Kraken / Monster / Seemannsgarn. Legenden und Aberglauben auf hoher See
Rezension von Tanja Elskamp
Michael Kirchschlager bearbeitete und veröffentlichte 2006 mit dem vorliegenden Werk einen Klassiker des Themas aus dem Jahre 1888. Das Original zum Seespuk schrieb der Marinepfarrer Paul Gerhard Heims.
Das in neunzehn Kapitel aufgeteilte, 255 Seiten umfassende Hardcover-Buch lässt nichts aus – nicht einmal ein hilfreiches Glossar am Ende, das „Landratten“ bei einigen Begrifflichkeiten echte Hilfe bietet.
Heims berichtet von den unterschiedlichsten Sagen und Legenden aus dem Bereich des Seespuks, berichtet hierbei aber auch über die (bekannten) wissenschaftlichen Zusammenhänge. Dasselbe Spukphänomen wirkt so ganz anders, je nachdem, wie groß das Wissen der Menschen zu einer bestimmten Zeit war, welche Mittel sie kannten, um sich zur Wehr zu setzen und auch abhängig davon, welche Kultur von diesem Spuk berichtet.
Ob Ebbe und Flut, Kraken, Seeschlangen, der Fliegende Holländer, Geistererscheinungen, Brauchtum oder Wetter machende Tiere und Handlungen: in diesem Buch sind sie alle thematisiert – und einige Themen darüber hinaus.
Das Werk des Pfarrers wird so zu einer sehr umfassenden Dokumentation, die sich nicht allein auf eine bestimmte Region oder Kultur beschränkt. Sogar die Sagen des Altertums, etwa die Mythen des antiken Griechenlands, wurden vom Autor herangezogen, um einige Elemente und deren Bestand durch die Zeiten hinweg zu beschreiben und festzuhalten.
Der Leser findet in diesem Werk eine ausgesprochen unterhaltsame Lektüre, die zugleich jedoch auch viel Wissenswertes bereithält, eben weil das Umfeld eines jeden Seespuks vom Autor und dem Bearbeiter ebenfalls betrachtet wurde. Es lässt verschiedene Schlussfolgerungen zu, und der moderne Leser vermag einigen Aspekten beim Lesen wieder neues Wissen im Kopf hinzuzufügen.
Die Sprache ist eine leichte, nicht ganz modern, aber auch nicht völlig antiquiert und somit den Lesefluss hemmend. Aus Überzeugung des Verlegers liegt übrigens diese bearbeitete Fassung in der alten Rechtschreibung vor.
Zu den schwarzweißen Abbildungen, die das Werk ohnehin bereits zierten, gesellten sich in der Bearbeitung weitere hinzu, die das Buch noch einmal aufwerten und lebendiger wirken lassen.
Irritierend ist, dass die bearbeiteten Passagen nicht deutlich erkennbar sind. Kirchschlager verwendete nicht die im wissenschaftlichen Bereich übliche Kommentierung, Fußnoten und derlei, sondern arbeitete offenbar am Text selbst. Dem Vorwort ist lediglich zu entnehmen, wie man layoutbedingte Veränderungen erkennt. Hierdurch wird der Lesefluss zwar noch einmal deutlich erhöht, es ist aber nicht zweifelsfrei feststellbar, ob man jeweils bearbeitete, ergänzte, gestraffte oder originale Passagen liest, was leider einen unsicheren und etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt, zumal einigen noch existenten Passagen mit erkennbarer Wertung ebenfalls eine Bearbeitung gut getan hätten, so etwa der Stelle „Und wenn es vom Äquator allgemein heißt, wer ihn passiere, der werde zum Neger verbrannt, dann klingt die Befürchtung selbst etwas negerhaft.“
Insgesamt handelt es sich bei „Kraken/Monster/Seemannsgarn“ um eine unterhaltsame Lektüre für alle, die sich für Seespuk jeder Art interessieren. Leider sind die vorgenommenen Bearbeitungen für Nichtkenner des Originals aus dem neunzehnten Jahrhundert an keiner Stelle wirklich nachvollziehbar, was ein wenig irritierend ist und eine Bewertung konkret hinsichtlich der Veränderungen unmöglich macht.