Midgard – Das Brettspiel (Brettspiel)
 
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Midgard – Das Brettspiel (Brettspiel)

Rezension von Thomas Pichler

 

Vielleicht nicht das bekannteste, aber definitiv das älteste wirklich deutsche Rollenspiel Midgard erobert nun erstmals auch als Brettspiel den Spieltisch. Damit wird die Welt von Midgard auch jenen Fantasy-Fans zugänglich, die zwar Freude an fatastischen Themen und komplexeren Brettspielen haben, aber in das Hobby der Rollenspiele nicht eintauchen können oder wollen.

 

Spielziel

 

Was ist schon ein echter Held ohne das gebührende Prestige? Wer gefährliche Abenteuer besteht und als Held Erfahrung ebenso wie Schätze sammelt möchte damit auch die nötige Anerkennung gewinnen. Diese gibt es für Abenteurer im „Midgard – das Brettspiel“ in Form von Prestigepukten und wer als erstes derer fünfe beisammen hat, ist Sieger des Spiels.

 

Aufmachung

 

„Midgard – das Brettspiel“ wartet mit einem modularen Spielplan aus zwölf Stadtkarten und zehn Datenblättern für die Abenteurer auf, die vorsichtig aus den Druckrahmen gelöst werden sollten – die Ecken sind nicht ganz optimal gestanzt. Problemlos zu lösen sind die diversen Spielmarken von Lebenspunkten über Schätze bis hin zu den Prestigepunkten aus Karton. Weiters sind 238 Spielkarten sowie 60 Holzsteine in Lieferumfang enthalten. Die Qualität ist insgesamt solide, besonders gefallen mir zwei Details. Die Plastik-Stanfüße für die Abenteurer-Figuren halten perfekt, lassen sich aber ohne Schäden an den Kartonfiguren anbringen und wieder abnehmen. Praktisch sind die beigepackten kleinen Plastiktüten zum Sortieren der Spielkomponenten – das ist zwar nicht so edel wie eine Schale, aber deutlich mehr, als einem heutzutage oft auch von großen Verlagen geboten wird.

 

Spielregeln

 

Das Brettspiel lehnt sich in seinen Konzepten ans Rollenspiel an, ist aber natürlich einfacher. So gibt es nur drei Eigenschaftswerte und drei abgeleitete Werte, als Probenwürfel dient grundsätzlich ein Zwanzigseiter. Das Regelheft mit seinen 24 Seiten sollte zumindest ein Spieler auch ähnlich einem Rollenspiel-Regelwerk wirklich studiert haben. Das liegt allerdings nicht nur an der Komplexität des Spiels, sondern letztendlich auch an der nicht ganz optimalen Struktur des Regelwerks. Einfache Grundlagen werden nicht klar genug hervorgehoben und eher für fortgeschrittene Spieler relevante Optionen nicht wirklich abgegrenzt. Das Spiel wirkt daher auf den erste Blick vor allem komplizierter, als es eigentlich ist.

 

Spielverlauf

 

Wie eine Partie abläuft, hängt von Anfang an sehr von den Ideen der Spieler ab. Für den Anfang ist sehr zu empfehlen, den vorgeschlagenen Grundaufbau des Spielplans zu nutzen und die vorgefertigten Abenteurer zu verwenden – das geht relativ schnell und einfach. Auch zwei Varianten mit an der Midgard-Geografie orientierten Plänen sind noch schnell aufgebaut. Bei einem frei gestalteten Spielplan gibt es mehr Diskussions- und somit Verzögerungsmöglichkeiten – etwa die Frage, ob 4x3 oder 6x2 Felder oder einen nicht rechteckigen Spielplan. Frei gestaltete Abenteurer sind natürlich auch etwas aufwendiger, vor allem für Spieler, die noch nicht so vertraut mit den Möglichkeiten des Spiels sind. Für erfahrene Spieler sind die freien Abenteurer aber sicher interessanter, als immer wieder mit den gleichen Figuren durchs Land zu ziehen – immerhin ist es so möglich, mit wirklich einzigartigen Ideen zu spielen. Egal, ob vorgefertigt oder frei: Jeder Abenteurer hat jedenfalls bestimmte Stärken.

 

Eine Spielrunde verläuft in der Regel nach dem gleichen Schema ab: Der Spieler am Zug spielt eine Aktionskarte aus, führt dann die so bestimmte Anzahl an Aktionen aus und zieht abschließend eine Aktionskarte nach. Komplex wird es vor allem durch die Anzahl der möglichen Aktionen – von der einfach notwendigen Bewegung zwischen Städten über die Arbeit an Aufträgen bis hin zu echten Abenteuern und dem gelegentlichen Ausheilen erlittener Kampfwunden.

 

Ein grundlegendes Spielelement sind die Aufträge – zu Beginn des Spiels die einzige Art, wie die Abenteurer ihre Karriere vorantreiben können. Im wesentlichen müssen Spielmarken in einer Stadt erobert, in eine andere Stadt gebracht und dort abgegeben werden. Dafür winkt Gold – bitter nötig, um den eigenen Abenteurer beispielsweise durch extra Ausrüstung oder Eigenschaftspunkte aufzuwerten. Außerdem gibt es und Erfahrungspunkte, mit denen durch erreichen höherer Grade auch Prestige gewonnen werden kann. Ferner bringt der zweite erfüllte Auftrag in einer Stadt einen Schatz – und viele Schätze anzuhäufen ist definitiv ein Schritt auf dem Weg zu großem Prestige. Der dritte erfüllte Auftrag verspricht eine Belohnung – die auf jeden Fall einen Vorteil im Spiel bedeutet. Ganz so leicht ist das natürlich nicht, denn die an fixen Stellen offen aufliegenden Original-Marken für Aufträge müssen erst durch Probenwürfe erobert werden. Alternativ dazu können unter zu Spielbeginn verdeckt liegenden Marken leicht zu bergende Fälschungen gefunden werden – allerdings können dort auch Gefahren lauern. Auch die Unterteilung in Gebäude- und Personenmarken ist dabei wichtig, denn bestimmte Abenteurer können die eine oder andere Art von Marke leichter erobern.

 

Im weiteren Spielverlauf – immer dann, wenn ein Schatz an einen Abenteurer geht – kommen auch Abenteuer ins Spiel. Sie versprechen bei Bewältigung dreier Herausforderungen und eines Endgegners viele Erfahrungspunkte sowie Belohnungen. Gleiches gilt für die Schatten, mächtige Gegner, die durch gelöste Abenteuer ins Spiel kommen. Schatten und Abenteuer höherer Grade haben gemeinsam, dass ein alleiniges Besiegen respektive Lösen viel Prestige verspricht – aber entsprechend schwer ist.

 

Zum Glück muss ein Abenteurer sich nicht unbedingt allein durch die Lande schlagen. Er kann andere als Begleiter einladen, um sich so Boni auf Würfelwürfe bei Aufgaben oder aber Mitstreiter in Abenteuern oder wider Schatten zu sichern. Den Begleitern winken dafür freie Bewegungsaktionen (sie reisen gemeinsam mit dem aktiven Abenteurer), Bonusaktionen (so der aktive Abenteurer erfolgreich eine Marke erobert) oder ein Stück vom Erfahrungs- und Belohnungskuchen (wenn Abenteuer bestritten oder Schatten bekämpft werden). Da kann es durchaus Sinn machen, anderen auch zu helfen, obwohl sie eigentlich Gegner im Prestige-Rennen sind. Natürlich ist es andererseits auch möglich, diese Gegner zu bestehlen oder zu überfallen – oder das zumindest zu versuchen. Das ist zwar keine Art, sich Freunde zu machen, kann aber ein probates Mittel sein, um andere am Erreichen des Prestige-Ziels zu hindern. Und es kann schon vorkommen, dass anderen die richtigen Schätze oder Artefakte abzunehmen die realistischste Chance bietet, selbst den begehrten fünften Prestigepunkt zu erreichen.

 

Kämpfe – egal ob zwischen Spielern oder auch zwischen Abenteurer und Gegnern auf dem Spielplan – sind dabei in der Regel nach wenigen Würfelwürfen entschieden und halten den Spielfluss somit kaum auf. Manche Abenteurer – Krieger zum Beispiel – leben auch regelrecht für den Kampf, denn das ist nun einmal ihre Stärke. Apropos Kämpfe: Das vorzeitige Ableben eines Abenteurers ist nicht annähernd so permanent, wie es im Rollenspiel meist der Fall wäre. Verliert ein Abenteurer den letzten Lebenspunkt, ist er lediglich bis zum Ende seines nächsten Zuges effektiv aus dem Spiel, kann dann aber in annähernd alter Frische weitermachen – verliert allerdings, so möglich, einen Grad.

 

Zu den Aktionskarten ist noch zu sagen, dass sie nicht nur genutzt werden können, um zu bestimmen, wie viele Aktionen man in einem Zug hat. Allesamt haben sie zwei weitere Effekte. Zum einen dient das Ablegen von Aktionskarten der Heilung des eigenen Abenteurers, zum anderen haben sie alle einen Sondereffekt. Die Palette ist dabei vielfältig und reicht beispielsweise von der Anwendung als fixer Wert anstelle eines Würfelwurfs über Tricks beim erobern von Auftrags-Marken bis hin zu Gemeinheiten gegenüber den Mitspielern. Dementsprechend heißt es auch haushalten mit den wertvollen Karten – es kann auch Sinn machen, eine Runde lang nicht wirklich etwas zu tun und dafür mehr Aktionskarten nachziehen zu dürfen.

 

Die verlagsseitig angegeben Spieldauer bezieht sich eindeutig auf Partien mit Spielern, die schon recht sattelfest sind. Bei den ersten Partien einer Runde ohne Kenner des Spiels, wo unweigerlich hin und wieder Details nochmals im Regelwerk nachgeschlagen werden und noch nicht so klar ist, wie das Spiel am besten anzupacken ist, werden die zwei Stunden mit ziemlicher Sicherheit geknackt, ehe sich jemand des fünften Prestige-Punktes rühmen darf.

 

Spielspaß

 

Okay, mal ehrlich: Das gibt doch ziemlich gut wieder, worum es vielen Rollenspielern letztendlich geht – den tollsten Charakter zu haben, der echt Ansehen genießt in der Spielwelt. Das lässt sich ganz leicht zu Brett bringen, denn Brettspieler sind ohnehin offiziell gewohnt, dass es ums alleinige Gewinnen geht. Prestige, Prestige! Da treffen Rollen- und Brettspielwelt gut aufeinander. (Und jene Rollenspieler, die jetzt angewidert die Nase rümpfen, sollten wohl echt kooperative Brettspiele wie Arkham Horror zocken.)

 

Keine Frage, das Glück spielt bei „Midgard – das Brettspiel“ eine recht wichtige Rolle – ob Würfelwürfe, verdeckte Marken oder gezogene Karten, mit Fortunas Gunst geht im Spiel vieles leichter. Die richtige Taktik ist dennoch wichtig - wer die Stärken der eigenen Figur nicht bedient, ist letztendlich selber Schuld. Wer mit dem vorgefertigten Schurken immer Personen- statt Gebäudeaufträge versucht, ist ebenso selber Schuld wie eine Kriegerin, die Kämpfen ausweicht, statt sie zu suchen. Insgesamt also eine massentaugliche Balance.

 

Wie Interaktiv das Spiel ist, hängt sehr stark von den Spielern und auch von der Spielerzahl ab. Desto mehr Spieler, desto weniger attraktiv wird es, auf Bonusaktionen als Begleiter zu verzichten. Dennoch bleibt es jedem selbst überlassen, ob er allem und jedem feindlich gesinnt durch die Lande zieht und mit anderen Spielern allenfalls kämpferisch interagiert oder ob er sein Heil doch eher in der Kooperation sucht. Ersteres kann zu einem bösen Erwachen führen (die anderen Spieler könnten verstärkt zusammenarbeiten) und letzteres funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad (denn letztendlich kann nur einer gewinnen). Da die richtige Balance zu finden, ist eine der Herausforderungen im Spiel.

 

Langfristig ist es ein gewisses Problem, dass die Aufträge des Brettspiels mit den fix verteilten Original-Marken eigentlich sehr statisch sind, woran die zufällig verteilten Fälschungen relativ wenig ändern. Zwar bietet der modulare Spielplan einen gewissen Variantenreichtum, der aber weder Midgard-Puristen noch Balance-Fanatikern restlos zufrieden stellen dürfte – immerhin sind die meisten Anordnungen der Städte wenig Midgard-mäßig und wertvollere Aufträge sollten vielleicht mehr Bewegungsaktionen zur Erfüllung bedürfen als wenig profitable. Allerdings dürfen wir mit zwei geplanten Erweiterungen noch im Jahr 2008 auf frischen Wind hoffen.

 

Fazit

 

„Midgard – das Brettspiel“ ist ein Spiel irgendwo zwischen echtem Brett- und wirklichem Rollenspiel und damit eigentlich der neueste Vertreter einer wachsenden Gattung. Was es von vielen Vertretern dieser Gruppe (beispielsweise von Fantasy Flight Games) abhebt ist, dass es weder rein kooperativ noch strikt kompetitiv ist. Die richtige Balance aus Kooperation und Wettbewerb zu finden, ist letztendlich wesentlicher Faktor für den Erfolg. Das ist wohl nicht jedermanns Sache, macht aber meiner Ansicht nach den Reiz des Spiels aus – ohne diesen Faktor wäre „Midgard – das Brettspiel“ etwas zu statisch.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240419183514700f5fc2
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Midgard – Das Brettspiel

Autor: Lutz Stepponat

Verlag: Phantastische Spielewelten (www.phantastische-spielewelten.de)

Erscheinungsdatum: Oktober 2007

Spielerzahl: 3 – 5

Spielzeit: 90 – 120 Minuten

Mindestalter: ab 12 Jahren

Amazon ASIN: B000ZOTITA

Erhältlich bei: Amazon

 

 


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Erstellt: 27.05.2008, zuletzt aktualisiert: 02.03.2016 11:40, 6566