Mord auf ffolkes Manor (Autor: Gilbert Adair; Evadne Mount Bd. 1)
 
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Mord auf ffolkes Manor von Gilbert Adair

Reihe: Evadne Mount Bd. 1

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Das Weihnachtsfest ist jedenfalls gründlich versaut: Erst bringt Selina ffolke einen ungeladenen Gast mit, den Widerling Raymond Gentry, der mit großem Vergnügen alle anderen Gäste beleidigt, und dann wird eben jener Störenfried auch noch ermordet. Er wird in einem verschlossenen Raum erschossen aufgefunden. Aufgrund des heftigen Schneefalls ist man von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten und nur mit einiger Mühe gelingt es den in der Nähe wohnenden pensionierten Chiefinspektor Trubshawe herbei zu hohlen. Er soll, nun ja, irgendwie helfen einen Skandal zu vermeiden, denn jeder Gast hat dunkle Flecken auf seiner Weste und einige können sich einen angeschlagenen Ruf nicht leisten. So macht sich der Pensionär mit seinem Hund Tobermory daran einen Fall zu lösen, wie er nur in Krimis (die er verabscheut) vorkommt – und dazu erhält er noch Konkurrenz von einem der Gäste: Der berühmten und exzentrischen Krimiautorin Evadne Mount, die entzückt darüber ist in einem richtigen Kriminalfall ermitteln zu können. Bei der Leiche findet sich ein erster Hinweis – war der ermordete Schmierenjournalist ein Erpresser?

 

Der Mord ereignet sich Weihnachten 1935 in einem alten Herrenhaus am Rande von Dartmoor. Aufgrund des Wetters – es schneit nahezu ohne Unterlass – sind die Figuren und damit auch die Handlung in eben jenem Anwesen gefangen. Die Einrichtung wird eher beiläufig beschrieben, doch die Stimmung unterstreicht sie trefflich: Im Haus zieht es stets und das Interieur ist gediegen, dunkel und schwer. Viel mehr Wert wird auf die Beschreibung der Kleidung und dem Hinweis auf die Verknüpfung von Charakter und Stand gelegt; tatsächlich wird so viel Wert auf Details der Kleidung gelegt, dass es leicht parodistisch wirkt. Auch das Milieu ist nicht das des realen ländlichen Englands der dreißiger Jahre, sondern das des Whodunit-Krimis dieser Zeit – es ist kein historischer Krimi im engeren Sinn, sondern ein postmoderner, der auf die Krimis jener Zeit anspielt.

 

Die Figuren wirken auf den ersten Blick wie klassische Krimi-Archetypen: Der Polizist Trubshawe ist ein alter Grantler, methodisch und pedantisch genau, aber nicht besonders einfallsreich; seine Konkurrentin und eigentliche Protagonistin die Amateurdetektivin und Krimiautorin Evadne Mount ist eitel und sarkastisch, vielleicht sogar zynisch, aber brillant; der Colonel ffolkes ein rauer, jovialer Chap; seine Tocher Selina jung, schön und naiv; ihr Möchtegernfreund der sportliche Amerikaner Donald ist eher geistlos; der Arzt Rolfe ernsthaft, aber mit trockenem Humor; der Vikar Clem Wattis scheu und langweilig und die berühmte Schauspielerin Cora Rutherford ist exzentrisch. Wie es sich für einen Whodunit gehört, haben alle – außer Trubshawe und Selina – in der Vergangenheit gegen die Moralvorstellungen ihrer Mitmenschen verstoßen. Doch damit nicht genug: Immer wieder bricht Adair mit großer Vorsicht und Ironie die Figuren oder deutet eine verborgene Vielschichtigkeit an.

Es gibt also eine Reihe von Figuren, die zunächst ganz klassisch wirken, aber sich dem aufmerksamen Leser keineswegs so schlicht gestalten – besser kann ein postmoderner Whodunit kaum mehr Figuren charakterisieren.

 

Die Handlung ist unverkennbar die eines klassischen Whodunit: Raymond Gentry wurde ermordet in einem verschlossenen Raum aufgefunden. Aufgrund widriger Umstände kann die richtige Polizei den Fall nicht übernehmen und so springt ein Duo ein um das Doppelterätsel zu lösen. Dieses geschieht in der üblichen Manier: Es werden Verdächtige befragt und Spuren gesucht.

Dieses Rätsellösen und die damit verbundenen überraschenden Wendungen gehören zu den zentralen Spannungsquellen, doch es sind bei weitem nicht die einzigen. Wer S. S. Van Dines Zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten kennt, kann eine der besonderen Leistungen des Autors beobachten: Adair bricht einige der Regeln, allerdings auf so clevere Art, dass der Leser sich nicht betrogen fühlt. Weiterhin wird auf eine Unzahl von bekannten und weniger bekannten Krimiautoren und deren Werke angespielt: Arthur Conan Doyle, Agatha Christie und Dashiell Hammett um nur ein paar leicht erkennbare zu nennen. Weniger offensichtlich sind die Anspielungen auf Texte von Lewis Carroll oder Saki – wer diese findet, wird sich aber fragen, ob in der ganzen Geschichte nicht auch eine verhohlene satirische Gesellschaftskritik steckt. Ein besonderer Fehdehandschuh wird natürlich John Dickson Carr, dem König der Locked-Room-Mysteries, hingeworfen – ob diese Herausforderung erfolgreich bestanden wird, mag der geneigte Leser selbst beurteilen (ich empfehle jedoch Carrs Der verschlossene Raum als Vergleichslektüre dazu).

Mit der ermittelnden Kriminalautorin (was übrigens eine Anspielung auf Ellery Queen sein mag) stehen Adair viele Möglichkeiten offen den Handlungsablauf des Krimis auf einer abstrakten Ebene direkt zu kommentieren, ohne dass es allzu unnatürlich wirkt.

Neben den intertextuellen Anspielungen und selbstreferentiellen Bezügen auf verschiedenen Ebenen gibt es selbstverständlich Vorausdeutungen in den verschiedensten Variationen; außer dem vordergründigen Rätselraten sind also die verschiedenen Momente des postmodernen Erzählens die Spannungsquellen.

 

Als postmoderner Krimi, der auf den klassischen Whodunit anspielt, muss die übliche Erzählmethode des Kriminalromans weitgehend beibehalten werden: Der Handlungsaufbau ist regressiv und wird aus einer scheinbar auktorialen Perspektive erzählt – hier jedoch erwartet den Leser eine Überraschung, welche die kleinen Unebenheiten des Erzählens nachvollziehbar erklärt.

Die gesamte Geschichte durchzieht ein ironischer, bisweilen sarkastischer Tonfall, der die Lektüre zu einer amüsanten macht.

Schließlich sei noch auf das Titelbild und die beiden Fotografien am Anfang und am Ende des Buches hingewiesen: Sie zeigen die Bibliothek einmal mit und einmal ohne Leiche. Mich haben sie lange Zeit verwirrt – erst nach der Lektüre ist mir ihre Aussage aufgegangen.

 

Fazit:

Der pensionierte Chiefinspektor Trubshawe wird nach ffolkes Manor gerufen: In dem eingeschneiten Herrenhaus wurde der Widerling Raymond Gentry in einem verschlossenen Raum ermordet aufgefunden. Zusammen mit der Krimiautorin Evadne Mount macht er sich daran die Rätsel zu lösen. Gilbert Adair hat einen Krimi verfasst, der mit einem hübschen Doppelträtsel und einigen überraschenden Wendungen lockt, seinen besonderen Unterhaltungswert aber aus dem postmodernen Spiel mit dem klassischen Whodunit im Allgemeinen und dem Locked-Room-Mystery im Besonderen bezieht. Mit dem exzellenten Mord auf ffolkes Manor eröffnet sich dem Leser ein im deutschsprachigen Raum kaum verbreitetes Subgenre des Krimis: der postmodernen Krimi.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404161433439e3cfaa5
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Titel: Mord auf ffolkes Manor

Reihe: Evadne Mount Bd. 1

Original: The Act of Roger Murgatroyd (2006)

Autor: Gilbert Adair

Übersetzer: Jochen Schimmang

Verlag: Heyne (Januar 2008)

Seiten: 297-Broschiert

Titelbild: Nele Schütz

ISBN-13: 978-3-453-43286-4

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 17.05.2008, zuletzt aktualisiert: 27.03.2024 18:54, 6522