Rezension von Christel Scheja
Terry Pratchett hat mit seinen „Scheibenwelt“-Romanen Klassiker der Fantasy-Literatur geschaffen, in denen er nicht Mythen, Legenden und Klischees der phantastischen Genres auf den Kopf gestellt und unterhaltsam interpretierte, sondern auch ganz menschliche Marotten. Und er ist mit der Zeit gegangen, hat das einst mittelalterliche Zentrum seiner Welt in die Zeit der industriellen Revolution geführt, um so noch mehr die Eigenheiten seiner Landsleute auf die Schippe zu nehmen. Das merkt man auch „Mrs. Bradshaws höchst nützliches Handbuch für alle Strecken der Hygienischen Eisenbahnen Ankh-Morpork und Sto-Ebene“ an.
Die Eisenbahn ist eine relativ neue Erfindung der Scheibenwelt und deshalb recht spannend. Außerdem kann man jetzt an Orte und in Regionen reisen, für die man früher wesentlich länger brauchte und viel mehr Geld aufwenden musste. Dazu kommt, dass die Reisen selbst bequem geworden sind, wenngleich es einige Tücken zu beachten gibt. Deshalb versucht nun die wohlhabende und abenteuerlustige Witwe Bradshaw den interessierten Reisenden darüber aufzuklären, was wahr und was falsch ist, was es trotz allem zu beachten gilt. Sie nimmt sich auch die Zeit, die Strecken ausführlichst vorzustellen.
Der Ratgeber stellt zunächst einmal den Bahnhof von Ankh-Morpork vor, erklärt, welche Wagenklassen es in den Zügen gibt und welchen Komfort man dort erwarten kann, gibt Tipps zum Erwerb eines Tickets und klärt über Mythen auf, die sich in den ersten Monaten und Jahren gebildet haben.
Dann klappert sie die einzelnen Strecken ab, es gibt Informationen über Land und Leute, Sehenswürdigkeiten und Lokalitäten, in die der Reisende einkehren kann, wenn er an einem Ort halt macht. Kurzum, die gibt dem Leser ein informatives Buch in die Hand, mit dem eigentlich nichts mehr schiefgehen kann.
Wie der Titel schon verrät ist „Mrs. Bradshaws höchst nützliches Handbuch für alle Strecken der Hygienischen Eisenbahnen Ankh-Morpork und Sto-Ebene“ klein Roman, sondern eher ein amüsant geschriebenes Sachbuch im Stil eines Ratgebers mit eingebundenem Reiseführer, wie es diese sicherlich gerade in England um 19. Jahrhundert gegeben hat.
Und daran hat sich Terry Pratchett auch orientiert. Erzählweise und Inhalt sind altertümlich aufbereitet, auf viktorianische Weise belehrend und doch mit einem gewissen Augenzwinkern geschrieben, so dass man den Inhalt nicht gerade ernst nehmen kann.
Auch der Laie wird sehr schnell merken, dass der Autor nicht unbedingt viel neu erfindet, sondern Klischees und klassische Vorstellungen für die Scheibenwelt adaptiert und interpretiert. Wie bei seinen Romanen sind längst nicht alle Gags offenkundig, einige müssen auch erst zwischen den Zeilen herausgelesen werden.
Alles allem lässt sich der Band aber sehr gut lesen und ist stimmungsvoll gestaltet – dafür sorgen vor allem die holzschnittartigen Zeichnungen, die viktorianischen Buchillustrationen nachempfunden sind, auch bei der Wahl der Schrifttypen hat man sich bewusst aus diesem Fundus bedient.
Lesevergnügen ist garantiert, denn Pratchett lässt sich immer wieder Neues einfallen, um den Leser zu amüsieren und aus der Sicht einer Einheimischen durch eine Welt zu führen, die sich stark gewandelt hat, seit sie angefangen hat Schauplatz seiner Romane zu werden.
„Mrs. Bradshaws höchst nützliches Handbuch für alle Strecken der Hygienischen Eisenbahnen Ankh-Morpork und Sto-Ebene“ sei allen Scheibenwelt-Fans empfohlen, die ein hübsch gestaltetes Büchlein mit weitergehenden Informationen mögen, dass zwar keine neuen Geschichten erzählt, aber durch die liebevolle Präsentation der Welt seinen eigenen Platz in der Sammlung bekommen sollte, sind die Beschreibungen doch mindestens zu abwechslungsreich und schräg wie die Handlung eines Romans.