Odem des Todes herausgegeben von Alisha Bionda
Anthologie
Rezension von Ralf Steinberg
Rezension:
Eine Anthologie von Kurzgeschichten als Hommage für Edgar Allan Poe ist an sich nichts ungewöhnliches. Alisha Bionda versammelt in Odem des Todes jedoch Texte, die den Autor nicht nur nacheifern wollen, sondern ihn anhand biografischer Begebenheiten oder literarischer Werke selbst zu Wort kommen lassen.
Daher sei eine Warnung angebracht: Einige der Geschichten verbinden Fiktives und Bekanntes aus dem Leben und Schaffens Poes so eindringlich miteinander, dass es durchaus denkbar erscheint, dass man sich hinterher dieser erdachten Ereignisse so sicher wähnt, als wären sie tatsächlich geschehen.
Wem Edgar Allan Poe bisher nur dem Namen nach bekannt war, dürfte ihn nach der Lektüre besser kennen. Oder zumindest den Teil davon, den die Autoren uns verführerisch ins Ohr flüsterten ...
Die Sammlung beginnt ganz raffiniert mit Arthur Gordon Wolfs Die Geister der Vergangenheit.
Ein unbekannter Brief Poes gibt dem Autoren die Möglichkeit, eine Kindheitserinnerung Poes zu beschreiben, die wesentliche Züge späterer Texte enthält. Wolf beherrscht dabei den Duktus zeitgenössischer Literatur so perfekt, dass man den Brief und somit die Schilderung der Ereignisse im Kohlenberg tatsächlich glaubt. Das Spiel mit dem Text im Text im Text funktioniert dabei ebenso gut, wie auch die Mischung aus psychologischem Horror und mystischer Verklärung.
Ein gelungener Auftakt, der die Messlatte sehr hoch hängt.
Stilistisch schlägt Florian Hilleberg modernere Töne an, wenn er Poe in Süße Liebe Wahnsinn in die Fänge einer Wahnsinnigen treibt. Das Adoleszenz-Drama überrascht den Phantastikleser zwar nicht, bietet dafür aber eine getriebene Atmosphäre, die der Poesie hinter der Tragödie gerecht wird.
Nicolaus Equiamicus widmet sich in Die Rosenbrosche dem Hintergrund der Dupin-Story Das Geheimnis der Marie Rogêt und erdenkt eine romantische Verbindung zwischen Poe und dem Opfer.
Vielleicht etwas zu sehr an den Haaren herbeigezogen und thematisch sicherlich nicht jedermanns Fall, ist die Geschichte eher einfach gestrickt.
Dem Mysterium um Poes Tod widmet sich Christian Endres in Das Urteil.
Auch hier finden Interpretation und Stil nicht zu einer überzeugenden Verbindung. Die eher uninspirierte Idee, Poe müsse sich für seine Phantastik vor Odin verantworten, erinnert doch etwas zu sehr an amerikanische Superheldencomics.
In Metzenger von Sören Prescher dienen die familiären Verluste Poes als Ausgangspunkt der dunklen Melancholie, die Poes Werke ausstrahlen. Eine geheimnisvolle Figur offenbart Poe, dass er auserwählt sei, vor seinem Tod noch großartige Werke zu vollbringen. Und natürlich folgt Poe diesem Zwang.
Diese Art des Getriebeneins taucht wie der Bruder noch in weiteren Geschichten auf. Poe wird hier zu Kreatur dunkler Mächte, die zu schwach ist zu widerstehen und durch äußere Dämonen gezwungen ist, seine inneren auszuleben.
Bei »Metzenger« wirkt dieser Schreibauftrag noch etwas aufgesetzt, man kann vermuten, dass Prescher durch das Anklingen Poes erster Kurzgeschichte die Motive der grotesken Geschichten zu Ausflüssen einer kranken Seele erklären möchte.
Dave T. Morgan geht in seiner kurzen Story Auf Messers Scheide auf den »Roten Tod« und Poes Frau Virginia ein. Todesahnungen führen auch hier zu Verzweiflung und dem Verfassen einer Erzählung (Die Maske des Roten Todes). Morgan inszeniert diese Hoffnungslosigkeit einfühlsam und bietet damit eine passende Einstimmung für den folgenden Kurzroman, der völlig zu Recht im Zentrum der Anthologie steht und ihr seinen Namen gab.
Odem des Todes von Erik Hauser greift alle Lebensstationen Poes auf, konzentriert sich aber auf die Beziehung der beiden schreibenden Brüder. Edgar wird dabei als der zweifelnde Bruder beschrieben, der sich zu Recht im Schatten von Henry sieht. Wiederum zwanghaft verfolgt er das Seemannsgarn seines älteren Bruders und kämpft gegen seine eigene Schwermut an.
Das Großartige an Hausers Text ist aber gar nicht einmal so sehr der inhaltliche Rahmen, sondern die Eindringlichkeit, mit der Poe hier als Mensch erscheint.
Bis ins kleinste Detail nehmen wir Teil an Poes Leben, lernen nicht nur seinen Alltag kennen, sondern auch das Wesen, die gar nicht phantastischen Hintergründe von Poes Werken.
Kein zynischer Gott und erst recht keine finstren Dämonen zwingen ihn zum Schreiben, sondern das Leben selbst.
Immer wieder stößt sich Poe an den Widersprüchen, die ihn lebensunfähig erscheinen lassen, mit denen er sich aber dennoch irgendwie arrangiert. Hauser gibt dem Mann mit der abgetragenen Kleidung eine figürliche Würde, formt und gestaltet sie derart intensiv, dass man genau an diesem Punkt der Anthologie ein ganz neues und intensiven Verständnis für den Menschen Edgar Allan Poe entwickelt.
»Odem des Todes« ist das magische Herz der Anthologie, sein Kern, der die anderen Texte zu schützenden Hüllen macht.
Im Schatten dieser Geschichte könnte es dunkel sein, jedoch vermag Felix Woitkowski den Leser mit Adisons Pforte ebenfalls in den Bann zu schlagen, wenn auch anders und nicht ganz so magisch.
Poe ist bei ihm ein abenteuerhungriger Student, der den Erzähler auf eine Entdeckungstour in die Geschichte mitnimmt, die die Furcht und abergläubischen Ängste nutzt, um Poes Verbindung mit der Dunkelheit zu illustrieren.
Andreas Flögel kann man als Routinier bezeichnen, sowohl was das Genre, als auch die Form anbelangt.
So liefert er mit Die fehlenden Köpfe eine Kriminalstory mit einem Hauch des Unheimlichen, die als solche auch gefällt, aber deutlich weniger mit der Persönlichkeit Poes spielt.
Hingegen ganz dicht an der Biografie Poes bleibt Dieter Winkler in Familienbande. Erneut wird die Beziehung zu Poes Bruder beleuchtet und erweitert um traumatische Ereignisse in Poes Jugend. Es gibt keinen phantastischen Hintergrund, sodass die Story insgesamt mehr von der charakterlichen Interpretation, als von der Handlung lebt.
Zurück zur Motivation führt uns Damian Wolfe. Er beschreibt Poes phantastische Ader als Produkt eines Handels. So geht es in Der Handel erneut darum, dass Poe von außen dazu gezwungen wird, zu schreiben und dabei in den Sog der Selbstzerstörung gerät.
Die Story bedient sich dabei bekannter Mittel und gewinnt dadurch keine Überzeugungskraft.
Da fährt Desirèe Hoese in Dunkel sind die Kammern deiner Träume schon ganz andere Geschütze auf. H. P. Lovercraft und Poe finden sich gemeinsam in ein Traumhaus wieder, in dessen Räumen einige der schaurigen Geschichten Poes ablaufen.
Hier erscheint uns Poe als abgebrühter Begründer des Horrors und Vorbild einer ganzen Reihe von Autoren. Die Idee, quasi im Kopf Poes und mit den Augen Lovecrafts zu wandeln, ist schon ziemlich ausgefallen, leider erwartet man irgendeine entsprechend geniale Story, die dann aber ausbleibt.
Mit dem Fortwirken des Poeschen Werkes befasst sich auch Michael Schmidt in Schwarz wie Blut.
Erneut wird der Tod von Poes Bruder in die Geschichte eingebaut und es gibt auch wieder die externe Macht, die Poe auf den Pfad seiner Geschichten schubst.
Schmidt versieht seine Geschichte mit Zeitcolorit, indem er auf die Historie der Eisenbahn eingeht. Derartige Details beleben die Geschichte, wenn auch die Dichte von Erik Hauser nicht erreicht wird.
Mit der Erwähnung einiger Erben Poes leitet die Story auf das kurze Essay von Florian Hilleberg zum Leben Edgar Allan Poes über, das die Anthologie abrundet.
Ein wesentlicher Bestandteil des Buches sind die Illustrationen und das Cover von Crossvalley Smith, die mit ihren unheimlichen Verfremdungen den Geschichten eine zusätzliche schaurige Stimmung einhauchen und die Anthologie deutlich aufwerten.
Einzig seltsam erschien die Verwendung deutscher Gänsefüßchen, aber vielleicht ist dies eine gewollte Eigenheit des Verlages.
Fazit:
Lernen sie Edgar Allan Poe anhand biografisch angelehnter Geschichten näher kennen! Sie werden eine Persönlichkeit entdecken, die mir eigen und fremden Dämonen kämpfte, aber auch in die Widrigkeiten einer Zeit eingebunden war, in der sensible Halbwaisen dem Untergang geweiht schienen.
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