Quantum von Hannu Rajaniemi
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Seine Verbrechen sind im ganzen Sonnensystem bekannt – der Meisterdieb Jean le Flambeur kann sich jedoch an keine seiner Taten erinnern. Was ist mit seinem Gedächtnis geschehen? In wessen Körper steckt er? Und warum rettet ihn die ätherische Kriegerin Mieli aus seiner erbarmungslosen Gefangenschaft? Ausgerechnet in der Stadt des Vergessens soll Jean Antworten finden. Dort wird menschliche Lebenszeit als Währung gehandelt, und Erinnerungen sind der kostbarste Besitz jedes Einwohners. Und weil auf keinem Planeten Verbrechen härter bestraft werden, muss der Meisterdieb ohne Gedächtnis auf dem Mars den brillantesten Coup aller Zeiten durchziehen … Ein Abenteuer, das Zeit, Raum und Erinnerungen aus dem Gleichgewicht wirft und zu den wichtigsten Neuerscheinungen des phantastischen Genres zählt.
Rezension:
Der gebürtige Finne Hannu Rajaniemi hat Physik studiert. Das ist über weite Teile seines Debüts The Quantum Thief zu spüren. Wir bekommen es mit Quantenpunkten zu tun, aber auch mit virtuellen Welten, genkonstruierten Menschen, viralen Angriffen und eine ganze Reihe mehr sehr moderner Ideen. Dieser Überschwang an Phantasie führt sogar dazu, dass es spezielle Nachschlageseiten für die im Roman verwendeten Begriffe gibt. Das mag für Puristen der Hard-SF existentiell notwendig sein, läuft aber vermutlich der Intention des Autors zuwider.
Denn »Quantum« ist in erster Linie ein spannender Thriller, der über weite Strecken davon, lebt, dass der Protagonist nicht nur seiner unbekannten Vergangenheit hinterher jagt, sondern auch der Leser erst ganz zum Schluss erfährt, warum und was eigentlich passiert. Einige der Informationen stören die Autorenstrategie der Verschleierung, sodass man sich genau überlegen sollte, ob man das Glossar nutzt.
Im Wesentlichen kann man die technischen Finessen auch als reine Zauberei betrachten, ohne dass dem Roman irgendetwas genommen oder hinzugefügt wird. Für Nichtphysiker sind viele Begriffe und Zusammenhänge sowieso derartig abstrakt und unvorstellbar, dass es tatsächlich egal ist, ob bestimmte Ereignisse nun das Produkt einer hochstehenden Technik oder von Magie ist.
Überhaupt schwinden die Grenzen derartiger Erklärungsmodelle im Buch zunehmend.
In einer fernen Zukunft sitzt der Dieb Jean le Flambeur eine Strafe in einem Umerziehungsknast ab. Obwohl er zu den hoffnungslosen Fällen gehört, verändert er sich allmählich, da wird er aus dem Gefängnis befreit. Die geheimnisvolle Mieli und ihr Schiff Perhonen haben einen Auftrag für ihn. Doch bevor der Dieb loslegen kann, muss er seine Erinnerungen zurückerlangen, die er vor dem Gefängnis versteckte.
Ziel ist der Mars, einer alten Wirkstätte des Diebs und Schauplatz großer politischer Krisen. In der Oubliette, einer riesigen Stadt, die auf der zerstörten Marsoberfläche wandert, treffen wir nicht nur auf einen genialen Detektiv und seinem Superheldenfreund Der Gentleman, es gibt auch eine alte Rollenspieler-Gemeinde einen seltsamen König alles eingebettet in einer außergewöhnlichen Gesellschaftsform, deren Geld ZEIT ist ...
Während man zu Beginn noch recht ratlos durch die Weltenkreation stolpert, gelingt es dem Autor durch geschickt gewählte Wechsel der Handlungsstränge und bedeutungsschwerer Zwischenspiele, dieses anfängliche Chaos recht schnell zu ordnen, sodass weder die Spannung, noch das Verständnis darunter leiden. Einige Teile des Puzzles sind zudem so deutlich, dass man zumindest einige Verknüpfungen zügig auflösen kann.
So löst sich dann auch das Rätsel in einem actionreichen und mit Überraschungen gespickten Finale auf und der Leser wird mit einem Nachspiel konfrontieret, das deutlich Cliffhanger-Züge trägt. Spätestens da merkt man auch, dass der Quantendieb seine eigentliche Aufgabe noch gar nicht angegangen ist. »Quantum« entpuppt sich spät als ein erster Band. Und eigentlich könnte er es auch bleiben. Nach einer so fulminanten und spritzigen Geschichte scheint es fast unmöglich, eine würdige Fortsetzung zu schreiben.
Wir können gespannt sein.
Deutliche Kritik muss man aber an der Buchausgabe des Piper-Verlages üben. Wahrscheinlich hat kein Entscheidungsträger des Verlages je versucht, diese als »Klappenbroschur« bezeichnete Version eines Buches zu lesen. Das ist nämlich nur unter Zerbrechen des Buchrückens möglich. Bei einem exorbitanten Preis von 17,50 € eine Frechheit. Hier sollte der Verlag überprüfen, ob er noch Bücher zum Lesen herausbringen will. Es spricht nichts gegen eine normale Taschenbuchausgabe mit einfachen Papier, die Seite ausnutzendem Satz und einem biegsamen Rücken. Oder einer gebunden Ausgabe, wenn man schon teurere Bücher an den Mann bringen will.
Fazit:
Ein beeindruckendes Roman-Debüt im Hard-SF Umfeld. Raffiniert in eine spannende Thrillerhandlung verpackt, zeigt uns Hannu Rajaniemi die chaotische Zukunft, in der es trotz allem ganz normale Menschen gibt. Wenn es sie je gab.
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