweder als gescannte Versionen oder tatsächlich als Text frei verfügbar. Im Regelfall auch kostenlos, wie man es vom Internet erwartet.
Wo bleibt da der Platz für die Verlage? Reicht es, einen Text zu lektorieren, ihm ein hübsches Titelbild zu verpassen und auf hohe Umsätze mit kostenpflichtigen Downloads zu hoffen?
Lassen sich Leser so leicht dazu verführen, für ein rein elektronisches Gut gleichviel auszugeben, wie es schon die Hörer akzeptierten?
Was hindert die Autoren daran, selbst Verlag zu spielen? Immerhin schreiben die meisten ihre Texte sowieso digital, es dann auch selbst zum Download anzubieten ist heutzutage mit wenig Aufwand verbunden, wie es unsere Darkener-Serie exemplarisch beweist.
Wenn ich meine Bücher so betrachte und etwas Staub von ihnen puste, dann frage ich mich, was es mir wert ist, ein echtes Buch zu lesen. Echte Seiten anzufassen, den Rotweinfleck wieder zu erkennen, den Gilb längst vergangener Sonnentage, den einmaligen Geruch holzhaltigen Papiers, Lesebändchen und Prägedruck ...
Und ich sehe die leuchtenden Plattencover, ja selbst die Frottee-Hülle einer Ärzte-CD und die aufgeklebte Briefmarke einer Arztrechnung.
Vielleicht stirbt das ja tatsächlich irgendwann. Vielleicht tragen es meine Erben irgendwann zum Trödel und kaufen sich einen neuen elektronischen Allesleser vom Erlös meines Sammellebens. Fluchen beim Schleppen der Bücher, husten im Tanz der Flusen und jedes einzelne Stück erinnert sie an mich und vielleicht heben sie das verstaubte Frottee-Dingens auf, nur weil es mir gehörte.
Welche MP3-Datei und welches eBook könnte das ersetzen?
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