Nordseeblut (Autor: Jens Lossau)
 
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Nordseeblut von Jens Lossau

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Inspiration kann manchmal ein Bumerang sein. Hat man genug davon, sieht die Welt rosig aus. Stellt sich das Gegenteil ein, wünscht man sich nichts sehnlicher, als sich in eine dunkle Höhle zu verkriechen; fernab von den Lästermäulern und Kritikern. Albert Rothmann kann über Beides ein Liedchen singen. Nach zwei Romanen – der eine ein lokaler Bestseller, der andere wenn überhaupt besseres Altpapier – will, nein, muss er an den Erfolg längst vergangener Tage anschließen. Doch die Suche nach einem knackigen Einfall klingt nur in der Theorie leicht; in der Praxis stellt sie sich als tonnenschwer heraus. Besonders wenn man ein Einwohner der nordwestlichsten Stadt auf dem deutschen Festland ist – und der Winter das kleine ostfriesische Städtchen Norden unter einer Schneedecke begraben hat. „Zum Düwel“, kann man da wohl nur sagen. Im Falle von Albert Rothmann ist dies jedoch ein Ausspruch, den man besser nicht verwenden sollte. Denn der Mann hat eine Leiche im Keller vergraben – und die meldet sich mit Vehemenz zurück, nachdem ihm ein Spaziergang unvermittelt zu dem Versteck einiger Jungs geführt hat. „Wengry“ lautet der Name jenes Ungetüms, an das sich der Autor nur noch, wenn überhaupt, fragmentarisch erinnern kann. Spielt auch keine Rolle. Für etwaigen Inspirationsnachschub könnte sich der Schemen aus der Vergangenheit nämlich als ziemlich nützlich erweisen – sofern er richtig eingesetzt wird.

 

Und so fällt der Startschuss für ein anfangs kleines, aber rasch immer perfider werdendes Spielchen; verwandeln sich die Jugendlichen in brave kleine Zinnsoldaten und Versuchsobjekte gleichermaßen. Was zunächst mit eher harmlosen Mutproben seinen Anfang nimmt – vorzugsweise mittels geheimnisvoller handschriftlicher Botschaften oder dank verzerrten Telefonanrufen initiiert – wird mit jeder weiteren Ebene abartiger und gewissenloser. Und es ist auch Rothmanns Gewissen, welches den Schriftsteller dringlichst begehrt, dem unheimlichen Schabernack ein Ende zu bereiten. Nicht nur um seiner, sondern vielmehr auch um der Kinder Willen, die auch ohne den Spuk namens Wengry genug Probleme haben; besonders innerhalb der eigentlich als sicher geltenden, heimischen vier Wände.

Doch es ist zu spät. Aus dem Hirngespinst Wengry ist die sehr wohl reale Bedrohung Wengry geworden. Doch wer – oder was – ist es? Oder er? Rothmann sieht nur eine Möglichkeit, einen Schlussstrich unter den Terror zu setzen. Dafür muss er freilich andere Geister beschwören – die seiner eigenen Vergangenheit; tief vergraben in den Fragmenten seiner Kindheit, in deren Mittelpunkt das verblasste Antlitz eines alten Freundes und die Überreste einer ausgebombten Lungenklinik stehen ….

 

Nanu? Jens Lossau ohne Jens Schumacher? Kann das wirklich funktionieren? Eine sicherlich berechtigte Frage, wenn man die mehr als originellen Fantasy- und Horror- und Krimiwerke des dynamischen Duos kennt. Doch keine Sorge: Es geht auch ohne. Ganz ausgezeichnet sogar. Von Anfang an macht Lossau unmissverständlich klar, dass er nicht nur auf eigenen Füßen stehen will, sondern dessen auch imstande ist. Mit geradezu Uhrwerkhafter Präzision und stilistischer Raffinesse lässt er mit jeder weiteren Seite den Schrecken unbemerkt und auf leisen Sohlen sich immer weiter ausbreiten, bis ein Entrinnen ausgeschlossen ist. Weder für seine Protagonisten, noch für den Leser. Dabei wird weitestgehend auf plumpe Holzhammermethoden verzichtet. Lossaus Stärke – neben seiner kraftvoll-originellen Schreibweise – ist das Feingespür für seine (Anti-)Helden und die Konsequenz, mit der er sie dem Abgrund immer näher bringt. Die fast schon als chirurgisch zu bezeichnende Präzision, die dabei zur Verwendung kommt, ist mehr als bemerkenswert. Das ist großes Kino, verpackt zwischen zwei Buchdeckel. Wenn überhaupt, so ist die körperlose Entität namens „Wengry“ lediglich eine Art übernatürliches „MacGuffin“; der Kitt, der Rothmann und die minderjährigen Opfer seiner Farce zusammenhält – lässt man deren ganz persönliche Dämonen außen vor. Für Lossau tummeln sich die eigentlichen Ungetüme nicht in der Grauzone zwischen Leben und Tod. Bei ihm erwachen sie im Elternhaus, auf dem Sozialamt oder beim Nachgeben der eigenen masochistischen Tendenzen.

 

Fazit:

Nordseeblut ist mehr. Mehr als nur gewöhnlicher Horror, mehr als nur ein weiterer Regionalthriller. Es ist das Hinabgleiten in eine Welt, die wir gerne verdrängen, deren Schatten aber dadurch nur umso größer werden. Es ist eine meisterhafte Fahrt in die finstersten Ecken und hintersten Winkel der menschlichen Psyche; hin zu jenem Ort, an dem die grausamsten Bestien lauern. Oder anders ausgedrückt: Psychohorror der absoluten Spitzenklasse! Vincent Preis, ick hör’ dir trapsen …

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240425080742f0a9a978
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Buch:

Nordseeblut

Autor: Jens Lossau

gebunden, 274 Seiten

Blitz-Verlag, Oktober 2010

 

ISBN-10: 3898402991

ISBN-13: 978-3898402996

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 20.01.2011, zuletzt aktualisiert: 30.03.2024 19:30, 11462