Leutnant Blueberry: Prosit Luckner und die vergessene Goldmine
Die Blueberry Chroniken Bd. 6
Rezension von Christian Endres
Nach dem grafisch mehr als nur überzeugenden Intermezzo von Vance und Rouge im fünften Band der Blueberry-Chroniken kehrt mit »Prosit Luckner und die vergessene Goldmine« nicht nur der legendäre Moebius ans Zeichenbrett zurück, sondern auch der meisterhafte Charlier als Autor. Im Anschluss an den (wie mittlerweile glücklicherweise üblich) sehr informativen redaktionellen Teil zur Vergangenheit des Wilden Westens, zwei Gegenüberstellungen von Morris’ Lucky Luke und Girauds Blueberry sowie einer knackigen, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig kolorierten Kurzgeschichte, präsentieren Charlier und Giraud uns dann auch einen Zweiteiler, der vor Western-Ambiente nur so strotzt: sagenumwobene Goldminen, feindselige Apachen, knallharte Kopfgeldjäger, trickreiche Halunken – das ist der Stoff, der das Western-Genre zwischen den großformatigen Albenseiten auch heute noch zum Leben erweckt!
Allerdings überzeugt das Abenteuer um die intrigante Hatz nach der vergessenen Goldmine in den Heiligen Bergen der Apachen nicht auf ganzer Linie. Zwischen dem atmosphärischen Beginn im Städtchen Palomito und dem Finale der Geschichte gibt es für den Leser einiges an Leerlauf sowie die ein oder andere etwas schleppende Szene zu bewältigen. Zu spät werden Moebius und vor allem Szenerist Chaurlier ihrem allgegenwärtigen Klassiker-Anspruch gerecht, zu spät greifen alle Teile und Charaktere der Story ineinander.
Was bleibt, ist ein grundsolider Blueberry mit einigen wie immer ausgezeichneten Elementen und Figuren, dafür dieses Mal aber eben auch einem recht trägen Mittelteil der Hauptstory und manch einer etwas langatmigen Passage. Das wiederum macht in der Summe zwar immer noch einen außergewöhnlich guten Western-Comic mit allen nötigen Zutaten sowie einem ungebrochen großartigen und charismatisch-raubeinigen Hauptcharakter, doch vermisst man den Effekt der bisherigen Bände der großartigen Chroniken, der einen über Geschichten und Bilder nicht selten hat offenen Mundes staunen lassen.
Somit ist »Prosit Luckner und die vergessene Goldmine« ein wieder einmal wunderschön aufgemachter und redaktionell vorbildlich betreuter Westernklassiker - in einer der momentan wohl empfehlenswertesten Werkausgaben auf dem deutschen Comicmarkt. Und auch wenn das zweiteilige Abenteuer nicht gar so stark ist wie seine Vorgänger oder besonders auch der letzte überragende Marshal-Band, so glänzen die Sammleraugen ungeachtet kleinerer Mängel in Story und Artwork doch auch hier wieder vor lauter Begeisterung und nostalgischen Anwandlungen. Für Fans und Sammler nach wie vor ein Pflichtkauf, für Blueberry-Quereinsteiger vielleicht nicht unbedingt die erste Adresse.
