Rezension von Björn Backes
Inhalt:
Georges Hofmann hat nach all den langen Jahren in Paris längst mit seiner traumatischen Kindheit abgeschlossen. Einst wurde er in Nazi-Deutschland nichts ahnend von seinen Eltern getrennt, ohne je zu wissen, wohin es die beiden verschlagen haben könnte. Sechzig Jahre später ist Hofmann stolzer Rentner und zehrt von seiner Vergangenheit als Leiter einer erfolgreichen Revue. In dieser Funktion wird er vom Fernsehsender arte ausgewählt, als vermeintlicher Durchschnittsbürger Einblicke in sein Leben zu gewähren. Und als sich Hofmann hier erstmals öffnet, geschieht das Unfassbare. Eine unbekannte Französin meldet sich und überreicht Hofmann kurze Zeit später ein Dokument, das sein Vater verfasst haben soll. Darin enthalten ist nicht nur ein letzter Brief, sondern auch die Partitur eines Werkes von Jacques Offenbach, das nie veröffentlicht wurde.
Damit nehmen die Dinge ihren Lauf: Die Sache wird publik, und vor allem in Deutschland reißen sich die Verleger um die Partitur. Valerie Rochard, die Hofmann während des Fernsehinterviews begleitet hat, ist so fasziniert von der Sache, dass sie selbst mit dem Original in Hofmanns alte Heimatstadt Frankfrust reist, um es dort anzubieten. In der Main-Metropole beherrscht jedoch parallel eine andere Schlagzeile die Medien: Ein Fünffachmord auf dem Schiff eines türkischen Restaurantbesitzers versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken – und Hauptkommissar Marthaler und dessen neue Vorgesetzte Charlotte von Wangenheim gleich mit. Es gibt keine Verdächtigen, kein Motiv und nicht einmal den Funken eines Hintergrunds. Lediglich die Tatwaffe sowie ein seltsamer Mensch, der vor dem Tatort von einigen Passanten beobachtet und gefilmt wurde, sollen weiterhelfen. Dann jedoch erfahren Marthaler und Co., dass auf dem Schiff das Treffen eines Mittelsmanns und einer französischen Journalistin geplant waren. Ihr Name: Valerie Rochard. Doch eigenartigerweise gehört sie nicht zu den Ermordeten und ist auch sonst nirgendwo gesichtet worden.
Rezension:
Mit seinem inzwischen bereits dritten Roman um den klassisch-nörgligen Kommissar-Typen Marthaler vervollständigt Jan Seghers eine erste Trilogie um seine relativ gewöhnliche, wenn auch nicht farblose Hauptfigur und bemüht sich dabei, den positiven Trend seiner ersten Romane fortzusetzen. Und die Chancen, dass auch „Partitur des Todes“ in die Bestseller-Ränge aufschließt, stehen hinsichtlich des durchaus interessanten Inhalts überhaupt nicht schlecht, da es dem Autor sehr gut gelingt, die Details von der Pieke auf aufzuarbeiten, die Charaktere gleichzeitig einem leicht nachvollziehbaren Reifungsprozess zu unterziehen und schlussendlich auch das Erzähltempo auf angenehme Art und Weise zu forcieren. Dabei macht Seghers direkt ein Fass auf, indem er bereits in den ersten Kapiteln eine Verbindung zur Judenverfolgung und den Gräueln in den Konzentrationslagern herstellt, sich somit aber gleichzeitig auch auf ein echtes Pulverfass begibt. Denn ganz klar: Wer – direkt oder indirekt – das schwärzeste Kapitel der deutschen Geschichte als Haupt- oder Nebenstrang eines Romans aufreißt, der steht aufgrund der erforderlichen Sensibilität bei der Aufbereitung seiner Geschichte vor einer immens großen Herausforderung.
Nun denn, Seghers packt es aber zunächst sehr geschickt an und startet lediglich mit einigen Andeutungen. Eine verschollene, bis dato unbekannte Partitur taucht auf, die Medien reißen sich zumindest in Frankreich um das Thema, der Betroffene hält sich jedoch vornehm zurück, und schon nach wenigen Seiten entwickelt sich blitzschnell ein kleines Mysterium um die Vergangenheit der Familie Hofmann – geschickt gemacht.
Dann ein rascher Szenenwechsel: Frankfurt im Frühsommer, ein Skandal umfasst die lokalen Beamten. Ausladend berichtet Seghers von den Ereignissen auf dem Schiffsrestaurant, beschreibt mit viel Liebe zum Detail die Ermittlungsarbeiten und die darin betroffenen Personen und Persönlichkeiten und lässt dabei auch ihr privates Seelenheil nicht außer Acht. Vor allem Kerstin Henschel, eine enge Kollegin Marthalers, kommt hier zum Zuge, aber auch der Hauptkommissar selber, der sich noch lange fragt, was seine Lebensgefährtin Tereza ihm wohl verbergen mag, sind nicht immer gänzlich mit dem Kopf bei den Ermittlungen. Derartige Umstände tragen sicher zur Abwechslung bei, sind aber in diesem Fall nicht immer erwünscht. Da wäre zum Beispiel der Fall Petersen, ein Ex-Kollege, der sich überraschenderweise ausgeklinkt hat, weil er sich vor seinen Mitarbeitern nicht als homosexuell outen möchte. Dieser Nebenstrang mag lediglich für diejenigen interessant sein, die Marthalers Geschichten von Beginn an verfolgen, ist aber in „Partitur des Todes“ ebenso wenig von Bedeutung wie eine unverhoffte Schwangerschaft oder das damalige Verhältnis eines Ermittlers zu einer wichtigen Zeugin. Am Ende bereut man es als Leser sicherlich nicht, diese Form der Auflockerungen gereicht zu bekommen. Aber sie tragen eben nichts zum Spannungsaufbau eines ansonsten sehr schön aufbereiteten Krimis bei.
So laufen die Arbeiten im Mordfall stetig fort, zunächst ergebnislos, dann mit ersten Spuren, aber immer noch nicht mit konkreten Hinweisen – bis schließlich die Partitur ins Spiel kommt. Und genau dieser Übergang wirkt im Vergleich zur schön nachvollziehbaren Recherchearbeit der Polizisten holprig und leidlich bemüht. Im letzten Abschnitt wird dann wieder ein entfernter Link zu den Ereignissen in Auschwitz geöffnet und auch mit fachlichen Ausarbeitungen geschmückt. Das wirkt professionell, weckt Emotionen, findet aber zu keinem Zeitpunkt eine echte Verbindung zur eigentlichen Story. Plötzlich kommen wieder die Gedanken ins Spiel, die bereits in den ersten Kapiteln geöffnet wurden, doch statt den Kreis zu schließen, wirkt das Ganze dann doch ein wenig aufgesetzt und gezwungen heftig – auch wenn eine solche Aussage im Zusammenhang mit den Ereignissen in den Konzentrationslagern sicherlich unpassend wirkt. Aber sich derartige Inhalte zur Waffe für einen Roman zu machen, auch das klingt hart, funktioniert in „Partitur des Todes“ leider nicht mit dem gewünschten Effekt.
Immerhin: Bis auf diese schwammigen Übergänge muss man Seghers dennoch attestieren, einen ziemlich spannenden, über weite Strecken auch stilistisch schön ausgeführten Kriminalroman verfasst zu haben, der gerade im Hinblick auf die Darstellung der Ermittlungsarbeiten Akzente setzt. Aber man kann und darf die gerade angesprochene Kehrseite im letzten Romandrittel trotz allem nicht außer Acht lassen!
Fazit:
Zweifelsohne war „Partitur des Todes“ ein riskantes Projekt, inhaltlich schwierig und im Gesamtzusammenhang auch gewagt. Nimmt man dies als Voraussetzung, muss man Seghers sicher zu seiner aktuellen Arbeit gratulieren. Aber es gibt am Ende doch einige Unzulänglichkeiten, gepaart mit diversen vorschnellen Story-Hüpfern, die nicht so fließend eingeflochten werden und das Gesamtergebnis doch spürbar beeinträchtigen. Nichtsdestotrotz: Wer einen guten Kriminalroman mit gesteigertem Unterhaltungswert sucht, ist hier definitiv nicht an der falschen Adresse!