Mayliss (Autor: Nina Horvarth)
 
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Mayliss

Autorin: Nina Horvath

 

Mayliss war ein Mensch mit tausend Eigenheiten. Eine davon äußerte sich darin, dass sie mitunter mit jemandem sprach, der definitiv nicht anwesend war. Cyrill hatte längst aufgehört, sich zu fragen, mit wem sie sich unterhielt. Er hielt es durchaus für möglich, dass Mayliss unter dem unheilvollen Einfluss der Sterne schlicht und einfach dem Wahnsinn anheim gefallen war - ein Schicksal, das schon die scheinbar gelassensten und gefestigtesten Personen ereilt hatte. Für ihn war es unbegreiflich, was die eher furchtsame Mayliss den verderblichen Kräften überhaupt entgegenzusetzen hatte. Sie war keine Abenteurerin, schon allein ihr zierlicher Körperbau, ihre Abneigung gegen dieses und jenes, das Bestreben, nicht den winzigsten Schritt zu tun, ohne vorher jede mögliche Konsequenz bis zum Ende durchgedacht zu haben, zeugten davon.

Von Anfang an hatte er gedacht, dass Mayliss als Erste der psychische Zusammenbruch bevorstehen würde. Aber nun war er es, der vor dem Abgrund stand.

Nie hätte er sich träumen lassen, dass ihn der Weltraum von innen her aushöhlte, dass er langsam unter den bösartigen Blicken der Sterne zunächst unruhig und kraftlos wurde und nach und nach in abgrundtiefe Verzweiflung versank, bis er glaubte, unter der Belastung in zwei Teile zerbrechen zu müssen. Er hörte über sich in der Wand etwas poltern, begleitet von einem leisen Murmeln.

Der Gedanke daran, dass die zu Beginn so fröhlich wirkende Angelique sich zunächst in sich selbst zurückgezogen hatte, dann ohne Vorwarnung einfach die Verkleidung des Belüftungssystems aufgeschraubt hatte und jetzt seit Tagen in den engen Schächten herumkletterte, machte ihn zwar krank, aber er konnte einfach nichts tun. Alle Versuche, sie zum Herauskommen zu überreden, erwiesen sich als zwecklos und auch der, sie notfalls mit Gewalt herauszuholen, war gescheitert. Sie hatte sich nur immer tiefer in das Labyrinth zurückgezogen, bis die Gänge so schmal wurden, dass er nicht mehr hindurchpasste. Der Verdacht, dass sie hin und wieder kurz herauskam, um sich etwas Nahrung zu holen - denn wie sonst hätte sie es tagelang da drinnen ausgehalten? - drängte sich ihm auf, aber noch nie hatte er sie dabei zu Gesicht bekommen.

Fast ebensolche Sorgen machte ihm Ulrich, der sich in einem der Räume verschanzt hielt. Er hatte zu ihm hineingerufen und anfangs auch hin und wieder eine Antwort erhalten, mit der er aber nicht so recht etwas anzufangen wusste. Fest stand nur, dass Ulrich sich durch irgendjemand oder irgendetwas bedroht fühlte.

Und da war auch noch dieser andere gewesen, seltsam, dass er dessen Namen nicht mehr wusste. Aber der war auch von Anfang an eigenartig gewesen, ein introvertierter Typ, der sich zwar auf technische Geräte verstand wie kein anderer, der es aber nicht ein einziges Mal geschafft hatte, einen vollständigen Satz von sich zu geben. Als er sich in den Müllschacht gezwängt und sich selbst in den Weltraum gestürzt hatte, waren selbstverständlich alle bestürzt gewesen. Doch bei einem Eigenbrötler wie ihm war man immer versucht, die Erklärung für derartige Vorfälle in einer psychischen Erkrankung zu suchen und das ganze dann zu verdrängen.

Paradoxerweise hatte sie der Umstand, allein inmitten eines feindlichen Universums zu sein, nicht näher zusammengeschweißt, vielmehr schien es so, als würden sie sich nicht nur von der Erde entfernen, sondern sich auch gleichzeitig von einander wegbewegen.

Eine schlanke, anmutig-katzenähnliche Gestalt wieselte durch den Raum. Ihm waren diese Tiere, die über eine beschränkte Art von Intelligenz verfügten, unheimlich. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er daran dachte, dass man den Tieren sogar telepathische Fähigkeiten nachsagte, ein Gerücht, über das er auf der Erde noch gelacht hatte, das ihm aber jetzt immer glaubwürdiger erschien.

Mayliss war da ganz anders, sie schien sich über die Gesellschaft der Tiere zu freuen. Zuerst hatte er diese Tatsache damit abgetan, dass sie wie alle Frauen geradezu versessen auf die kuscheligen Wesen sein musste, aber mit der Zeit war ihm klar geworden, dass sie sie weder wie Spielzeug, noch wie einen Kinderersatz behandelte, ihnen keine Kosenamen gab oder Schleifen umband, wie es zu erwarten gewesen wäre. Es schien fast so, als stünde sie mit ihnen in einer geheimen Verbindung, vielleicht waren sie es, mit denen sie sprach - wer konnte das schon wissen?

Mayliss kam gerade aus der Steuerungszentrale, der Zentralcomputer war abgestürzt. Ihre Aufgabe war es, ihn mit Hilfe des Purpurdenkmoduls wieder zum Laufen zu bringen, indem sie die verhedderten Aktionen der Maschine entwirrte und der Reihe nach abbrach. Das Purpurdenkmodul funktionierte allein mit der Kraft des Geistes. Es empfing durch Elektroden auf der Kopfhaut Gehirnwellen und übersetzte sie in die Sprache der künstlichen Wesen, aber natürlich nicht jeden Impuls - denn es gibt viel zu viele unbewusste und unkontrollierbare Gedanken gleichzeitig im Gehirn - sondern nur ganz bestimmte Wellenlängen.

Diese entstanden, wenn man die gedachten Bilder in Purpurrot tauchte - daher stammt auch der Name des Gerätes. Mayliss war vollkommen erschöpft davon, ohne ein Wort zu verlieren, ließ sie sich auf einen der Sessel fallen und nickte einige Augenblicke später ein. Ein Tierchen schlich näher, beschnupperte sie, kuschelte sich an den auf den Tisch gesunkenen Kopf und legte eine samtige Pfote um sie. Cyrill behielt es misstrauisch im Auge, wollte es schon verscheuchen, aber Mayliss sah so zufrieden und entspannt aus, dass er Angst hatte, er könnte sie aus dem wohlverdienten Schlummer reißen. Die zu Tode erschöpfte Mayliss schien die katzenhaften Wesen magisch anzuziehen, schon kuschelte sich ein weiteres Kätzchen schnurrend an sie.

Als sie erwachte, wirkte Mayliss ein wenig verwirrt, aber ihre Fröhlichkeit war echt. Sie trank einen Becher Kaffee, das einzige Genussmittel an Bord, wenn es auch höchst zweifelhaft war, ob es diesen Ausdruck überhaupt verdiente: Schließlich schmeckte es nicht nach Kaffee, roch nicht danach und wies bestenfalls äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem beliebten Getränk auf, was man aber von jeder bräunlichen Flüssigkeit behaupten konnte, aber das schien sie nicht weiter zu stören.

Cyrill hingegen fand keine Ruhe, er merkte schnell, dass sich seine Gedanken im Kreis drehten, und als er die ruhig dasitzende Mayliss sah, mit einem der Tierchen auf dem Schoß und immer noch nahezu unberührt vom aufkeimenden Wahnsinn, da war er vollkommen davon überzeugt, zu wissen, wer dafür verantwortlich war, dass allesamt dem Irrsinn anheim gefallen waren. Und er spürte, dass ihn etwas zwang, seine Hand gegen sich selbst zu erhaben. Er hatte bislang angenommen, gegen derartige Einflüsse immun zu sein und dass es ihn höchstens treffen würde, wenn einer der anderen vollkommen ausflippte. Aber das genaue Gegenteil war der Fall gewesen.

Der Wahnsinn hatte ihn bereits fest in seine Klauen, während ihn das Schicksal der anderen, die in seiner Erinnerung seltsam verblasst waren, einfach kalt ließ.

Je mehr er selbst innerlich zerrissen wurde, desto gleichgültiger wurde ihm, was mit den anderen geschah.

Er versuchte, sich von dem Schmerz von seiner Seele abzulenken, aber da war nichts, woran er sich festhalten konnte. Die gesamten Unterarme waren schon mit Kratzern übersät, er hatte bisher nicht gewusst, wie scheußlich man sich mit bloßen Händen verunstalten konnte. Er schlug gegen einen der Monitore, der sofort zerbrach. Er hob einen der großen, scharfkantigen Plastiksplitter auf, wurde seines Irrsinns bewusst und ihm war klar, dass er nur einen Millimeter vor dem Abgrund stand. Kalt und spitz spürte er die Kante des Splitters über seinen Pulsadern, aber dann hielt er inne. Im zerbrochenen Monitor konnte er sehen, wie Mayliss, unberührt von seinen Qualen, dasaß, entspannt wie einer der normalen Menschen, die nie im Weltraum gewesen waren, doch mit den träumerisch glänzenden Augen einer Purpurdenkerin.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404240801151f6502a0
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Kurzgeschichte veröffentlicht in:

Fantastisches Österreich

Georg Siebert (Hrsg.)

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Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, ferne, fremde und zukünftige Welten: Dahin entführen österreichische Autoren ihre Leser. Das Literaturforum Österreich lädt auf einen Streifzug durch die verschiedenen Spielarten des Fantastischen - Fantasy, Horror, Mystery und Sciencefiction - ein.

 

Geschichten von:

Marie Andrewsky, Markus Böhme, Bernhard Brunner, Gunilla Drofenik, Viktor Farkas, Wolfgang Geißler, Andreas Gruber, Nina Horvath, Walter Kiesenhofer, Oswald Köberl, Doris Mitterbacher, Uwe Neuhold, Claudia Pogoreutz, Markus Prem, Bernhard Prochaska, Manuela Ruzicka, Georg Siebert, Lea Spark, Günter Suda und Michael Ziegelwagner.

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Erstellt: 10.06.2005, zuletzt aktualisiert: 28.12.2018 09:08, 429