Zusammenfassung
Das „Projekt Erde“ ist die Firma, die für die Phantasie und Kreativität der Menschen zuständig ist. Seit einiger Zeit herrscht Panik im Unternehmen. Die Kreativität auf der Erde nimmt enorm ab und alle Versuche, dem entgegenzuwirken, scheitern kläglich. An vielen Orten sitzen die Menschen nur noch teilnahmslos auf dem Boden herum und starren vor sich hin. Um die Ursachen der Katastrophe zu ergründen, beschließt der Rat des „Projekts Erde“, vier Menschen in die Firma zu holen und sie Fragebögen ausfüllen zu lassen.
So werden der Rockstar Castle, die Studentin Luna, der Naildesigner Steffen und die Hausfrau Nicole von vier skurrilen Wesen mit einem Raumschiff abgeholt und hinter den menschlichen Realitätshorizont ins „Projekt Erde“ geflogen. Während ihres Aufenthalts dort, lernen die vier Menschen einige seltsame Gestalten kennen.
Da ist der Vampir Rodan, der Weihnachtbaumkugeln sammelt und von einer Detektiv-Karriere träumt. Neben ihm wohnt die Hexe Ötka, die nicht lesen, aber sehr gut kochen kann. Der Dichter Motares ist in Sachen Kommunikation nicht sehr bewandert und tapeziert daher sein ganzes Haus mit Notizzetteln, damit Nicole sich dort zurecht findet. Der alte Magier Lagonan hat zwar einen langen, weißen Bart, ist aber keinesfalls weise, sondern eher kindlich naiv. Außerdem hat er ein kleines Problem mit Swimming-Pools.
Oma Wendy, eine alte gutmütige Dame mit roten Wangen, hat in ihrem Zimmer Peitschen, Handschellen und Bilder von Friedhöfen an den Wänden hängen. Die schwarze Göttin Asmodia wirkt unnahbar und arrogant und steht letztlich dumm da. Marlene, Verkäuferin im rasenden Tante Emma Laden, stöckelt – ganz und gar nicht wie eine Tante Emma - durch die Geschichte und Peter, der Mann mit dem hässlichsten Mops der Welt, führt ein Doppelleben.
Auch die vier Menschen haben es nicht leicht. Der umschwärmte, alternde Rockstar Castle hat nicht nur mit seinem wachsenden Bauchansatz zu kämpfen, er muss auch feststellen, dass ihn im Projekt Erde niemand kennt. Tagträumer Steffen, der die Erde und die Menschen nicht leiden kann, ist letztlich derjenige, der maßgeblich dazu beiträgt, dass die Welt gerettet wird. Luna, die gerade erst ihre eigene Wohnung bezogen hatte und nun ihr „elternfreies“ Leben beginnen wollte, liefert sich einige Autoritätskämpfe mit Rodan, bei dem sie vorübergehend wohnen muss und die bodenständige Hausfrau Nicole muss sich mit den Spinnereien des weltfremden Dichters Motares herumschlagen.
Zudem ist auch im Projekt Erde gerade die Hölle los:
Das Projekt Erde ist aufgeteilt in eine helle, eine dunkle und eine neutrale Fraktion. In der dunklen Fraktion ist es immer Nacht. In der hellen Fraktion ist es immer Tag. Die Bewohner der dunklen Fraktion dürfen die helle Fraktion nicht betreten und umgekehrt. In der neutralen Fraktion, dem Verwaltungsgebäude, hagelt es Anträge über Anträge. Furchterregende Monster wollen die Sonne sehen, liebliche Elfen wollen endlich mal böse sein, schaurige Hexen wollen Ballettkleider tragen, weiße Magier verlangen hässliche Umhänge.
Die Politiker der neutralen Fraktion zeichnen sich in erster Linie dadurch aus, dass sie unheimlich wichtig sind. Ab und zu erlassen sie völlig überflüssige Gesetze, um den Eindruck zu erwecken, irgendwer hätte sich Gedanken gemacht. Hauptsächlich interessieren sie sich
jedoch für die Ausstattung ihres Sitzungssaals und nicht so sehr für unangenehme Probleme. Sämtliche Anträge werden deshalb kategorisch abgelehnt.
Gleichzeitig gehen laufend neue Vermisstenmeldungen ein. Die Umwälzer, die im Einsatz auf der Erde dafür sorgen, dass die Gefühle der Menschen in Fahrt kommen, verschwinden spurlos. Zu guter Letzt gibt es auch noch einen ominösen Angriff aufs Computernetz der Firma.
Leseprobe
DIE AUFLÖSUNG
Luna und Rodan saßen im Schneidersitz auf dem Boden. Der Vampir hatte ein großes Brett in die Mitte des Raums gelegt und steif und fest behauptet, das sei ein Tisch. Auf dem „Tisch“ lag das Papier, das er in der Nische neben der Taverne gefunden hatte und das er noch immer für ein Indiz und Luna für einen vergammelten Zettel hielt. Rechts und links daneben flackerten Kerzen. Rodan starrte in die rechte, Luna - auf der anderen Seite des Tisches - starrte in die linke Kerze (von ihr aus gesehen war es natürlich ebenfalls die rechte, aber das tut eigentlich nichts zur Sache). Sie fand erstens, dass das Brett eindeutig kein Tisch war und zweitens, dass Rodan es mit seinem Detektivtick ein wenig übertrieb. Er hatte sich eine Pfeife in den Mund gesteckt und eine karierte Schirmmütze auf den Kopf gesetzt. Nachdenklich wippte er vor und zurück und nahm schließlich mit einer gewandten Geste die Pfeife aus dem Mund.
»Hmmm!«
Luna sah auf.
»Was?«
»Der Begriff Orphien…«
»Was ist damit?«
»Es gibt da so eine Sage über den großen Orphius…«
»Glaubst du noch immer, dass der blöde Zettel dich weiter bringt? Eigentlich ist es mir sowieso scheißegal, ob irgendwer Entwürfe klaut. Soll er doch, wenn es ihm Spaß macht! Können wir nicht mal was anderes machen? Gibt es hier keine Disko oder ein Kino?«
»Nein, gibt es nicht! Du kannst ja ins Bett gehen, wenn dir die Aufklärung eines Verbrechens zu langweilig ist.«
»Ich gehe dann ins Bett, wenn ich das will!«, feuerte Luna zurück, stützte gelangweilt den Kopf in die Hände, gähnte und lenkte widerwillig ein:
»Dann erzähl halt! Was ist das für eine Geschichte mit dem Orphius?«
»Der große Orphius war ein weißer Magier und lebte in der hellen Fraktion. Eines Tages stellte er den Antrag, ein einziges Mal den Mond sehen zu dürfen. Die neutrale Fraktion lehnte diesen Wunsch mit der Begründung ab, dass es für seine Arbeit - Entwürfe über das Rauschen des Windes an heißen Nachmittagen - nicht notwendig sei, dass er wisse, wie der Mond aussieht. Nach langjährigem Kampf mit den Ämtern beging er am Ende Selbstmord.«
Rodan bekam einen verklärten Blick und nickte anerkennend.
»Das ist ja eine unheimlich beeindruckende Geschichte! Ein romantisches Weichei begeht Selbstmord! Was ist daran so besonders?«
»Was daran so besonders ist? Er beging SELBSTMORD!«
Der Vampir sah Luna an und wartete offensichtlich darauf, dass bei ihr irgendein Groschen fiel.
»Ja super! Ist ja eine tolle Leistung! Falls wir den Fall also nicht lösen, kannst du dich ganz einfach umbringen, dann wird doch noch eine Legende aus dir!«
Rodan runzelte die Stirn und schien einen Moment lang über den Vorschlag nachzudenken.
»Das geht nicht!«
»Was geht nicht?«
»Die Mitarbeiter des Projekts Erde sterben nicht und somit ist es nahezu unmöglich, Selbstmord zu begehen!«
»Du willst mir jetzt nicht wirklich erzählen, dass ihr alle ewig lebt, oder?«
Ihr fiel ein, dass sie mit einem Vampir sprach und deswegen fügte sie schnell hinzu:
»Also ich mein jetzt alle…nicht nur Vampire!«
»Ja, wir sind alle unsterblich! Wir können uns schlimmstenfalls mal verletzen und die Hexen bekommen zuweilen Asthma, aber wir sterben nicht!«
»WOW! Und wie hat dieser Orphius das dann angestellt?«
»Er hat die neutrale Fraktion ausgetrickst. Wir sterben zwar nicht, aber weil das Projekt Erde eine Firma ist, können wir entlassen werden. Zu diesem Zweck gibt es im Hochsicherheitstrakt einen gut bewachten Knopf. Wenn jemand entlassen wird, dann wird er aus der Personaldatei gelöscht und buchstäblich aufgelöst.«
»Wie meinst du das? Die drücken auf einen Knopf und derjenige wird dann In Luft aufgelöst oder wie?«
»Das nehme ich mal an. Da gibt es verschiedene Theorien. Es ist reine Glaubenssache. Menschen wissen ja auch nicht, was nach dem Tod mit ihnen passiert.«
»Natürlich weiß ich das! Der Körper wird zu Erde und die Seele…ja…keine Ahnung!«
Luna schnappte sich den Zettel vom Tisch und las ihn durch.
»Aber das ist doch die Lösung! Also die Auflösung sozusagen! Hier steht: Auf dass die Auflösung gelinge! Die wollen Selbstmord begehen! Das ist bestimmt irgendeine verrückte Sekte. Davon gibt es bei uns auch jede Menge.«
»Unmöglich! Der Hochsicherheitstrakt ist so gut bewacht, dass da nicht einmal eine Motte ohne dreifache Genehmigung reinkommt! Rund um den besagten Knopf sind nochmals Wachen aufgestellt. Weder mit Magie, die hier bei uns aus verschiedenen Gründen ohnehin nicht greift, noch mit Gewalt können Unbefugte da ran.«
»Na dieser Orphius hat es doch offensichtlich auch geschafft!«
»Richtig, aber danach sind die Sicherheitsvorschriften drastisch verschärft worden.«
Luna verlor langsam die Lust an der Geschichte. War es nicht völlig egal, ob sich irgendwelche Spinner umbringen wollten? Was hatte sie damit zu tun? Doch Rodan schien noch immer über den - seiner Meinung nach - wichtigen Zettel nachzudenken. Also schlug sie halbherzig eine andere Lösung vor.
»Vielleicht wollen die bloß kündigen!«
»Kündigen? Das gibt es hier nicht. Kündigen ist auch nicht vorgesehen!«
»Ihr könnt entlassen werden, aber nicht selber kündigen?«
»Richtig!«
»Okay, dann ist das ja ganz einfach. Die haben vor, einfach nicht mehr zu arbeiten, damit sie rausgeschmissen werden!«
Rodan schüttelte den Kopf.
»So einfach ist das nicht. Pro Jahr darf nur eine ganz geringe Anzahl von Mitarbeitern austreten. Das Verfahren bis zur Entlassung ist kompliziert und die Wartelisten sind unendlich lang. Ich schätze, wenn ich heute aufhören würde, Entwürfe abzuliefern, dann würde es mindestens 400 Jahre dauern, bis die mich rausschmeißen.«
»Aber diese Orphien wollen entlassen…also aufgelöst werde, richtig?«
»Da könntest du Recht haben. Aber wenn die Kreativität auf der Erde weiterhin so abnimmt, dann hat sich das sowieso bald erledigt. Dann muss die Firma Konkurs anmelden und das ganze Projekt wird aufgelöst.«
»Das ist ja nicht mein Problem!«, tat Luna kund, um zu unterstreichen, dass ihr das scheißegal war.
»Das würde ich so nicht sagen.«, antwortete der Vampir.
»Wenn wir alle zu Luft werden, werdet ihr alle zu Erde!«
Luna schluckte. Diese ominöse Bedrohung der Erde hatte sie bisher nicht besonders interessiert. Doch jetzt, wo Castle weg war und es nicht einmal einen Fernseher zur Ablenkung
gab, begann sie darüber nachzudenken, ob es tatsächlich sein konnte, dass die Menschheit in Gefahr war.
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