Phantastischer Oberrhein von Jörg Weigand
Rezension von Christel Scheja
Jede deutsche Landschaft, und mag sie heute noch so städtisch und verbaut sein, hat ihre Mythen und Legenden, phantasievolle Geschichten, die vielleicht einen wahren Kern haben es aber nicht unbedingt in ihrer Gänze glaubwürdig sind, oder die das ein oder andere Geschehnis auf magische Weise erklären.
Dieser Tradition möchte die Anthologie Phantastischer Oberrhein folgen und eigene kleine Mythen standen. Entstanden aus einer Idee des Künstlers Rainer Schorm bei einem regionalen Autorentreffen versammelt der Herausgeber Jörg Weigand hier sechzehn phantastische Geschichten, die dem Oberrhein ein neues Gesicht geben wollen.
Bewusst wurde dabei auf Nachdrucke klassischer Werke verzichtet und nur neue verwendet. Die Autor·innen stammen entweder aus der Region oder leben heute dort und waren dazu aufgerufen, ihrer Heimat einen phantastischen Anstrich zu verpassen.
Mythen und Legenden umgeben die Steinfiguren des Münsters und erzählen oft genug von Menschen, die das Geheimnis ergründen wollten und verschwanden. Ein junger Mann warnt deshalb seinen Freund in seinen Forschungen zu weit zu gehen. Doch dieser hat schon die wahren Wurzeln und Zauber des alten Fluchs entdeckt, die bis in die Zeit der Kelten zurückreichen, und ist nicht mehr aufzuhalten. Hunger von Rainer Schorm ist dabei anders zu deuten als gedacht.
Ein Hacker folgt der Rhein-Linie durch das System und macht eine nicht nur für ihn folgenschwere Entdeckung. Klaus N. Frick zeigt, wie weit die Vernetzung der Region irgendwann einmal gehen kann.
Der Tod eines alten Mannes ist einer Zeitung nur eine kurze Notiz wert, aber ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der gerade in der Stadt weilt, weiß durchaus mehr über ihn. Doch würde ihm jemand glauben, dass das Ableben des Greises nicht natürlicher Art war und mit alten Münzen, wie auch Vreneli zu tun hat? Jörg Weigand schlägt in seiner Geschichte eher leise, aber durchaus faszinierende Töne an.
Verpass nicht die Zukunft rät Helmut Ehls seinen Protagonisten und erinnert an die Unruhen in Freiburg im Jahr 1980, die nicht für alle wirklich Vergangenheit sind, sondern nun auch ihre Auswirkungen in der Zukunft haben.
Für Joachim Riesterer gilt der Spruch »Freie Fahrt für freie Bürger« mehr als für jeden anderen, und er hat dies bisher auch immer durchgezogen, auch wenn dabei ein Rentner auf der Strecke blieb. Doch nun macht er eine geisterhafte Erfahrung mit Folgen. Jörg Weigand schildert diese Fahrt in die innere Freiheit.
Auch Simon (oder: Eine andere Art von Unsterblichkeit) von Karla Weigand beschäftigt sich mit den Steinfiguren am Freiburger Münster und verzaubert durch die traurige aber märchenhafte Geschichte eines todkranken Jungen, der auf dem Sterbebett eine ungewöhnliche Begegnung hat, die ihm wieder Hoffnung macht.
Dies sind nur einige der Geschichten des stimmungsvoll aufgemachten aber doch recht dünnen Hardcover Bandes, die von moderner Science Fiction wie in der Geschichte von Klaus N. Frick über derben Horror bis hin zu märchenhafter Fantasy reichen, überwiegend aber doch der eher gepflegten Phantastik zuzurechnen sind, die mit einem geringen Maß an Magie auskommt, wie etwa die beiden Geschichten von Jörg Weigand beweisen. Das sorgt natürlich ein wenig für Abwechslung und jeder dürfte Geschichten finden, die ihm mal mehr mal weniger gefallen.
Dem wichtigeren Anspruch – Geschichten aus der Region zu erzählen – wird die Sammlung allerdings nicht ganz so gerecht, wie man es sich erhoffen könnte. Zwar versuchen einige Autoren – speziell Karla und Jörg Weigand oder Rainer Schorm ihre Erzählungen an realen Orten festzumachen, viele der anderen Geschichten wie etwa Lucky von Frank Borsch deuten nur an, dass sie in Freiburg spielen, sind aber in den Beschreibungen so vage, das man sie auch in jeden anderen X-beliebigen Ort verfrachten kann. Ähnliches gilt auch für Celphia von Markus Kastenholz.
So gesehen sollte man nicht all zu viel Lokalkolorit von den Erzählungen erwarten und sich eher auf den Inhalt als das Ambiente der selben konzentrieren.
Fazit:
Alles in allem ist »Phantastischer Oberrhein« eine Anthologie mit einem interessanten Ansatz, der leider nicht ganz so genutzt wurde, wie es Lokalkrimi-Sammlungen vormachen, aber dennoch dem Freund gepflegter Phantastik kurzweilige Unterhaltung bieten kann, wenn man nicht all zu hohe Ansprüche hat und gerne Texte von deutschen Autoren liest.