Oxygenien (Autorin: Klára Fehér)
 
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Oxygenien von Klára Fehér

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

July und Peter MacGulliver wollten ihre Hochzeitsreise ganz der Mode des Jahres 3069 gemäß an Bord des zweisitzigen Raumschiffs Humanitas verbringen: In der Nähe der Weltraumstation Fortuna-710 fällt ihnen ein seltsamer, violett strahlender Planet auf. Obwohl sie von der Raumstation einen dringenden Warnruf erhalten, sich diesem Planeten nicht weiter zu nähern, wagen sie es trotzdem. Als sie ein Meteorit trifft, beschließt Peter, sich unverzüglich an die Reparatur der Außenhülle zu machen und verlässt das Raumschiff – und kommt auf dem Planeten wieder zu sich. Bald muss er erkennen, dass die Bevölkerung keine Rüsselwesen sind, sondern mit Gasmasken ausgestattete Menschen. In einer stark verseuchten Atmosphäre gehen sie ihrem seltsamen Tagwerk nach und beachten ihn nicht. Peter versucht, Kontakt mit einem jungen Mann aufzunehmen, der sich anders als die anderen verhält und so lernt er ON 711 314 kennen …

 

Oxygenien gilt als das in Deutschland bekannteste Werk der ungarischen Autorin Klára Fehér. Es erschien nur in der DDR auf deutsch, konnte sich aber unter den SF-Fans bald großer Beliebtheit erfreuen. Das dürfte vor allem an dem ungewöhnlichen Setting liegen. Oxygenien ist ein Planet, dessen Atmosphäre durch Umweltverschmutzung vergiftet wurde. Die Bewohner leben seit zwölfhundertsieben Jahren in einem streng reglementierten Regime, wobei der Großteil der Bevölkerung davon nichts ahnt, gefangen in einem durch Sauerstoffrationen und Drogen bestimmten Alltag. Peter findet die Zusammenhänge erst nach und nach heraus, gemeinsam mit einigen Einheimischen, die am System zu zweifeln begannen und eine Art Untergrund aufbauten. Das perfide System wurde geschaffen, um einer kleinen Elite von hundert Familien ein paradiesisches Leben zu ermöglichen. Als Peter erkennt, dass es hinter den Bedienerstädten eine lenkende Kraft gibt, an die er ohne Hilfsmittel nicht herankommt, beschließt er, sich den Herrschenden auszuliefern, von denen er durch abgehörte Funksprüche weiß, dass sie ihn dringend suchen.

 

Und hier erliegt er fast der Versuchung, sich dem Luxusleben hinzugeben und die ausgebeuteten Freunde in den Bedienerstädten zu vergessen. Doch letztendlich sind es die Liebe und die hohe Ethik einer fernen zukünftigen Menschheit, die ihm helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

 

Das System aus unterdrückter Mehrheit und schmarotzender Oligarchie mit einem König an der Spitze funktioniert nur, weil die Elite Möglichkeiten gefunden hat, das Denken einzuschränken. In den Bedienerstädten, wo die einfachen Arbeiter simple Tätigkeiten ausführen, in Gemeinschaftsräumen schlafen, essen und vor dem Schlafengehen mit Fernsehen berieselt werden, reicht die zu erarbeitende Sauerstoffmenge gerade so aus, den Alltag zu bewältigen. Lediglich das Große Frühlingsfest durchbricht diese Monotonie, wenn drogenberauscht eine große Orgie abgehalten wird, in der nicht nur für Nachwuchs gesorgt wird, sondern auch eine Selektion stattfindet. Hier werden etwa klügere Kinder für eine andere Art von Städten ausgesondert, ihren Müttern entrissen. Zu einer solchen Stadt der Sich-Erinnernden bringt ON Peter. ON kehrt damit zu seiner alten Wirkstätte zurück, aus der man ihm verbannte, als er nachzudenken begann. Dem befreundeten Chirurgen ORO verdankte er einen Schutz vor der Gedächtnislöschung – ein weiterer Baustein der Unterdrückung. Eine umfassende Überwachung bringt jede Abweichung zu Tage, die Sperrung der Kontroll-Lochkarte sorgt für einen sofortigen Ausschluss von Nahrung und Sauerstoff, bis man dem Delinquenten das Gehirn säubert. Die Menschen in diesen Städten werden letztlich wie Vieh gehalten. Dabei verfügen die Machthaber längst über die technischen Mittel, ohne Masken und Einschränkungen zu leben.

 

»Oxygenien« erfüllt ganz klar einige Anforderungen an einen utopischen Roman aus einem sozialistischen Land. Das Übel in Unterdrückung und Umweltverschmutzung liegt im Kapitalismus begründet. Allerdings wird bald klar, dass es Klára Fehér nicht um Schuldfragen geht, sondern um eine strikte Warnung, es gar nicht erst dazu kommen zu lassen, dass irgendeine Elite Lösungen zum »Wohle der Menschheit« finden muss, um der Umweltverschmutzung Herr zu werden. Der Roman ist ein sehr früher Weckruf, gemeinschaftlich etwas zu tun, bevor es zu spät ist. Denn eine globale Katastrophe kann alles hinwegfegen, Staaten, Kultur und Moral.

 

Der große Reiz des Romans besteht vor allem darin, dass Peter sich in die Hände der Machthaber begibt und ein sehr gefährliches Spiel wagen muss, um seine Freunde, seine Frau, sich und letztlich eine ganze Planetenökologie zu retten. Bereits im Vorwort verweist die Autorin darauf, dass es ihr nicht so sehr auf exakte technische Beschreibungen ging, sondern um die Einsicht in die notwendige Veränderung, weil »ich um die Reinheit der Meere fürchte, um das den Sauerstoff spendende Plankton, weil ich besorgt bin um die im Rauch um Atem ringenden Bewohner der Städte, um die vom Smog des Benzins und des Kohlendioxyds verpesteten Straßen. Ich bange um die Bäume, das frische Gras und die Blumen.«

 

Fazit:

Mit ihrem SF-Roman »Oxygenien« beschrieb Klára Fehér bereits vor fast 50 Jahren eine Welt, in der eine Menschheit durch die Umweltverschmutzung und einer kleinen egoistischen Elite versklavt wurde. Ein Weckruf, diese Katastrophe zu verhindern, der immer noch von Nöten ist. Ein lesenswerter SF-Klassiker.

 

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Buch:

Oxygenien

Original: Oxygénia, 1974

Autorin: Klára Fehér

Corvina Verlag, 1977

gebundene Ausgabe, 304 Seiten

Übersetzer: Heinrich Weißling

Cover: Gyula Feledy

 

ISBN-10: 9631301915

ISBN-13: 978-9631305975

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 31.03.2020, zuletzt aktualisiert: 05.09.2020 15:12, 18464