Mister Blueberry: Tombstone
Die Blueberry Chroniken Bd. 11
Rezension von Christian Endres
Legenden unter sich
Der Sezessionskrieg ist vorbei, und somit beginnt auch ein neuer Abschnitt im Leben von Mike S. Blueberry. Oder besser gesagt: begann. Denn Jean Giraud alias Moebius, der seit Charliers Tod die Abenteuer des größten Western-Comic-Helden aller Zeiten alleine gestaltet, überspringt zunächst fast zehn Jahre in Blueberrys abenteuerlichem Leben und beginnt obendrein noch einen neuen Zyklus: ›Mr. Blueberry‹. Fortan ist Blueberry nicht mehr der große Schatzsucher, widerborstige Armee-Rebell oder gar vogelfreie Staatsfeind, sondern ein an den Schläfen ergrauter Kartenspieler, der das Kapital seines letzten großen Coups aus wilderen Zeiten nutzt, um sich einen beachtlichen Ruf an den Pokertischen der verruchtesten Saloons des Wilden Westen aufzubauen.
Einen Ruf hatte Blueberry allerdings schon immer, weshalb sogar Schriftsteller für ihre Recherchen aus dem weit entfernten, zivilisierteren Boston bis in die wüsten Goldgräberstadt reisen, um aus Blueberrys Leben einen Roman-Bestseller zu machen. Nicht weniger legendär ist derweil der Ruf der anderen Bewohner von Tombstone - egal ob die Earp-Brüder oder Revolverheld Doc Holliday: Sie alle haben ihre Geschichten zu erzählen und einen ganz eigenen Charakter, der als Mosaikstein zur üppigen Stimmung im nicht sonderlich lauschigen Städtchen Tombstone beiträgt.
Überhaupt sind es die vielen Figuren, die »Tombstone« zu so einem stimmungsvollen Western-Genuss machen. Hinter einem der schönsten Cover der gesamten Ehapa-Werkausgabe verbirgt sich eine exzellent konstruierte und erzählte Geschichte, die gar nicht so sehr auf Blueberry selbst zugeschnitten ist, ihn aber geschickt in die Ereignisse um die viel besungene Western-Stadt Tombstone integriert und als sympathisches Bindeglied zwischen urbanen Westernmythen wie den Earps, der Indianer-Verfolgung und boomender Goldgräberstadt-Stimmung nutzt. Altmeister Moebius liefert also nicht nur atemberaubende Panels und Seiten voller überbordendem Western-Ambiente, sondern spinnt auch eine kluge Story, in der Stück für Stück gleich mehrere Fäden zusammen laufen – sowohl innerhalb der Dramaturgie dieses neuen Zyklus, als auch aus Blueberrys abenteuerlichem Leben. Damit tritt Moebius endlich auch als Autor aus dem Schatten des viel unvergesslichen, zu früh verstorbenen Charlier.
Mitte der Neunziger entstanden, tut dem gemäßigteren Mr. Blueberry die gewonnene Klarheit von Moebius’ Strich ganz gut. Farben, Konturen – es wirkt alles etwas feiner als früher. Aber keine Sorge: Die großartigen Moment-Aufnahmen und Wild-West-Panoramen, die seit dem ersten Band zu Moebius und Blueberry gehören, gibt es auch diesmal wieder.
»Damn it!« Egal ob Einsteiger oder begeisterter ›frankobelgischer Cowboy‹ auf Lebenszeit: Ein grandioser Höllenritt von einem modernen Westerncomic.
Mr. Blueberry und Mr. Giraud sind älter geworden und sichtlich gereift – und ohne Frage besser denn je.