Postkarten aus der Dunkelheit (Autor: Torsten Sträter; Jacks Gutenachtgeschichten Bd.2)
 
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Postkarten aus der Dunkelheit von Torsten Sträter

Reihe: Jacks Gutenachtgeschichten Bd.2

Rezension von Martin Weber

 

Klappentext

Wer durch "Hämoglobin" auf den Geschmack gekommen ist, wird diesen baldigen Nachschub an niveauvollem Horror aus der Feder Torsten Sträters bereits ungeduldig erwarten. Erneut verbindet sich mal mehr und mal weniger subtiler Grusel mit beißender Ironie. Lesen Sie, was passiert, wenn …

... der Einrichter einer Geisterbahn seine Arbeit etwas zu genau nimmt.

... unterirdische Kreaturen an den Pfeilern unserer Welt nagen.

... der Vatikan zur Militärbasis für Dämonenjäger wird.

... sich ganz New York in den Vorhof der Hölle verwandelt.

 

Kommentar

Von der Kritik wurde Torsten Sträters Debüt - die Anthologie >Hämoglobin< - wohlwollend (zum Teil sogar euphorisch) aufgenommen, und da anscheinend auch die Verkaufszahlen gepasst haben, lässt der Eldur-Verlag nun wie angekündigt einen zweiten Band folgen. Im Großen und Ganzen gibt es ein Mehr vom Gleichen: typische Sträter-Geschichten und einige Scherzchen im Drumherum, die man je nach Konsumausmaß von gewissen Substanzen für spaßig halten kann oder nicht. Als kleine Innovation enthält >Postkarten aus der Dunkelheit< den Beitrag des „Fremdautors“ Henning Mühlinghaus, der den Storywettbewerb des Verlags gewann (eine clevere Werbeaktion, mit der viele Hobby-Schreiber auf das Produkt und seinen Verleger aufmerksam gemacht wurden).

Übrigens ist die Idee witzig, ein klein wenig Kontinuität beim Covermotiv aufrecht zu erhalten, indem man das Playmobil-Männchen auf der Briefmarke erneut zu Ehren kommen lässt.

Das vorliegende Büchlein birgt zwölf Erzählungen in sich, von denen eine (soviel sei vorab verraten) eine echte Perle darstellt.

 

Geisterbahn

Der Besitzer einer Geisterbahn hat einen neuen Arbeiter eingestellt. Dieser Mann nimmt seinen Job sehr ernst und beweist, dass er extrem engagiert ist und mit vielen innovativen Ideen aufwartet kann.

Zum Aufwärmen serviert Sträter solide und bekömmliche Hausmannskost. Sein Markenzeichen, der locker-kreative Stil, macht sofort klar, wer hier die Feder geführt bzw. in die Tastatur gehauen hat. Die simple Grundidee ist effektiv umgesetzt und wird durch das Talent des Autors aufgewertet, denn der Mann kann ganz einfach packend schreiben (wenn auch seine Ideen nicht immer Schritt halten können und man seine Elaborate besser in kleinen Dosen konsumiert. Warum dem so ist, wird weiter unten noch thematisiert).

 

Kopfsache

Die Hauptfigur arbeitet in einem ganz speziellen Callcenter – hier werden nämlich von hellseherisch begabten Personen Fragen aller Art wahrheitsgemäß beantwortet. Doch den Agent plagen eigene Probleme, auf die ihm seine mediale Fähigkeit keine Antwort zu geben vermag.

Der Verfasser arbeitet hier mit einem für ihn ungewohnten Science Fiction-Ambiente, das Anklänge an düstere Zukunftsszenarien orwellscher Prägung enthält. Die servierte Pointe haut mich allerdings nicht gerade vom Hocker.

 

Voliere

Steve, der Zusteller eines Kurierdienstes, liefert ein Paket ab. Da ihn ein Unwetter völlig durchnässt hat, bittet ein netter Herr ihn in sein Haus und offeriert ihm die Möglichkeit zum Trocknen und zum Aufwärmen. Steve begeht einen gewaltigen Fehler, als er dieses Angebot annimmt, denn der nette Herr hat sinistre Motive.

>Voliere< arbeitet mit Elementen des Slasher-Film und funktioniert trotz dieser altbekannten Motive erstaunlich gut, da die Umsetzung sehr intensiv ausfällt und einen mit dem Helden mitfiebern lässt.

 

In der Kurve

Die Gedankengänge und Hoffnungen eines Geistes, der sein Leben auf einem Rummelplatz ließ.

Eine Geisterstory aus der Geisterperspektive, die uns zeigt, dass Gespenster auch nur Menschen sind. Böse und mit drei Seiten Länge sehr kurz – gut, dass die Idee nicht über Gebühr ausgewälzt wird.

 

Bunker-Blues

Ein Polizistenduo wird wegen eines Einbruchs zu Hilfe gerufen. Die beiden Beamten können den Dieb tatsächlich schnappen. Der tischt ihnen abstruses Gewäsch über eine Pforte zur Hölle, die sich in Kürze öffnen wird, auf. Aus Neugierde wie auch aus Gier nach dem vermeintlich gehorteten Diebesgut begleiten die Polizisten ihren Gefangenen in den Untergrund. Dort wartet eine böse Überraschung auf sie …

Sträter tappt in dieser Erzählung in die gleiche Falle wie in der Geschichte >Eine Frage der Form< aus dem Vorgängerband, weil er den Plot auf einer zu großen Mythologie aufbaut, wodurch vieles diffus und unausgegoren bleibt. Die Story wirkt dadurch überladen, zu viel wird in zu wenige Seiten gepackt. Alles in allem ganz nett, mehr aber nicht, denn wie viele Varianten von „Die Hölle öffnet ihre Pforten“ braucht der eifrig lesende und glotzende Horrorfreak?

 

Postkarten aus der Dunkelheit

Schwinn, ein verkommener Student, gelangt in den Besitz eines wertvollen antiquarischen Buches. Als er in einem Bistro darin schmökern will, belästigt ihn ein älterer Herr und liefert ihm unglaubliche Informationen über die Bedeutung des Buches. Wie sich zu Schwinns Leidwesen herausstellt, sagt er die Wahrheit, und der junge Mann muss sich gezwungenermaßen mit dem aufdringlichen Herren auf eine Mission begeben, bei der das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht.

Für diesen Beitrag gilt das gleiche wie für die vorige Geschichte: zu viel Hintergrund, zu wenig Raum für seine Erläuterung. Für meinen Geschmack ist das Ganze zudem zu fantasylastig und abgedreht – wer braucht schon fliegende Haie und pseudointellektuelles Gelaber über das Schicksal? Die Titel gebende Story ist damit klar einer der Schwachpunkte der Anthologie.

 

Der Kasper will kein Snickers

Als ein Kinokartenverkäufer dem spontanen Impuls nachgibt, seinen idiotisch scheinenden Gesprächspartner zu töten, erlebt er eine Überraschung besonderer Art. Ein ganz spezielles Lehrverhältnis nimmt seinen Anfang …

Eine sehr unmoralische Geschichte, die in etwa wie eine eingedeutschte Proleten-Version von „American Psycho“ daherkommt. Solide, aber nicht umwerfend.

 

Heiliger Krieg: einer muss es ja machen

Als Höllenwesen über die Erde hereinbrechen, übernimmt der Vatikan das Kommando und organisiert die Verteidigung der Menschheit. Der Held dieser Erzählung steht an vorderster Front und berichtet von einem seiner Einsätze, bei dem sehr viel Blut floss.

Apokalypse mal anders. Das textliche Äquivalent zu einem Egoshooter – brutal und gnadenlos. Der Schluss ist absolut vergessenswert.

 

Strangers in the Night

Knut Koch hat auf der Straße nach Nirgendwo eine Panne und kann sein Auto nicht mehr flottkriegen. Zum Glück hält ein Wagen an und nimmt ihn mit – doch der Fahrer hat einen besonderen Job zu erfüllen, was für Knut Koch alles andere als angenehm ist.

Hier werden erneut absurd-schräge Töne angeschlagen, was ganz einfach nicht auf meiner Linie liegt. Weil die Story inhaltlich nicht sehr viel hergibt, versucht sie der Autor mühselig durch Sinatra & High Tech aufzupäppeln. Leider wieder ein schwacher Beitrag.

 

Inspiration

Die Hauptfigur hat seit Kurzem eine Stelle als Mediziner in einem Irrenhaus angetreten. Was der Doktor erst noch erfahren muss, ist, dass die Anstalt ein finsteres Geheimnis verbirgt, das ihm heftig aufs Gemüt schlägt.

Mit dieser Story hat mich Torsten Sträter extrem positiv überrascht. War ich bei den zuvor gelesenen Texten schon von der unentwegten und auf Dauer etwas penetranten Flapsigkeit des Tonfalls ermüdet, so beweist der Autor mit >Inspiration<, dass er imstande ist, seinen Stil zu ändern – und dieser Schwenk tut dieser kleinen morbiden Erzählung außerordentlich gut. Hier gibt es keine spaßigen Einlagen, sondern es wird von Beginn an eine düstere Atmosphäre kreiert, die Bedrohlichkeit und geistigen Verfall geradezu ausatmet. Und endlich wieder mal ein Finale, das wirklich zu überraschen und zu überzeugen weiß.

[Übrigens hat gleich am Textanfang der Druckfehlerteufel zugeschlagen, weil das Datum 1882 nicht stimmen kann.]

Diese Geschichte ist ganz klar das Highlight des Bandes und hat sich den Platz unter meinen favorisierten Horror-Shortstorys redlich verdient.

 

Abwärts

Zwei Studenten arbeiten in einem Sportstadion, wo sie mit dem „Kreidemonster“ Markierungslinien am Rasen ziehen. Plötzlich tut sich ein Loch im Boden auf, das das Kreidemonster verschlingt. Die beiden sind perplex und können sich absolut keinen Reim darauf machen. Wenn sie wussten, was ihnen bevorsteht …

Mit diesem Text kehrt der Schriftsteller wieder ins gewohnte Fahrwasser zurück. Wiedermal bleibt als Fazit das Prädikat „ganz nett“; doch mehr schaut nicht raus, denn wie viele Varianten von „Die Hölle öffnet ihre Pforten“ braucht der eifrig konsumierende Horrorfreak? (Hatten wir das nicht schon mal?)

 

Die Krüppelfabrik (von Henning Mühlhaus)

Der Angestellte eines Großhandelshauses, das Sanitätsbedarf vertreibt, erlangt durch die Anregungen seiner zugezogenen Freundin einen neuen Blick auf seine Geburtsstadt. Und was sich da vor seinen Augen abspielt bzw. hinter verschlossenen Fenstern vor seinem forschenden Blick verborgen bleibt, gibt ihm zu denken. Doch er beginnt zu spät zu begreifen, was wirklich vor sich geht …

Auf den ersten Seiten kam mir die Geschichte sprachlich zu überfrachtet vor, doch im Lauf der weiteren Lektüre verschwand dieser Eindruck dann (Gewöhnungseffekt?). Mühlhaus baut seine Story auf einer Urangst des Menschen auf und lässt sie durch den gelungenen Aufbau einer klaustrophischen Grundstimmung noch um einiges effektiver werden. Wie es in der Einleitung der Anthologie heißt: „Wirklich gut, das Teil.“

 

 

Resümee

Sträters „Schreibe“ ist ohne Zweifel originell. Er hat einen unverkennbaren Stil entwickelt, der aber zumindest bei mir rasch für Sättigung sorgt. Vielleicht bin ich ja nicht der einzige von diesem Effekt Betroffene: ist er eventuell neben finanziellen Überlegungen mit ein Grund dafür, warum der Verlag „Jack´s Gutenachtgeschichten“ auf mehrere ziemlich schmale Bände aufgeteilt hat? Führen Sträters Texte in konzentrierter Form zum Auftreten von Abnutzungserscheinungen?

Neben seinem typischen Stil ist eine zweite Eigenheit des Autors erneut auszumachen, nämlich die Tendenz, eine zu große (und daher diffus bleibende) Mythologie in zu kleine Storys zu packen und damit das Format Kurzgeschichte zu überfordern.

Alles in allem haben sich in >Postkarten aus der Dunkelheit< mehr durchwachsene Geschichten eingeschlichen als beim Vorläuferband. Die fast immer starken Einstiegsszenen werden nicht immer ebenso stark zu Ende gebracht.

Beelzebub sei Dank enthält die Anthologie den von Idee und Ausführung exzellent gelungenen Beitrag >Inspiration<, der das Buch nicht nur wegen des geänderten Sprachduktus deutlich aufwertet. Diese Erzählung ist trotz aller kritischen Anmerkungen Grund genug, sich die >Postkarten aus der Dunkelheit< zustellen zu lassen.

 

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Buch:

Postkarten aus der Dunkelheit

Reihe: Jacks Gutenachtgeschichten Band 2

Autor: Torsten Sträter

Taschenbuch, 200 Seiten

Eldur, Mai 2005

 

ISBN: 3937419101

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 24.05.2006, zuletzt aktualisiert: 05.06.2023 19:35, 2257