Minos (Autor: Marcos M. Villatoro)
 
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Minos von Marcos M. Villatoro

Rezension von Martin Weber

 

Das Wort, das dem Buch seinen Titel gibt, klingt vertraut. Doch Hand aufs Herz: wer kann wirklich näher definieren, wer oder was „Minos“ ist? Irgendeine Person aus der griechischen Antike/Mythologie, dazu reicht das Wissen vielleicht noch … aber wer genau? In unseren modernen Zeiten ist man zum Glück nur einige Mausklicks von der (oberflächlichen) Weisheit entfernt und schon ist zu erfahren, dass dieser Name einst einem König in Kreta gehörte, der der Sohn von Göttervater Zeus und Europe war. Minos Gattin zeugte mit einem vom Meeresgott Poseidon gesandten Stier das Monstrum Minotaurus (unmoralische Sodomiten waren das, diese alten Griechen). Nach seinem Tod gehörte Minos zum Richtertrio im Hades. Das schlägt sich auch in der literarischen Aufarbeitung durch Vergil nieder, der ihn in seiner Äneis als Richter über diejenigen auftreten lässt, die aufgrund falscher Anschuldigungen zum Tode verurteilt wurden. Dante übernimmt diese Figur für seine Göttliche Komödie, wo Minos am Eingang zum zweiten Kreis der Hölle sitzt und über die Seelen der Verdammten urteilt.

 

Eben diese Inkarnation ist es, auf die sich der Titel des vorliegenden Romans bezieht. Der Serienkiller, der vor einigen Jahren die Schwester der Polizistin Romilia Chacón getötet hat, sieht sich selbst in der Rolle des Minos, denn er richtet Menschen, die seiner Meinung nach Sünden begangen haben. Die Todesart der Opfer ist dabei den Qualen der verlorenen Seelen im entsprechenden Höllenkreis nachempfunden. Doch diese Zusammenhänge bleiben Chacón vorerst noch verborgen. Sie hat zunächst beruflich Oberwasser, als sie einen anderen Mörder zur Strecke bringt (und dabei ´nebenbei` dem Drogenboss Tekún Umán das Leben rettet). Ihre kurzfristig privilegierte Stellung nutzt sie dazu, die Aufklärung des Mordes an ihrer Schwester voranzutreiben. Dank ihrer Hartnäckigkeit und der Schützenhilfe von Tekún Umán, der auf seine illegalen Ressourcen zugreift, kann sie die Fährte des Killers aufnehmen. Doch ihre ungestüm-aggressive Vorgehensweise führt zu ihrer Suspendierung. Allerdings ist sie die einzige Person, die den Plan des Wahnsinnigen wenigstens ansatzweise entschlüsseln kann und die imstande ist, sein neustes Vorhaben zu vereiteln: Minos will Menschen, die sich mit Selbstmordgedanken tragen, in tiefstem Wald bei lebendigem Leib häuten. Nur Chacón vermag ihn zu stoppen …

 

Das erste, was an diesem Buch auffällt, ist das gelungene Cover. Es ist ein Ausschnitt aus einem Holzstich von Doré zu Dantes Göttlicher Komödie und zeigt Minos. Der darüber gelegte senkrechte Schriftzug in verwitterten Frakturbuchstaben verleiht dem Titelbild seinen besonderen Reiz. Die Optik erinnert an den Roman >Ikone<, der ebenfalls bei Knaur erschienen ist – sollte sich hier eine neue Designlinie abzeichnen, ist das zu begrüßen.

 

Im Thriller-Genre ist es typischer für Schriftstellerinnen als für Schriftsteller, Frauen als Hauptfiguren einzusetzen. Marcos M. Villatoro ist – wie an seinem Namen unschwer zu erkennen – zwar ein Mann, wählt aber nichtsdestotrotz die weibliche Perspektive, wenn er Chacon als Ich-Erzählerin in Erscheinung treten lässt. Ebenfalls eher ungewöhnlich ist der lateinamerikanische Hintergrund der Heldin, was dem ansonsten wohl vertrauten Cop-Milieu der USA einen kleinen exotischen Anstrich verleiht. Hingegen bewegt sich der Autor auf altbekannten Pfaden, wenn man einen Blick auf den modus operandi des Täters wirft, weil der diesbezügliche Rückgriff auf die grausigen Phantasien des Florentiners bereits aus Matthew Pearls „Der Dante Club“ bekannt ist.

 

Die Ausgangssituation wirkt ziemlich diffus (wie war das genau mit dem Jadepyramidenmörder und der Rettung von Tekún Umán?), was ich zunächst dem Schriftsteller ankreiden wollte. Allerdings stellte sich nach einem Blick ins Internet heraus, dass >Minos< bereits der zweite Band mit Romilia Chacón als Hauptfigur ist, was wahrscheinlich werden lässt, dass >Minos< direkt an das Ende des Vorgängerromans anschließt. Warum der deutsche Verlag mit Band 2 statt mit 1 beginnt und jeden Hinweis auf den Reihencharakter unterlässt? Wer vermag das schon zu sagen ...

 

An einer Stelle leisten sich Autor und Lektorat aber einen eigenverantwortlichen groben Schnitzer, wenn sie darauf vergessen, dass die Heldin bestimmte Informationen schon erhalten hat und diese dann nochmals als Neuigkeiten aufbereitet werden (vgl. S.183 mit S.259f.). So was muss nicht sein. Zudem ist extrem unwahrscheinlich, dass Chacón mittels Bibliotheksrecherche die Zusammenhänge zu entdecken vermag, das FBI mit seinem Ermittlerstab und all seinen Computern das aber nicht schafft, denn jeder mit einem ganz gewöhnlichen Internetanschluss kann es selbst ausprobieren: man muss nur bei Google Zerberus und Galeotto (zwei Begriffe aus den Botschaften des Killers) eingeben und landet schon bei Verweisen auf Dantes Göttliche Komödie/Inferno. Ist der Durchschnitts-User also intelligenter als ein FBI-Agent? Wohl kaum, hier haben zweifelsfrei dramaturgische Notwendigkeiten die Feder geführt. Ein weiteres Manko liegt im sehr oberflächlichen psychologischen Profil des Killers; darauf etwas mehr Aufmerksamkeit zu verwenden, hätte nicht geschadet.

 

Doch ansonsten gibt es nichts zu meckern, denn obgleich >Minos< sicherlich nicht wahnsinnig innovativ ausfällt, befriedigt der Roman dennoch die Erwartungshaltung, da er vieles enthält, was in einem Thriller über einen Serienmörder enthalten sein sollte: ein durchgeknallter Mörder verfolgt einen diabolisch-genialen Plan, dessen Entschlüsselung den Ermittlern gewaltiges Kopfzerbrechen bereitet. Der Plot wartet mit plastischen Charakteren auf, ist spannend und weist genügend Wendungen auf. Natürlich gibt es einige unrunde Passagen und es darf auch nicht jedes kleinste Detail auf seine Plausibilität hin abgeklopft werden, denn damit verdirbt man sich nur das Lesevergnügen; stattdessen sei Folgendes empfohlen: einfach mitreißen lassen und einige Stunden aufregende Unterhaltung sind garantiert.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024032816230878e73ce8
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Minos

Autor: Marcos M. Villatoro

Broschiert - 413 Seiten - Droemer/Knaur

Erscheinungsdatum: Mai 2006

ISBN: 3426629143

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 14.05.2006, zuletzt aktualisiert: 06.08.2023 10:54, 2212