<strike>Harry Potter und die entlaufenen Tierwesen</strike> Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind
Ansichten zum Film und ein bisschen drumherum
Redakteur: Oliver Kotowski
Seit dem 17. November läuft ja der neue Potter-Film von David Yates. Halt Harry Potter und die Gang treten ja gar nicht auf, und Hogwarts und Dumbledore werden nur erwähnt – ist es überhaupt ein Potter-Film?
Mal einen Schritt zurück, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Von 2001 bis 2011 sind die acht Verfilmungen der sieben Harry Potter-Bücher von J. K. Rowling im Kino gelaufen, die Reihe selbst ist zwischen 1997 und 2007 veröffentlicht worden. Darin wird die sattsam bekannte Geschichte vom Waisenjungen Harry erzählt, der entdeckt, dass er ein Zauberer ist und aus schicksalhaften Gründen den bösen Lord Voldemort besiegen muss. Nebenher gibt es allerlei bunte und komische Abenteuer um die Liebe und das (Schul-)Leben.
Jetzt ist – wie erwähnt – der Film Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind erschienen. Zwar stammt das Drehbuch von Rowling, doch eine Romanvorlage gibt es nicht. Das von ihr verfasste Buch mit demselben Titel ist ursprünglich ein fiktives Lehrbuch in der Potter-Reihe gewesen, dass sie später tatsächlich geschrieben hat. Es hat also nur am Rande mit dem Film zu schaffen.
Man sollte meinen, dass so ein Film besser funktioniert – immerhin müssen die Teile, die für einen Roman notwendig, für einen Film aber Ballast sind, nicht adaptiert werden.
Im Film kriselt es im New York der 1920er: Irgendein magisches Phänomen richtet große Schäden in der Stadt an, der sicherheitsbeauftragte Zauberer Percival Graves (Colin Farrell) hält es für ein magisches Tierwesen, doch seine Einheit kann es nicht unter Kontrolle bringen. Die sonst als verrückt geltenden Second Salmers finden mit ihren Anti-Magie-Hetzreden in der nicht-magischen Öffentlichkeit zunehmend Gehör, sogar das Internationale Geheimhaltungsabkommen ist in Gefahr. In dieser Situation kommt der britische Zauberer Newt Scamander (Eddie Redmayne) mit einem Koffer voller Tierwesen an – und ein Niffler kann ihn entkommen. Bei der Jagd nach dem Niffler lernt Newt den Muggel bzw. No-Maj (so heißen die nicht-Magier in den USA) Jacob Kowalski (Dan Fogler) kennen – er ist ein Fabrikarbeiter, der gerne eine Bäckerei führen würde – und Jacob lernt die Zauberei etwas kennen. Bevor er noch mehr kennenlernt, setzt sich Jacob ab, und bevor Newt ihn einholen kann, wird er von der Hexe Porpentina Goldstein (Katherine Waterston) wegen unregistrierter Zauberei verhaftet. Porpentina öffnet vor Graves Newts Koffer, und Jacob öffnet seinen alleine – alle stellen fest, dass die Koffer vertauscht wurden. Von nun an stromern einige magische Tierwesen durch die angespannte Stadt und vermehren das Chaos. Können Newt und seine Verbündeten die Tiere einfangen, bevor jemand ernsthaft zu Schaden kommt? Und was für ein Ding verursacht die anderen Verwüstungen?
Der Film ist hübsch: Die special effects sind wie immer wunderbar, das Setting, die Kostüme und das Casting sind großartig. Alles sehr schön anzuschauen. Es gibt natürlich für den Kenner des Potter-Universums jede Menge Anspielungen zu entdecken – dass Harry später Newts Buch benutzen wird ist einfach, Albus Dumbledore und Hogwarts kennt man auch, Grindelwald und Lestrange sind schon unbekanntere Namen, Goldstein werden nur Experten zuordnen können (Porpentina ist mit Anthony verwandt, einem Schüler, der Jahrzehnte später ein Schulkollege von Harry Potter wird). Und vor allem: Fans des Potter-Universums werden zahlreiche neue Details über ihre Lieblingsfiktion lernen können. Auch gibt es leise Kritik an der Rassentrennung der USA, die im Film mit dem Rappaports Gesetz, dem Verbot des Umgangs mit nicht-Magiern, dargestellt wird. Überhaupt gefällt mir der Ausdruck »No-Maj« – das klingt wie »no match«, also »kein Treffer« oder »kein passendes Ergebnis«.
Damit zum Plot, zu etwas, das ich für ein Problem halte: Die Tierjagd ist zu wenig für den Film. Newt alleine hatte sie alle einfangen können, mit Hilfe der New Yorker-Zauberer wäre es eigentlich ein Klacks. Es ist die besondere Lage, die Newt unter Druck setzt – die New Yorker wollen die Tiere schnell entfernen, was töten heißt, Newt muss also schneller sein und sich gegen die Zaubererpolizei wehren. Das hätte nun für einen Film gereicht. Dazu noch Kowalski und Porpentinas schräge Schwester Queenie (gespielt von der bezaubernden Alison Sudol), und es hätten spannende, komische und erstaunliche 105 Minuten werden können.
Wurden es aber nicht. Es wurden 133 Minuten. Da kommen noch Andeutungen um die Second Salmers und den Waisenjungen Credence Barebone, Grindelwald, zarte Liebesbeziehungen, das schädliche magische Ding und offenkundig vorübergehende Abschiede hinzu. Alles wirkt über den Auftritt im Film hinaus mit Bedeutung aufgeladen – doch soweit ich erkennen kann, ist es das nicht. Ich vermute (mit einiger Sicherheit), dass es Teaser für kommende Entwicklungen sind. Diese zusätzliche halbe Stunde ließ mich unbefriedigt zurück. Unreflektiert hatte ich den Eindruck, einen tollen Pilotfilm gesehen zu haben und jetzt die Serie dazu sehen zu wollen.
Diese Details mögen viele Zuschauer nicht stören – größere Filmeinheiten, wie etwa die beiden Star Wars-Trilogien oder die Der Herr der Ringe-Trilogie gibt es schon lange, die Potter-Serie selbst gehört ja dazu. Dennoch sind die Tierwesen irgendwie anders. Bei den Star Wars- und den Potter-Filmen waren die Geschichten zu einem gewissen Maß abgeschlossen. Das Ende eines Filmes wirkte wie das Ende einer Staffel in einer größeren Serie – oder eben das Ende eines Buches einer ebensolchen Serie. Es wird eine gewisse Ruhe gefunden, es gibt ein Innehalten, das es den Figuren und den Zuschauern bzw. Lesern erlaubt, sich auf das Kommende vorzubereiten, und sei es nur, indem man sich etwas entspannen kann. Ein Pilotfilm soll Lust auf die kommende Serie machen, er soll am Ende eben nicht das Gefühl des Innehaltens erzeugen, sondern das Gefühl des Aufbruchs: Jetzt geht‘s los! Und eben diesen Eindruck haben die Tierwesen bei mir erzeugt. Absicht? Anpassung an Konventionen? Ich weiß es nicht. Aber Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind ist eben kein Pilotfilm sondern ein Kinofilm, und darum halte ich die Wahl dieses Modus‘ für ein Problem.
Damit zurück zur Frage, ob die Tierwesen ein Potter-Film ist. Darauf ein deutliches: Jain.
Nein, es ist kein Potter-Film, denn die Tierwesen spielen ca. 70 Jahre vor den Ereignissen um Harry Potter, und es gibt keine direkten Verbindungen zwischen ihnen – es ist also kein Prequel, in dem etwa erzählt würde, wie Harrys Eltern sich kennenlernen und den Kampf gegen Voldemort führen etc. Es gibt bisher auch nur eine marginale Überschneidung bei den Figuren (Albus Dumbledore und Gellert Grindelwald). Vom Plot her sind die Geschichten klar distinkt.
Und nein, es ist kein Potter-Film, denn die Stimmung ist eine andere. Tierwesen ist ein sehr urbaner Film, New York spielt eine Rolle, alles ist voller Grenzen und Hindernissen, überall sind Zuschauer, überall ist Muggelwelt. Die Potter-Filme waren eher rural und häuslich, zwar gab es auch kurze Szenen in London, doch das waren nur kurze Transit-Szenen, die wesentlichen Momente waren in den Häuser der Zauberer (Hogwarts, der Fuchsbau etc.) oder im ländlichen Umfeld der Zaubererorte angesiedelt. Kurz: Die Action war entfernt von der Muggelwelt. Und alles ist kleiner: Newt ist nicht Der-Junge-der-Überlebte, sondern ein Sonderling, eher eine männliche Luna Lovegood, Porpentina ist keine Hermine, sie ist keine Überfliegerin, sondern eine mittelmäßige, strafversetzte Hexe, eine der Randfiguren der Potter-Reihe, und Kowalski, der Ron Weasley, kann gleich gar nicht zaubern. Auch der Gegner ist kein Voldemort, sondern eine Nummer kleiner. Für Queenie finde ich keine Entsprechung. Und da ist nichts Schicksalhaftes, Newt wurde nicht erwählt, er platzt zufällig in die Szene, er ist kein Erzfeind, sondern bloß der Umstände halber ein Widersacher des Bösewichts. Zuletzt spielt es in den 1920ern: Es geht nicht um das Aufeinanderprallen von Realität und Magie, sondern um zwei fremde Welten, die eine seltsame Verbindung eingehen.
Und doch, ja, es ist ein Potter-Film, allein aufgrund der unglaublichen Intertextualität. Da sind einerseits die klaren Anspielungen – Newt, der Harrys Lehrbuch verfasst, von der Hogwarts-Schule flog und nur von Dumbledore unterstützt wurde, Kobolde, »Alohomora!« und dergleichen mehr – andererseits aber die strukturellen Ähnlichkeiten. Natürlich vergleicht man Newt mit Harry, Hermine mit Porpentina und Ron mit Jacob, man vergleicht die Zauberergesellschaft Englands mit der der USA, man vergleicht die Herausforderungen und Lösungen. All das ist Teil des Spaßes. Und das Tierwesen-Setting wird eben mit Kenntnis der Potter-Filme viel Runder, während die Potter-Filme quasi historische Tiefe erhalten. Es ist das Silmarillion zum Herren der Ringe.
Man fühlt sich gezwungen, dieses Verhältnis mit den Filmen des MCU (Marvel Cinematic Universe) zu vergleichen. 2008 ist mit Iron Man der erste Film des MCU erschienen. Im Film wird die gleichnamige Figur eingeführt und in den Fortsetzungen entwickelt. Gleichzeitig gibt es ein paar Hinweise auf andere Filme, die im selben Meta-Setting spielen – Captain America, Thor etc. In den Avengers-Filmen werden sie zusammengeführt. Dieses Experiment von der Walt Disney Motion Pictures Group wurde ein großer Erfolg, Warner Bros. versuchte ihn seit einiger Zeit mit den Verfilmungen der DC-Comics nachzuahmen, ist bislang aber gescheitert. Vielleicht gelingt es jetzt mit der ›RMW‹ (›Rowlings Magical World‹)? Wenn Disney den Erfolg mit dem Star Wars-Universe wiederholen kann – in gut zwei Wochen läuft mit Rogue One der erste spin-off-Film an – dann werden wir wohl eine zunehmende Dominanz einzelner Meta-Settings erleben.
Es mutet schon seltsam an: Allenthalben drängt die Postmoderne in den Alltag, alles wird fragmentiert, relativ und subjektiv, wir leben in postfaktischen Teil-Wahrheiten. Und gleichzeitig erleben wir zunehmende globale Monopolisierung: Die Auto-Marken nehmen ab, obwohl immer mehr Autos verkauft werden, die Pharma-Konzerne werden weniger, obwohl immer mehr pharmazeutische Produkte verkauft werden. Auch die dominanten Film-Studios werden weniger. Und möglicherweise jetzt auch die fiktiven Welten. Ist das eine Reaktion auf die Unwägbarkeiten der Postmoderne oder schlicht von Synergieeffekten bedingte wirtschaftliche Notwendigkeit?
Gleichwie, in zwei Jahren werde ich wohl die Fortsetzung von Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind ansehen.
Ob das wohl auf lange Sicht klug ist?
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