Kugelblitz (Autor: Cixin Liu)
 
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Kugelblitz von Cixin Liu

Rezension von Matthias Hofman

 

Cixin Liu ist schon seit einiger Zeit der Maß aller Dinge in Bezug auf Science Fiction aus China. Inzwischen zählt er gar zu den wichtigsten Hard-SF-Autoren weltweit. 2017 debütierte die Trisolaris-Trilogie mit Die drei Sonnen auch in Deutschland und gewann prompt den Kurd-Laßwitz-Preis in der Kategorie »Bestes ausländisches Werk«. Davor hatte der voluminöse Schmöker schon den Hugo-Award 2015 für den »besten SF-Roman des Jahres« eingeheimst: ein absolutes Novum, hatten doch bis dahin nur englischsprachige Originalromane diese begehrte Auszeichnung bekommen.

 

Der Erfolg der Romane von Liu weckte Interesse und machte Lust auf mehr. Längst passé ist die Zeit, als Taschenbuchverlage wie Heyne, Bastei, Goldmann, Moewig, Knaur, Ullstein und Co. eigene SF-Reihen hatten. Dort fanden sich mitunter Anthologien oder Romane mit SF-Lesestoff aus anderen Ländern als den üblichen Verdächtigen, wie USA, Großbritannien oder Deutschland.

 

Immerhin folgten inzwischen weitere Romane aus dem Reich der Mitte, z. B. von Qiufan Chen oder Hao Jinfang; oder mit der von Ken Liu herausgegebenen Anthologie Zerbrochene Sterne gar eine Sammlung der »besten chinesischen Science-Fiction-Stories« (zitiert gemäß Frontcover).

 

Doch genug der Vorrede. Cixin Liu hat seine Trisolaris-Trilogie im Jahr 2010 abgeschlossen. Seit zehn Jahren ist in seinem Heimatland kein neuer SF-Roman von ihm erschienen. Der Heyne-Verlag veröffentlichte aber nun mit Kugelblitz ein neues Buch vom »chinesischen Arthur C. Clarke«. Wie kann das sein? Ganz einfach: »Kugelblitz« ist schon etwas älter. Liu schrieb das Werk 2000 und überarbeitete es noch einmal für die Veröffentlichung im Jahr 2004. Ein wirkliches Frühwerk ist das Buch aber nicht, denn Cixin Liu veröffentlichte seinen ersten SF-Roman bereits 1989. »Kugelblitz« ist sein chronologisch vierter.

 

Wer Lius Trisolaris-Bücher gelesen hat, darf sich freuen. Denn die Wälzer sind nicht nur gewichtig und umfangreich, sondern bieten, zwar nicht immer leicht zu lesendes, aber wirklich tief beeindruckendes, Gedanken anregendes Lesefutter. Zu hoch sollte man seine Erwartungen jedoch nicht schrauben. Wenngleich ordentlich dick, ist »Kugelblitz« einfacher gestrickt als das Trilogie-Meisterstück, und streckenweise sehr wissenschaftlich. Der Roman streift damit selbst im Bezugssystem der Hard SF etwas die Grenzen des dem durchschnittlichen Leser Zumutbaren.

 

Im Vergleich zu »Die drei Sonnen«, wo man sich regelrecht in die Handlung hineinkämpfen muss, ist der Einstieg in »Kugelblitz« unerwartet leicht. Die Schilderung der Ereignisse am 14. Geburtstag des jungen Chen, dessen Eltern vor seinen Augen beim Feiern am Tisch von einem Kugelblitz buchstäblich zerbröselt werden, ist eindringlich. Zuvor hatte sein Vater ihm philosophisch geraten, dass er seinem Leben am besten einen Sinn verleiht, in dem er sich ein kniffliges Problem sucht, um sich der Lösung diesem mit Leib und Seele zu widmen. Das gäbe einem Halt im Leben.

 

Somit bringt der Tod seiner Eltern durch den viele Tausend Grad heißen Feuerball Chen dazu, nach der Entstehung dieses mysteriösen Naturphänomens zu forschen. An der Universität belegt er insgesamt 20 Pflicht- und Wahlkurse, darunter Fächer wie Höhere Mathematik, Chinesische Meteorologie, Planetarische Zirkulation Klimawandel und kurzfristige Klimaprognosen. Er erarbeitet sich den Ruf einer Koryphäe auf seinem Gebiet und bleibt dem Kugelblitzphänomen stetig, fast schon manisch, auf der Spur. Dabei trifft der eher schüchterne, isoliert lebende Chen auf die Waffensystementwicklerin Lin Yun, deren Biografie ebenfalls vom Schicksal gebeutelt wurde. Allerdings gerät er damit auch in die Mühlen des chinesischen Militärs: Als man erst einmal herausgefunden hat, wie man Kugelblitze künstlich auslösen und steuern kann, sollen diese als moderne Waffe im nächsten Krieg eingesetzt werden. Und dieser lässt natürlich nicht lange auf sich warten …

 

Man merkt schon: Die Handlung ist, im Gegensatz zu den Trisolaris-Romanen, sehr gradlinig. Keine Verschachtelung, keine Geschichten in den Geschichten, außer den obligatorischen Rückblenden, die jedoch stets eher knapp ausfallen. Und es gibt keine Außerirdischen. Wenngleich ein Element zur Anwendung kommt, welches eine Technologie der Trisolarier quasi andeutet und vorwegnimmt. Wenn ein Kugelblitz sein Ziel treffen soll, muss der Vorgang von einer Instanz, zumindest geheim, beobachtet werden.

 

Die vorherrschenden Hard-SF-Elemente lassen den Roman wissenschaftlich kompetent und plausibel erscheinen. Das kann mitunter etwas langweilen, wenn Cixin Liu jegliche Gedankengänge und Kugelblitz-Experimente herleitet. Da der Roman schon bald zwei Dekaden alt ist und heutige Kommunikationstechnologien wie Smartphones, Künstliche Intelligenz, etc. damals nicht so präsent waren, wirkt die Handlung an manchen Stellen etwas antiquiert. Das stört aber nicht so sehr, wie es sich anhört.

 

Interessant sind nicht nur die realistisch-spekulativen Ideen des Romans, sondern auch die Beschreibungen eines vermeintlich modernen Chinas. Obwohl grundsätzlich regierungstreu, so wie der Autor übrigens selbst, gerät Chen in ein Dilemma zwischen Gehorsam dem Staat gegenüber und seinem Gewissen. Er will seine Entdeckungen rund um den Kugelblitz nicht als Waffe eingesetzt wissen.

 

Wirkliche Charakterentwicklung bietet Liu dem Leser nicht, weder bei dem Hauptprotagonisten Chen, noch beiden anderen Charakteren. Auch die Beziehung zu Lin Yun, bleibt, wie der gesamte Roman, asexuell. Faszinierend sind bei »Kugelblitz« daher nicht die Personen, sondern die wissenschaftlichen Aspekte. Und die Gefahren, die von der Entwicklung von scheinbar unkontrollierbaren Waffen ausgeht, die durch intensive Forschung plötzlich doch manipulierbar geworden sind. Als es dann in einen Krieg gegen einen nicht näher beschriebenen Gegner geht (andeutungsweise die USA), kommt es jedoch anders, als man denkt …

 

Unterm Strich ist »Kugelblitz« ein interessantes früheres Werk von Cixin Liu, welches Fans der Trisolaris-Trilogie, aber vor allem Hard-SF-Freunden gefallen dürfte. Dem Rest könnte der Roman (bis auf das erste Kapitel) zu spröde, zu wissenschaftlich, zu militärisch und letztlich doch etwas zu Chinesisch sein.

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Buch:

Kugelblitz

Autor: Cixin Liu

Originaltitel: Qiúzhuàng Shǎndiàn, 2004

Übersetzung: Marc Hermann

Titelillustration: Stephan Martinière

Taschenbuch, 544 Seiten

Heyne, 11. Mai 2020

 

ISBN-10: 3453320301

ISBN-13: 978-3453320307

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07ZTG52Z2

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 12.06.2020, zuletzt aktualisiert: 23.02.2023 19:40, 18688