Necronomicon: Horrorgeschichten (Autor: Howard Philips Lovecraft)
 
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Necronomicon: Horrorgeschichten von Howard Philips Lovecraft

Rezension von Ingo Gatzer

 

"Necronomicon" ist der vierte von insgesamt sechs Bänden, der neu übersetzten Werke von Howard Philips Lovecraft, welche der auf phantastische Literatur spezialisierte Verlag Festa derzeit neu herausbringt. Der 1937 verstorbene Autor gilt bis in die heutige Zeit als einer der einflußreichsten amerikanischen Horror-Schriftsteller überhaupt. Das Äußere des Buches ist wie auch bei den ersten Teilen der Werkausgabe ansprechend: schwarz eingebundenes Hardcover mit goldener Schrift, Schutzumschlag und Lesebändchen. Man fühlt sich unweigerlich an die englischsprachige Ausgabe von Arkham House erinnert.

 

In der ersten Geschichte beschreibt der Ich-Erzähler seinen Aufenthalt in der verfluchten und gemiedenen "Stadt ohne Namen", die irgendwo in der Arabischen Wüste liegen soll. Nach einigen Mühen findet er den Zugang zu einem Tempel und entdeckt dort Altäre und Spuren von Wandmalereien jener alten Rasse, welche die Stadt einst erbaut hat. Voller Neugier wagt der Chronist den Abstieg durch einen tiefen, eigentümlich engen Schacht, zwängt sich kriechend durch niedrige Gänge und findet sich in völliger Finsternis vor, als seine Fackel erlischt. Endlich stößt er in einer Halle auf Bildnisse, welche die Geschichte der Erbauer der Stadt ohne Namen zeigen. Seltsamerweise werden diese reptilienartig dargestellt, eine Allegorie, wie der Ich-Erzähler zunächst vermutet, bis er ein grauenhaftes Erlebnis hat.

"Stadt ohne Namen" besticht durch die geschickt evozierte unheimliche Atmosphäre, welche durch die menschenleere Wüsteneinöde, die uralten Ruinen und später die klaustrophobischen Tunnel geprägt wird. Zwar scheint hier alles schon lange tot zu sein, durch die suggestive Wortwahl - die auch in der Übersetzung gelungen ist - wirkt aber alles auf ungute Weise lebendig. Durch einige vage Andeutungen des Ich-Erzählers über den Ausgang seines Abenteuers werden immer wieder Spannungsbögen erzeugt, die sich erst gegen Ende völlig auflösen. Der Schluss ist leider für den Lovecraft-Fan nicht besonders überraschend, aber durchaus effektvoll gestaltet. Insgesamt also ein gelungener Auftakt des Buches.

 

Die Erzählung "Das Fest" beschreibt die Reise des Ich-Erzählers nach Kingsport, wo er als Abkömmling eines betagten Geschlechts an der Feier des Julfest teilnehmen soll, um so uralte Geheimnisse zu bewahren. Nachdem er den unheimlichen Ort durchquert hat, gelangt der Chronist zum Haus seiner ihm unbekannten Angehörigen. Ein merkwürdiger stummer Mann öffnet ihm und führt ihn zum Ort des Festes. Doch dieses erweist sich bald als so schrecklich, dass der Ich-Erzähler nur einen Ausweg sieht, um dem Grauen zu entkommen.

Auch "Das Fest" verdankt seine Wirkung der schaurigen Stimmung, die der Autor durch die Schilderung der Stadt immer weiter intensiviert: Die endlosen Irrgärten der engen Gassen, die uralten Häuser der Kolonialzeit oder die schwarzen, ghoulischen Grabsteine. Hier gestaltet Lovecraft unüberlesbar einige Eindrücke seiner Reisen in verschiedene kleine Orte an der nordamerikanischen Ostküste, die für ihn mit ihren alten Kolonialbauten ein Faszinosum darstellten. Am Ende der Geschichte ist sich der Leser nicht ganz sicher, ob der Protagonist wirklich etwas übernatürliches erlebt hat, oder er nur an einer "Psychose" litt, wie die Ärzte vermuten. Die Existenz des Phantastischen und Grauenhaften ist zwar wahrscheinlich, bleibt aber fraglich, weil stets nur der labile Ich-Erzähler als Gewährsmann auftritt. Der eigentliche Horror-Höhepunkt ist allerdings nicht so wirkungsvoll gestaltet, wie man es vom Altmeister des kosmischen Grauens gewohnt ist. Gerade weil es dem Autor aber gelingt, ein wirkungsvolles Stimmungsbild zu zeichnen, bleibt die kleine Erzählung lesenswert.

 

"Das gemiedene Haus" ist ein geheimnisvolles Bauwerk, an dem der Auskunft des Erzählers zufolge, bereits der berühmte Edgar Allan Poe bei seinem Aufenthalt in Providence vorbei spazierte. In dem Gebäude sollen Menschen in erschreckend großer Zahl gestorben sein. Als der Ich-Erzähler aus den Notizbüchern seines Onkels mehr über die seltsamen Todesfälle erfährt, ist seine Neugier geweckt und er beginnt selbst mehr über das gemiedene Hauses in Erfahrung zu bringen. Mit wissenschaftlicher Ausrüstung versehen, beschließen der Ich-Erzähler und sein Onkel einige Nächte im Keller des alten Gebäudes zu verbringen. Bald erfahren sie genauer, warum das Haus gemieden wird...

Der Geschichte merkt man an, dass Lovecraft von der georgianischen Architektur und den alten kolonialen Bauwerken in Providence fasziniert war. Auf den durchschnittlichen Leser wirken entsprechende ausführliche Beschreibungen und vor allem die exzessiv dargestellte Chronik des Hauses sowie die lange Geschichte und Genealogie seiner Bewohner aber leider etwas ermüdend. Doch ist es auch diesem Detailrealismus und Strategien wie der genauen Verortung des Geschehens im realen Ort Providence, das Anführen angeblich realer Quellen oder dem teilweise dezidiert wissenschaftlichen Erzählton - inklusive Rückgriffe auf Relativitätstheorie und Quantenmechanik (frei aber gut übersetzt) - zu verdanken, dass der Autor sein "game of make believe" mit dem Leser so überzeugend wie selten spielt. Der Text mutet deshalb in einigen Teilen eher wie eine Tatsachenbeschreibung als eine Horrorgeschichte an, wodurch das am Ende heraufbeschworene Grauen noch stärker und realer wirkt. Für Spannung sorgen zudem die Lovecraft-typischen in die Erzählung eingestreuten Andeutungen zu den später folgenden unheimlichen Ereignissen. Ein, trotz einiger Längen, lesenswertes Werk, mit einem - wenn man das Oeuvre des Autors betrachtet - eher unübliches Ende.

 

Die Erzählung "In den Mauern von Eryx", die Lovecraft zusammen mit Kenneth Sterling verfasste, ist eine für der den Einsiedler aus Providence eher ungewöhnliches Werk. Ort der Handlung ist nämlich der Planet Venus, auf dem in einer fernen Zukunft die Menschen nach Kristallen schürfen, um ihren Energiebedarf zu decken. Dabei geraten sie immer wieder mit den auf den Planeten heimischen Echsenwesen in Konflikt. Auf einer Expedition stößt der Prospektor Stanfield auf einen großen Kristall, den ein verstorbener Kollege umklammert hält. Zunächst kann er dessen Todesursache nicht entschlüsseln, ist aber schon bald in einem Rätsel verstrickt, dass ihn nicht wieder los lässt.

In dieser Science-Fiction-Geschichte vermisst man die bei Lovecraft typische unheimliche Atmosphäre. Zudem ist die Erzählung ist auch etwas zu lang geraten und liest sich gerade am Anfang etwas zäh. Die interessante Grundidee und der fiktive Detailrealismus - etwa die Diskussion der Vorteile einer Atemmaske mit Porenspeicher gegenüber einem Modell mit Sauerstoffflaschen - versöhnen den geduldigen Leser aber schnell wieder. Trotzdem hätte man aus der guten Idee sicherlich etwas mehr machen können, gerade was die eher enttäuschende Schlusspointe betrifft. Das sich die Kristallschürfer auf der Venus durch dichte Urwälder kämpfen müssen, mag den heutigen Rezipienten natürlich amüsieren, ist aber wohl dem geringeren allgemeinen astronomischen Wissensstand zur Zeit der Abfassung des Werkes geschuldet.

 

"Gefangen bei den Pharaonen" entstand "nach einer Idee und im Auftrag von Harry Houdini", wie von Herausgeberseite betont wird. Das ist die euphemistische Umschreibung der Tatsache, dass Lovecraft hier als Ghostwriter für den bekannten Entfesselungskünstler tätig wurde. Die Geschichte beschreibt eine Ägyptenreise des berühmten Harry Houdini, während der er unter einem Vorwand von Arabern in eine Falle gelockt wird. Er wird von ihnen überwältigt, gefesselt und in einem Schacht tief in oder unter einer Pyramide gesperrt, um seine Fähigkeiten als Magier zu testen. Auf seiner Flucht erlebt Houdini Visionen und Schrecken, wobei die Grenze von Realität und Einbildung bald verschwimmt.

Dem Werk ist leider nur allzu deutlich anzumerken, dass es sich "nur" um eine Auftragsarbeit handelt, in der Lovecraft kein Herzblut investiert hat. Die Story braucht viel zu lange um in Gang zu kommen, ist teilweise klischeehaft und insgesamt nicht überzeugend. Gerade hier werden einige der von Lovecraft-Kritikern immer wieder angeführte Schwächen im Stil des Horror-Schriftstellers deutlich, etwa der exzessive Gebrauch von - zudem manchmal eher unsinnigen - Adjektiven. Kann Lovecraft in den teils fiktiven, teils realen Ostküstenstädten Nordamerikas gekonnt eine überzeugende Atmosphäre des Unheimlichen herauf beschwören, so muss er vor den uralten Pyramiden Ägyptens kapitulieren. Mit Abstand der schlechteste Beitrag des Buches.

 

Versöhnt wird der Leser allerdings mit dem Werk "Berge des Wahnsinns", welches eher einen Kurzroman als eine Erzählung darstellt. Die Story beginnt mit dem Aufruf des Ich-Erzählers - eines Geologen der Miskatonic University - von weiteren Expeditionen in die Antarktis abzusehen. Als Begründungen liefert er nur vage Anhaltspunkte, die dem Rezipienten erst nach und nach deutlich werden, als er minutiös seine Erlebnisse bei seiner Südpol-Expedition, welche die Gewinnung von Gesteinsproben zum Ziel hatte, berichtet. Eine Expeditionsgruppe hatte bislang unbekannte fassförmige Fossilien endeckt und dieses über Funk berichtet. Als der Ich-Erzähler mit seinen Leuten das Lager dieser Gruppe aber eigenartig verwüstet findet, stößt er bei der weiteren Erforschung auf eine archäologische Sensation vom enormer Tragweite. Diese wird aber von einer grauenhaften Bedrohung für die ganzen Menschheit überschattet. Denn das ist nicht (immer) tot, was (fast) ewig liegt...

Fraglos stellt "Berge des Wahnsinns" eines von Lovecrafts besten Werken dar. Die anfänglichen Andeutungen des Ich-Erzählers, über das, was er in der Antarktis erlebt hat, bleiben so unbestimmt, dass dadurch die Neugier des Lesers geschickt angestachelt wird. Der Sprachduktus ist im ersten Teil des Textes bewusst wissenschaftlich gehalten und soll - auch durch die minutiöse Angabe von Längen- und Breitengrade während der Reise - Glaubwürdigkeit suggerieren. Nach und nach hält aber immer deutlicher, zunächst Staunen und dann Horror in die Handlung Einzug und zwar jenes kosmische Grauen, durch das Lovecraft zu Recht so berühmt wurde. Dabei bemüht sich der Autor - auch als das übernatürliche Grauen Gestalt annimmt stets um Plausibilität. Um die Stimmung zu intensivieren weist der Ich-Erzähler immer wieder auf die Bilder des Malers Nicholas Roerich hin, die eine ähnliche suggestive Aura des Unheimlichen ausstrahlen wie Lovecrafts Texte. Das Spannungsniveau wird immer wieder durch vage Andeutungen, die nur nach und nach und scheinbar widerwillig entschlüsselt werden, sowie einige eher Lovecraft-untypische temporeiche Sequenzen, fast durchgängig hoch gehalten. Genauso ungewohnt - weniger in seinen Briefen als in seinen Geschichten - aber durchaus passend ist zudem die Prise bitteren Humors, mit dem der Autor diesen Kurzroman würzt und sich mit der Menschheit einen kleinen bösen Scherz erlaubt. Kenner der Werke von Poe werden zudem eine interessante Anspielung finden. Absolut lesenswert.

 

Das Highlight unter den Bonusmaterialien ist sicherlich die "Geschichte des Necronomicons", jenes von Lovecraft erdachten fiktiven, grauenhaften Buches, das bis heute in diversen Werken des Horrorgenres - und als plumpe Fälschung in einigen Bibliotheken und Buchhandlungen - herumgeistert. Mit der Veröffentlichung dieses Buches gibt es also erstmals ein ´echtes` Necronomicon. Lovecrafts liebevoll aufbereitete, akribische Darstellung sei jedem, der sie noch nicht kennt, ans Herz gelegt. Weniger interessant ist der Text "Katzen und Hunde", der die Frage "Was ist das bessere Tier?" zum Gegenstand hat und deutlich die ´Handschrift` des Katzenfreundes Lovecraft offenbart. Das kurze Gedicht "Für Klarkash-Ton, Lord of Averoigne", das der Autor - erkenntlich durch den verballhornten Titel - seinem Freund Clark Ashton Smith gewidmet hat und Hazel Healds "In Memoriam" anläßlich des Todes von H. P. Lovecraft runden das Bonusmaterial ab.

 

Bei der Übersetzung aus dem Amerikanischen ist es A. F. Fischer gelungen, die suggestive Wortwahl und Konnotationen der Originaltexte ins Deutsche zu retten. Wenn man wirklich an etwas herummäkeln will, dann an der Aufnahme der ziemlich misslungenen Geschichte "Gefangen bei den Pharaonen" und des Textes "Katzen und Hunde". Statt dessen hätte man einige Briefe Lovecrafts aus den "Selected Letters" aufnehmen können beispielsweise über seine Besuche kleiner Küstenorte in Neuengland, die Vorbild für viele von Lovecrafts Grauensszenarien wurden. Ein weiterer Superbonus wäre zudem der Abdruck einiger jener Bilder von Nicolas Roerich gewesen, die Lovecraft offensichtlich bei der Abfassung von "Berge des Wahnsinns" inspiriert haben. Dem interessierten Leser sei hier der Blick auf einschlägige Internetseiten unbedingt empfohlen.

Aber auch so bleibt die Werkausgabe von Festa im Allgemeinen und "Necronomicon" im Speziellen für alle Fans, die Lovecrafts Texte nicht im amerikanischen Original lesen möchten, die erste Wahl. Hoffentlich wird für die Wenigen, die noch nicht mit dem Einsiedler von Providence in Berührung gekommen sind, die Erstlektüre zu einem erlesenen Grauen.

 

Das "Necronomicion" kann somit - anders als sein ´fiktiv-reales` Vorbild - jedem Horrorfreund bedenkenlos ans Herz gelegt werden, da das Buch nicht verflucht, wohl aber verflucht gut ist.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403290332456a94c168
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Necronomicon: Horrorgeschichten

Autor: Howard Philips Lovecraft

Gebundene Ausgabe - Festa - 320 Seiten

Erscheinungsdatum: 29. November 2007

ISBN-10: 3865520634

ISBN-13: 978-3865520630

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 23.01.2008, zuletzt aktualisiert: 12.01.2024 16:06, 5703