New Wave (Autor: Christian Kracht)
 
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New Wave von Christian Kracht

Untertitel: Kompendium 1999-2006

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

SCHAFFNER: Evangelischer Stadtstaat Hamburg! Ihre Konfessionspapiere bitte!

- Christian Kracht, New Wave, S. 280

 

New Wave trägt den Untertitel "Ein Kompendium 1999-2006" völlig zu Recht: Es versammelt neunzehn höchst unterschiedliche Texte des Schriftstellers und Journalisten Christian Kracht, die dieser – der Leser wird es ahnen – in den Jahren von 1999 bis 2006 verfasste und zum Teil auch schon veröffentlichte.

Bei diesen Texten handelt es um Reisereportagen, Auszüge aus seiner E-Mail-Korrespondenz, Fragmente von Erzähltexten, Theaterstücken, Fachartikel etc. pp. Sie sind zwischen drei und sechsundsechzig Seiten lang. Auch die Inhalte gehen weit auseinander: Bundeswehrsoldaten in Djibuti, retardierte Alpenbewohner, pathetische Künstler, der Chic des Herrn Springer. Dennoch verbindet sie Krachts Interesse am Menschlichen, sein Sinn für Humor und das Bizarre.

 

Zu den einzelnen Texten:

Et in Arcadia Ego (Ein Besuch in Djibuti; 2003, 9 S.): Kracht hat Spaß im kleinsten Land Afrikas: Er trifft den Baumarktkönig von Djibuti und irritiert eine Bundeswehrsoldatin mit unreflektierten Fragen zur Haarlänge.

Der durstige Krieg (Ein Gespräch mit dem Chaco-Veteran Bernhard Fischer; 2004, 6 S.): Kracht interviewt einen Veteran des Krieges zwischen Bolivien und Paraguay 1932-1935, der ganz klassisch um Bodenschätze geführt wurde. Er hört von einigen Kriegsgräueln und seltsamen Begebenheiten.

Der Weg zur Absorptionskältemaschine (Erzählung; 2004, 4 S.): Einstein und Szilard streiten über Kühlverfahren; Szilard kommt auf seines aufgrund seiner Blähungen. Hierbei handelt es sich um eine humorige Variante von der Erzählung, bei der dem in der Badewanne sitzenden Isaac Newton ein Apfel auf dem Kopf fällt.

Retard (Erzählung, 2001, 4 S.): Albert Voss kennzeichnet Müllfunde. Am Morgen durchblättert er einige Polaroids, die rapide verblassen. Missmutig nimmt er es hin. Eine sehr seltsame, kleine Erzählung.

Das ägyptische Furnier (Ein Besuch in Kairo; 2006, 7 S.): Eine Reihe von exotischen, liebenswert-kitschigen, aber durchaus klugen Impressionen aus Ägypten – Kracht muss leise "Arrakis" wispern.

Das Tagebuch der Entsagungen (Ein Besuch in der Buchinger Klinik; 2005, 13 S.): Kracht liefert sich selbst ein, um eine Woche zu fasten, und reagiert darauf mit überzogener Euphorie, zu lebhaften Sinneseindrücken usw.

Wie der Boodhkh in die Welt kam und warum (Ein Besuch in der Mongolei; 2003, 14 S.): Kracht stolpert über ein altes. Geheimnisvolles Murmeltierrezept, das er unbedingt probieren will. So tritt er eine wahrhaft desillusionierende Reise ins Land des Schamanismus an.

Hubbard (Theaterstück; 2006, 66 S.): Die beiden erfolglosen Künstler Sven und Ludwik versuchen mit allen Mitteln zum Erfolg zu kommen. Sehr, sehr bizarr!

Alles Vergessene sammelt sich an der Decke (Ein Besuch in Afghanistan; 2006, 13 S.): Kracht besucht den französischen Regisseur Christophe de Ponfilly, der im vom Bürgerkrieg zerrütteten Afghanistan einen Film dreht, und lernt etwas über das alte Verhältnis des Landes zu Deutschland, den Wahnsinn des Kriegs und den katastrophalen Bedingungen im Land – Apocalypse Now light.

Das Ende der Leine I (Ein Briefwechsel; 2003, 10 S.): Ariane Grigoteit fragt via E-Mail an, ob Kracht nicht einen Essay für das Kunstmagazin Visuell verfassen möchte. Daraus entspinnt sich ein seltsamer E-Mail-Verkehr.

Du Côté de Chez Springer (Eine Reminiszenz; 2005, 4 S.): Kracht erinnert sich an den bürgerlichen Chic des Gentleman Axel Springer.

Die Schweiz (Ein Gespräch mit Joachim Bessing; 2001, 13 S.): Kracht führt einen bizarren Dialog über die absurden Eigenarten der Schweiz – wenn man eine Käseglocke über das Land stülpte, würde es aufgrund der geringen Anbindung an die Erde und der Erwärmung abheben.

Bienen auf dem Kuchen (Fragment einer Erzählung; 2002, 3 S.): Während Kracht mit seinem Freund Kreisler an einem wunderschönen, eisigen Tag in die Berge fährt, wird er von einer Biene belästigt. Eine seltsame Szene.

Der Gesang des Zauberers (Erzählung; 1999, 24 S.): Ein eigentümlicher Deutscher erzählt von seiner Zeit als Drogenkurier. Wie die Hälfte eines Gesprächs aufgebaut: Es gibt Abschweifungen, Vorgriffe, kleine Einschübe, die auf den Gesprächspartner reagieren usw., aber es fehlen die Reaktionen des Gesprächspartners selbst.

Das Ende der Leine II (Ein Briefwechsel; 2003, 8 S.): Ein weiterer E-Mail-Verkehr, bei dem ein Fan zunächst eine banale Frage an Kracht hat, doch da dieser sich für einen Namensvetter ausgibt, wird daraus eine eigentümliche Unterhaltung.

Der Geist von Amerika (mit Ingo Niermann. Ein Besuch in Vanuatu; 2004, 14 S.): Kracht berichtet fußnotenreich vom seltsamen Cargo-Kult auf Tanna, der Kava-Konsum, Kannibalismus (nur noch symbolisch?) und Animismus in sich vereint – auch der Geist Amerikas weilt auf Tanna.

Der Name des Sterns ist Wermut (mit Eckhart Nickel. Ein Besuch in Tschernobyl; 2005, 17 S.): Krachts Reisereportage verknüpft die Johannes Offenbarung mit dem Alltag der Ukraine nach dem Unfall, der über das Annehmbare hinaus ging.

Faserland (mit Eckhart Nickel. Science-Fiction-Film/Treatment; 2004, 23 S.) und Faserland (mit Eckhart Nickel. Science-Fiction-Film/Drehbuch, die ersten achtundzwanzig Seiten; 2003, 49 S.): Das Atomkraftwerk Rheinsberg nahe Berlin ist explodiert und nun ist fast das gesamte Gebiet der ehemaligen DDR radioaktiv verseucht. Der Yuppie-Hippie Alfie hat nach einem Unfall sein Gesicht und sein Gedächtnis verloren. Kurz nach Erwachen in der Klinik wird er von einem seltsamen Alten auf eine bizarre Queste in die Zone geschickt, um eine Frau zu finden. Dunkle Hintermänner hoffen indes, dass der verwirrte Alfie das Kästchen der Dönitz öffnet. Die beiden Texte behandeln den sehr seltsamen Stoff auf unterschiedliche Weise – das Treatment ist eine eher nüchterne, aber vollständige Inhaltsangabe, das Drehbuchfragment versucht die Reize der Geschichte einzufangen, ist aber unvollständig.

 

Fazit:

Es ist schwer, ein finales Verdikt über New Wave auszusprechen, weil es außerordentlich vielfältig ist, weil Kracht darüber hinaus unablässig die Grenzen von Sachtext und Erzähltext, Fakt und Fiktion, Realem und Phantastischem verwischt. Er bietet weder Kurzgeschichten, noch hart recherchierte Berichte, sondern etwas dazwischen. Nero Wolfe meinte einst, dass Texte drei Tugenden hätten: Sie könnten unterhalten, sie könnten informieren und sie könnten den Geist anregen. Mit seinen mal bizarren, mal komischen, zumeist absurden Texten kann Kracht kaum die beiden ersten Tugenden verfolgen – die dritte fängt er dafür gelegentlich ein. Oft genug schweift der Geist beim Lesen ab und man fragt sich, was an der Sache dran sein mag. Manchmal beginnt man dann selbst zu recherchieren.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240424173158142c0766
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Textsammlung:

Titel: New Wave

Untertitel: Ein Kompendium 1999-2006

Original: -

Autor: Christian Kracht

Übersetzer: -

Verlag: dtv (August 2009)

Seiten: 302 - Broschiert

Titelbild: Corbis/Sygma/Georges Pierre

ISBN-13: 978-3-423-13775-1

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 14.12.2009, zuletzt aktualisiert: 09.10.2023 18:14, 9741