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Die Sekte der Gottlosen

erschienen in der Anthologie In den Gassen von Saramee
Autor: Markus K. Korb \\
Keine Risiken. Ein todsicherer Tipp. Na klar!
Kronn, der Söldner, stand im Schatten des Scharfrichters, die Hände auf den Rücken gebunden. Seine Handgelenke schmerzten unter den eng gewickelten, groben Seilen.
Der Mann oben auf dem Podest stützte sich auf sein Breitschwert.
Er wartete. Er wartete auf Kronn.
Jener wurde unsanft von den Soldaten nach vorn gestoßen.
»Vorwärts, Todgeweihter!«
Einer der Soldaten ging voraus und zog Kronn an einem Strick, der an des Söldners Hals festgezurrt war, hinter sich die Holzstufen zum Richtplatz hoch.
Kronn knirschte mit den Zähnen vor Wut darüber, wie ein Tier zur Schlachtbank gezerrt zu werden. Nur widerwillig erklomm er die knarrenden Stufen.
Oben erwartete ihn noch eine zweite Gestalt. Es war der Richter, der in eine lange Robe gekleidet war. Unter seinem wachen Blick packten die Soldaten den Söldner und rissen ihn grob herum, so dass er über die Menge blickte, die sich auf dem Marktplatz von Saramee versammelt hatte.
Die Menschen warteten. Sie warteten auf seine Hinrichtung.
Den schmierigen kleinen Bastard, der mir den Tipp gab, schlitze ich auf!
Hinter sich hörte Kronn den Richter sprechen: »Kronn, du bist schuldig befunden, in eine der Schatzkammern der Stadtverwaltung von Saramee eingebrochen zu sein. Die Strafe hierfür ist die Enthauptung durch das Schwert. Hast du noch etwas dazu zu sagen?«
Der Söldner blickte grimmig zu den Menschen hinab und hob dann an zu sprechen: »Es war ein Missverständnis. Aber Richter - da ihr mir eh nicht glauben werdet, sage ich nur eines: Ich verachte euch und euer kleinkrämerisches Rechtsbuch, das nur in Gut und Böse unterscheidet.«
Und ehe die Soldaten reagieren konnten, drehte Kronn den Kopf und spuckte dem Richter vor die Füße. Dieser gab sich ungerührt und wandte sich an den Henker.
»Scharfrichter, so nehmt das Schwert und richtet im Namen der Bewohner von Saramee!«
Die Soldaten spannten die Stricke um Kronns Körper, sodass er sich nicht mehr rühren konnte. Der Henker trat von hinten heran und hob das Breitschwert.
In diesem Moment entstand weit hinten ein Tumult in der Menschenmenge. Aus einer Seitenstraße sprengte ein berittener Trupp und bahnte sich einen Weg durch die Massen.
»Halt!« schrie der vorderste Reiter laut über den Platz.
Der Henker zögerte. Der Richter verengte die Augen zu Schlitzen, bedeutete dem Scharfrichter mit einer Handbewegung, das Schwert sinken zu lassen.
Die Reiter kamen schnell heran. Kronn erkannte einen rotbärtigen Mann, der die übrigen anführte. Hinter ihm ritt ein Hüne, dessen Muskeln kaum von dem Lederwams gebändigt wurden. Kronn grinste.
Der Richter sprach den vordersten Reiter an. Seine Stimme troff vor Ironie: »Hauptmann Kaschemm! Was verschafft mir die Ehre eures Besuches? Wollt ihr ebenfalls der Hinrichtung beiwohnen?
Der Angesprochene schüttelte seine Löwenmähne und zwang sein Pferd zum Halt.
»Keineswegs. Im Namen der Stadtvorderen befehle ich euch, mir diesen Mann zu übergeben!« Seine Stimme klang hart. Der Befehlston war unüberhörbar. Kaschemm war es gewohnt, keine Gegenrede zu bekommen.
Der Richter hingegen wollte sich nicht so einfach übergehen lassen.
»Was soll das? Dieser Todgeweihte ist rechtmäßig verurteilt!«
»Hier ist das Schreiben, Richter. Lest selbst!«
Kaschemm griff in die Reittasche und holte eine Schriftrolle heraus, die er dem Richter zuwarf. Dieser fing sie auf, entrollte sie und las. Dann schüttelte er den Kopf.
»Soldaten, übergebt dem Hauptmann den Verurteilten.«
Kronn grinste den Richter an, während die Soldaten sich anschickten, ihn vom Podest zu stoßen. Die Menschenmenge murrte ob des ihnen verweigerten Schauspiels der Hinrichtung.
»Der nächste Todgeweihte ist ein Dieb namens Stain Bärg’Er. Bringt ihn herbei!« verfolgte der Richter ohne Regung den weiteren Ablauf der Hinrichtungsparade des heutigen Tages.
Kronn hingegen wurde von den Soldaten hinabgestoßen und kam vor Hauptmann Kaschemm zum Stehen. Dieser befahl dem Hünen neben ihm: »Lass ihn aufsitzen, Harrak!« Und zum am Boden stehenden Söldner gewandt: »Komm, Kronn. Die Stadtvorderen sind geneigt dir ein Angebot zu machen, das du nicht wirst abschlagen können…«

~~~

Der Söldner stand in einem achteckigen Raum, um dessen Mitte kleinere Sitzgruppen angeordnet waren. Nahezu alle Kissen waren unbesetzt, bis auf drei. Hier saßen zwei Schreiber vor ihren niedrigen Pulten und Ratsherr Vennas. Links und rechts von Kronn standen Kaschemm und ein Söldner namens Harrak. Beide kannte Kronn bereits aus früheren Abenteuern, die sich jedoch zumeist außerhalb der Stadt abgespielt hatten. Hier in Saramee waren beide sofort nach ihrer gemeinsamen Ankunft in die Dienste der Stadtvorderen gegangen, während Kronn versucht hatte, sich allein durchzuschlagen.
Ratsherr Vennas stand auf und trat vor die Söldner.
»Nehmt dem Mann die Fesseln ab!« befahl er. Harrak sah Kaschemm an. Dieser nickte und Harrak beeilte sich Kronn die Stricke abzunehmen. Dabei flüsterte er ihm zu: »Ich hoffe, du nimmst es uns nicht übel, aber mehr konnten wir nicht für dich tun, Freund.«
Kronn grinste ihn an und zwinkerte, was Harrak als Zeichen des Einverständnisses wertete.
»Söldner Kronn. Hauptmann Kaschemm und Harrak haben mir übereinstimmend berichtet, dass du ein Mann bist, der sein Wort hält – und ein äußerst fähiger noch dazu.«
Der Ratsherr musterte Kronn von Kopf bis Fuß. Die Antwort kam schnell.
»Das kommt darauf an, was ihr darunter versteht«, knurrte Kronn.
»Nun, wir werden sehen, ob das stimmt, denn ich möchte dir ein Angebot machen. Übernimmst du einen Auftrag für die Stadtvorderen, so wird deine Todesstrafe in eine Frondienststrafe umgewandelt.«
»Wie sähe dieser Frondienst aus? Soll ich für euch die Kleider putzen, oder was?« äußerte sich Kronn abfällig.
»Du bist nicht in der Lage derart zu sprechen. Aber ich denke, dass dein Ehrgefühl dich dazu verleitet. Aber höre zu – der Frondienst bedeutet, dass du für eine noch festzusetzende Zeitspanne in die Dienste Saramees eintrittst – als Söldner.«
Kronn schwieg einen Moment. Dann nickte er.
»So sei es. Doch was ist der Auftrag?«
Der Ratsherr lächelte und entfernte sich einen Schritt.
»Seit einigen Wochen verschwinden Straßenkinder aus Saramee. Das Problem der Waisenkinder, die sich durch Diebereien und Betteln über Wasser halten, ist lange bekannt. Auch dass sie verschwinden, ist nichts Neues. Doch nun sorgt jemand dafür, dass diese Kinder mit einer Regelmäßigkeit verschwinden und nie wieder auftauchen, dass es geradezu ein Politikum geworden ist. Keine Leichen, kein Mord. Und auch die Stadtwachen melden keine Hinweise auf den Verbleib der Straßenkinder. Sie sind also sehr wahrscheinlich noch irgendwo hier in Saramee. Aber wo? Was geschieht mit ihnen? Das sollst du herausfinden.«
Kronn schob die Unterlippe vor und nickte geistesabwesend. Sein Blick war in die Ferne gerichtet.
»Was ist? Nimmst du den Auftrag an?« wollte der Ratsherr Vennas wissen.
Der Söldner grinste. »Ja. Und ich weiß auch schon, wo ich mit meiner Suche beginnen werde…«

~~~

Rashof aß gerade zu Abend, als das Holz seines Fensterkreuzes mit einem Krachen barst und die Splitter quer durch den Raum stoben.
Mit den Füßen voran schwang sich Kronn durch das Fenster, ließ das Seil los, mit dem er sich vom Dach hatte herabfallen lassen, und landete breitbeinig auf den Dielenbrettern. In der Rechten hielt er sein Schwert aus Fischbein, das weiß im schwachen Licht des Herdfeuers schimmerte.
Ein gewaltiger Satz brachte ihn an den überraschten Rashof heran, der sich an den Resten seiner Mahlzeit verschluckte und nach Luft schnappte. Kronn packte den Mann am Hals und warf ihn grob auf den Tisch, wobei er das Töpfe und Geschirr von der Platte fegte.
Noch immer Rashof am Hals festhaltend hob der Söldner sein Schwert und fauchte seinen unterlegenen Gegner an.
»Erkennst du mich wieder, du stinkender Wurm?«
Rashof bemühte sich, die Fassung wiederzuerlangen. Es gelang ihm nur mühsam.
»K…K…Kronn! Schön, dass du vorbeischaust. Warum bist du so aufgebracht?«
»Warum ich so aufgebracht bin?« Kronns Augen blitzten und seine Stimme wurde gefährlich leise. »Dein todsicherer Tipp hätte mir fast das Leben gekostet, du Aasfresser! Gib mir einen Grund, warum ich dich nicht töten sollte!«
Beschwichtigend hob Rashof die Hände. »Aber du lebst! Daher…«
Kronn ließ ihn nicht ausreden. In einer schnellen Bewegung hielt er dem Mann das Schwert an die Kehle. Seine Worte waren kaum mehr als ein Knurren.
»Schweig! Du wirst dich diesmal nicht so einfach herauswinden können. Du bist mir einen Gefallen schuldig, Rashof.«
»Jeden, den du wünscht«, stotterte der Angesprochene. »Wie kann ich helfen?«
»Ich brauche eine Information für die Stadtvorderen. Die Straßenkinder. Wohin verschwinden sie? Was weißt du darüber?« Kronn lockerte seinen Griff ein wenig.
»Oh, die Straßenkinder. Ich dachte, alle würden sich freuen, wenn sie verschwinden, denn…« Aber Kronn unterbrach ihn.
»Halt dein dreckiges Maul, elender Halsabschneider. Auch sie sind Bewohner der Stadt und unterstehen somit dem Schutz durch die Stadtherren. Also – wo sind sie?«
»Auf den Straßen munkelt man etwas von einer Sekte, welche die Straßenkinder entführe und in einem unterirdischen Verließ einsperre. Zu welchem Zweck weiß keiner. Aber in den Nächten wollen einige Diebe gesehen haben, wie Wesen den Kindern nachstellten. Wesen, in lange schwarze Kutten gehüllt, mit gebeugten Rücken. Angeblich tauchen sie aus einem bestimmten Brunnen am Rande des Marktplatzes auf. Es ist derjenige am nordöstlichen Ende des Hauptmarktes. Das Wasser ist nicht tief. Die Diebe von Saramee benutzen dort einen selbstgeschlagenen Einstieg in die Kanalisation als Fluchtweg.«
»In Ordnung, Aasfresser.«
Kronn ließ Rashof los.
Dieser stand vom Tisch auf, richtete seine Kleidung und gewann deutlich an Souveränität zurück.
»Warum springst du eigentlich durch Fenster und kommst nicht durch die Tür, wie es jeder normale Mensch macht?«
Kronn grinste.
»Ich habe eine Vorliebe für dramatische Auftritte…«

~~~

Die Fackel warf Kronns Schatten übergroß an die Häuserwände, an denen er auf seiner nächtlichen Wanderung vorbeizog.
Auf dem Rücken trug er einen Köcher samt Pfeilen, dessen Gurt er eng um die Brust geschnürt hatte. An seiner Seite baumelten das Fischbeinschwert, zwei Fackeln und ein Säckchen. In letzteres hatte der Söldner verschiedene Metallstäbe und andere Werkzeuge gepackt, die ihm bei seiner Unternehmung von Nutzen sein mochten, wie er dachte. Die linke Schulter wurde von einem Seil samt vierendigem Enterhaken umspannt.
Kronn gelangte ohne Zwischenfälle zum Hauptplatz von Saramee, der um diese Stunde der Nacht in Schweigen dalag. Die letzten Trunkenbolde lärmten noch irgendwo in den Seitenstraßen, aber der Marktplatz lag verwaist in der Dunkelheit. Nur die Sterne hoch oben am Himmel funkelten ihr schwaches Restlicht hinab, das jedoch nicht auf dem Pflaster ankam.
Der Söldner orientierte sich kurz, dann schritt er entlang der Häuserreihe hinüber zur nordöstlichen Ecke des Platzes, wo ein Schatten gegen die nächstgelegene Hauswand dunkelte. Der Brunnen.
Als Kronns Fackel das steinerne Rund aus der Finsternis brannte, erkannte er, dass man den Wassereimer hochgezogen hatte. Er schwebte scheinbar schwerelos über dem Abgrund, einzig gehalten von dem nassdunklen Seil, das um eine Winde gewickelt war. Der Söldner musste lächeln, als er daran dachte, wie er seinem Freund Kaschemm versprochen hatte, sich an die Abmachung mit einem Reichen zu halten, entgegen Kronns Maxime, zuerst an sich und dann an die Regeln zu denken. Harrak hatte Kronn begleiten wollen, aber dieser hatte ihm mit der Breitseite seines Fischbeinschwerts freundschaftlich auf den Rücken geklopft und gemeint, dass Harrak bei seiner Körpergröße und Bauchumfang wohl kaum dazu geeignet sei, in der Kanalisation herumzukriechen.
Dabei hätte der Söldner seinen Waffenbruder gerne an der Seite gehabt. Schon so manches Mal war es in der Vergangenheit zu einem Handgemenge in den Tavernen kleiner Orte gekommen, aus denen Kronn mit Hilfe seines Freundes siegreich hervorgegangen war. Gegenstand der Händel waren stets Frauen gewesen, wie Kronn mit einem Grinsen dachte.
Er stellte sich neben den Brunnen, klemmte die Fackel in einen Spalt zwischen den Pflastersteinen und hakte den Enterhaken am Brunnenrand fest. Sodann nahm er die Fackel wieder auf und legte sie so in den Wassereimer, dass ihr blakendes Ende den Rand des Eimers überragte und drehte die Winde. Sofort sank der Wassereimer hinab in den Brunnen.
Kronn beobachtete, wie der Lichtring an den feuchten Brunnenwänden tiefer und tiefer glitt, bis er ein leises Platschen hörte, das vom Auftreffen des Holzeimers auf dem Wasser kündete. Ein wenig zog er ihn wieder hoch, damit die Fackel nicht gelöscht wurde.
Nun schwang sich der Söldner auf das steinerne Rund, prüfte das Seil und ließ sich in die Finsternis hinab, wo unten der Lichtschein der Fackel die Wände mit einem unsteten Schein beleuchtete.
Er hatte das Seil zwischen die Beine geschlungen und kontrollierte mit den Händen seinen Abstieg. Die Wände des Brunnens waren überzogen mit Moos und Algen. Die Steine glitzerten feucht im Restlicht, das von unten heraufdrang. Nach wenigen Augenblicken tauchten Kronns Füße in das kalte Wasser.
Mit einer Hand hielt er sich fest, mit der anderen zog er sein Fischbeinschwert und stocherte damit im Nass umher. Als die Schwertspitze auf Stein stieß, nickte er befriedigt. Sein Schwert führte er wieder zurück in die Scheide, dann ließ er sich die restliche Strecke hinab und stand sogleich bis zu den Knien im Wasser.
Der Söldner pflückte die Fackel aus dem Eimer, der auf der Oberfläche trieb und sah sich um. Er entdeckte den Einstieg in die Kanalisation sofort. Von oben kaum auszumachen, war es nicht zu verbergen, dass ein Dutzend Steine aus der Wandung herausgebrochen worden waren. Ein gezacktes Loch von halber Mannesgröße spie Dunkelheit aus. Der Söldner hielt die Fackel vorgestreckt und leuchtete in die Höhlung. Ein gemauerter Gang führte dort drinnen nach links und rechts hinfort.
Kronn streckte sein rechtes Bein empor, brachte es über den Rand des Einstiegs und fand darinnen Halt. Dann tauchte er mit Kopf und Körper hinein und zog das andere Bein nach. Er stand nun im Gang und hob die Fackel hoch über sein Haupt, auf dass ihr Licht möglichst weit schien.
Die Decke des Ganges war überzogen mit Spinnweben, die in der Zugluft sanft auf- und absanken. Der Kot von kleinen Tieren zeigte dem Söldner, dass die Kanalisation weit mehr Wesen Raum zum Leben bot, als nur den allgegenwärtigen Spinnen. Auf dem Boden entdeckte er eine breite Schleifspur im Staub. Sie führte nach rechts den Gang entlang. Links waren lediglich Fußabdrücke zu sehen. Er nahm an, dass diese wohl von den Dieben stammen mussten, während die rechte Spur eher zu einem Wesen passen mochte, das einen langen Umhang trug, der über den Boden schleifte. Geräuschlos zog Kronn sein Schwert und machte sich auf den Weg.
Er folgte der Schleifspur, wohin sie auch führten mochte. Bald lief er über kleine Steinbrücken, dann eilte er am Rand von wasserführenden Kanälen entlang und schließlich stieg er eine Freitreppe empor, deren Stufen glitschig von Algen waren. Am Ende seines Weges gelangte er in eine Sackgasse.
Der Gang endete an einer Holztür. Kronn drückte die rostige Klinke. Verschlossen. Er legte die Fackel auf einen Stein und kramte in seinem Ausrüstungsbeutel nach den kleinen Metallstäben. Zwei der Stäbe führte er in das Schlüsselloch ein und begann mit an das Holz gelegtem Kopf auf die Geräusche zu horchen, welche sie im Schließmechanismus erzeugten. Schon bald kündete ein Klacken den Erfolg eines Stäbchens. Kurz danach knackte es ein zweites Mal und Kronn drückte die Klinke erneut herab. Die Tür ließ sich öffnen.
Schnell stieß er die Fackel kopfunter zu Boden, so dass sie funkensprühend erstarb und wartete einen Moment in der Dunkelheit. Erst dann wagte sich der Söldner in den angrenzenden Raum hinein.
Aus der Höhe sickerte fahles Mondlicht herab. Es drang durch drei mit Gittern versehene Öffnungen, die sich hoch oben an der Stirnwand befanden, nahe der Decke. Staubteilchen flockten umher und schienen wie Glühwürmchen zu glimmen, sobald sie auf ihrem Weg durch das Dunkel die schräg einfallenden Mondstrahlen durchquerten und gaben jenen somit die Form von dünnen Lanzen.
Kronn nahm an, dass die Öffnungen zu einem entlegenen Straßenabschnitt nahe der Stadtmauer führen mussten, anders war nicht zu erklären, warum man das Verlies nicht schon eher entdeckt hatte.
Denn nichts anderes war das, was Kronn hier vor sich hatte.
Links und rechts waren Gittertüren. Der Söldner ging an eine jede heran und entdeckte dabei stets das Gleiche: Stroh am Boden, darauf ein kleine in sich gekrümmte Gestalt. Insgesamt vier Straßenkinder lagen in den Kerkern und warteten auf ihr ungewisses Schicksal.
Er schlich von Zelle zu Zelle, wollte keines der Kinder wecken, denn er befürchtete, dass sie ihn mittels einer unbedachten Lautäußerung verraten könnten. Irgendwo musste sich derjenige befinden, der die Kinder geraubt hatte. Ihn galt es aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen.
Kronn entdeckte einen Lichtspalt am Boden. Er schritt auf darauf zu und der Spalt entpuppte sich als Saum eines Vorhangs, unter dem Licht hervorsickerte. Behutsam krallte der Söldner seine Finger um den Stoff und zogen ihn ein wenig zur Seite. Was er sah, ließ sein Blut in Wallung geraten.
Zehn Schritte vor ihm standen zwei merkwürdige Wesen in einem Raum, der vom Licht zahlloser Kerzen erleuchtet wurde. Nahezu überall standen hohe Kandelaber. Unförmige Rußflecken verunzierten die Decke.
Die beiden Wesen trugen lange Roben, die bis zum Boden reichten. Die Rücken der Kreaturen waren gekrümmt, sie schienen von einer schmerzhaften Krankheit gezeichnet zu sein.
Kronn konnte ihre Gesichter nicht sehen, da sie ihm die Kehrseite zuwandten, doch nahm er an, dass sie nicht menschlich waren. Sie bewegten ihre Arme und gaben ein sonores Brummen von sich. Der Söldner vermutete, dass die Wesen eine Art sakrale Handlung durchführten. Doch alle Überlegungen wurden bedeutungslos, als sich ihm offenbarte, woran sich die Kreaturen zu schaffen machten. Das Wimmern eines Kindes drang an Kronns Ohr. Nun war klar, dass er ohne zu zögern handeln musste.
In einer fließenden Bewegung steckte er sein Schwert weg und nahm den Bogen von der Schulter. Ein Griff und sofort lag der gefiederte Pfeil auf der Sehne, das vordere Ende mittels der Linken stabilisiert, die sich als Faust um den Bogen geschlossen hatte. Langsam hob er die Waffe, rückte damit den Vorhang gerade so weit zur Seite, dass die Pfeilspitze ein wenig in den Raum hinein reichte und er auf eines der Wesen zielen konnte.
Kronn spannte die Sehne bis zum Zerreißen, die Enden des Bogens wurden dadurch nach hinten gezerrt.
Die Muskeln des Söldners zeichneten sich deutlich unter der Haut ab, hielten die Sehne in Position.
Die Schwierigkeit dieses Schusses bestand darin, nicht einen der vielen Kandelaber zu treffen, die überall im Raum standen. Kronn überlegte lange, welcher Schusswinkel zu wählen sei, um die Flugbahn des Pfeiles exakt an den Kerzen vorbei zu berechnen. Irgendwann gab er die Arithmetik auf, vertraute auf sein Glück und betete sicherheitshalber zu Crom – dann ließ er Sehne und Pfeil los.
Der Pfeil verließ surrend die Sehne und schwirrte halbbogenförmig durch die Luft. Auf seinem Weg zischte er so dicht am Docht einer Kerze vorbei, dass sie vom Luftzug ausgeblasen wurde. Eine zweite Kerze, auf einem der nächsten Kandelaber, wurde von den Federn des Pfeils gestreift. Sie drehte sich auf ihrem Dorn, flackerte und hüpfte schließlich vom Schwung des Pfeils mitgerissen vom Kandelaber und fiel zu Boden.
Das war der Moment, in welchem die beiden Wesen ahnten, dass ihnen Gefahr drohte. Vom Geräusch der aufprallenden Kerze gewarnt, fuhren beide herum und offenbarten den Teil ihrer Roben, wo sich ihre Gesichter befinden sollten. Doch an Stelle der Gesichter gähnten schwarze Höhlen unter den Kapuzen. Und in genau eine jener Höhlen flog der Pfeil!
Was den Söldner davon überzeugte, dass sich doch irgendwo unter den Kapuzen Gesichter befinden mussten, war der markerschütternde Schrei, der ertönte, als sich der Pfeil in eines hineingebohrt hatte. Er ragte aus der schwarzen Kapuzenhöhle heraus.
Das Wesen ruderte mit den Armen, suchte den Pfeil zu greifen, allein es gelang nicht mehr. Mit einem Stöhnen sank es zu Boden und zuckte nunmehr hilflos mit Armen und Beinen.
In der Zwischenzeit hatte der Söldner bereits den Bogen wieder auf den Rücken geschnallt und den Vorhang gänzlich zur Seite gerissen.
Wie ein Berserker stürmte er vorwärts, eine wilden Schrei auf den Lippen. Mit dem Fischbeinschwert die Kandelaber nach links und rechts wegschlagend, bahnte er sich blitzschnell einen Weg durch den Raum. Der Söldner war so flink, dass das Wesen gar nicht an Flucht zu denken vermochte und reglos an die Wand gepresst stand. Nur flüchtig nahm er den Knaben wahr, der vor eine Öffnung gekettet war, zu der Treppenstufen hinabführten. Dann war Kronn heran und riss das Schwert hoch.
Seine Linke krallte sich um den Hals des Wesens, der unter der Robe verborgen war, während Kronns Rechte das Schwert stoßbereit in der Luft hielt und mit dessen Spitze auf die Kapuzenhöhlung zeigte.
Eine schnelle Handbewegung und er riss dem Wesen ruckartig die Kapuze in den Nacken. Der Söldner blickte in eine Fratze, die zwar grauenvoll entstellt, aber dennoch zweifelsfrei menschlich war.
Die Brauen des Mannes wuchsen auf weit vorspringenden Wulsten, welche die Augen nahezu verdeckten. Dennoch erkannte Kronn, dass die Pupillen zwei verschiedene Farben hatten und dass die Augäpfel nicht parallel zueinander lagen. Tiefe Narben zogen sich über das gesamte Gesicht. Die Nase war nur ein dreieckiges, von fransenartigen Hautlappen verdecktes Loch. Der offene Mund gähnte schief und entblößte schwarzfleckige Zähne, deren Reihe kreuz und quer den Rachen hinab lief. Ihm entrangen sich die Worte: »Du hast meinen einzigen Bruder getötet!«
Der Söldner blickte auf die Leiche am Boden, deren Kapuze verrutscht war und ein Gesicht zeigte, das demjenigen ähnlich war, das er eben vor sich sah. Aus ihrer Stirn ragte der Schaft des Pfeils. Voller Ekel verzog Kronn sein Gesicht.
»Was macht ihr mit den Straßenkindern?« knurrte er.
Der Angesprochene zuckte, doch Kronns Griff lockerte sich nicht. Der Mann antwortete: »Unsere Göttin empfängt sie als Opfer. Die Göttin ist nicht so wie eure Götzen. Sie ist wirklich, nicht weit entfernt und taub unseren Gebeten. Wie oft haben wir die alten Götter einst angefleht, dass sie unsere Missbildungen heilen mögen – doch sie taten nichts. Aber unsere Göttin bearbeitete unsere Gesichter mit ihren Krallen, auf dass wir wieder schön werden!«
Der Söldner überlegte, wie er die Worte des Missgebildeten zu deuten habe.
»Wer ist eure Göttin? Wo lebt sie?«
Das Gesicht des Angesprochenen hellte sich auf.
»Sie lebt in den Schwachen und Verwundeten!« »Red keinen Unsinn, oder du stirbst!« brüllte Kronn und verstärkte seinen Griff. Der Missgebildete stöhnte auf, sprach aber weiter: »Hier ist ihr Tempel, hier unten im Gang!« Er deutete am Söldner vorbei in die Richtung des geketteten Jungen vor der Wandöffnung.
»Wir fanden sie vor wenigen Monden und sofort warf sie sich auf uns, zerfurchte unsere Gesichter.«
Seine Stimme wurde flehentlich.
»Wir stehen im Dienste der Stadtvorderen von Saramee! Wir arbeiten in den Kanälen, halten sie frei vom Dreck, verscheuchen die Aasfresser – du darfst uns nicht töten!«
»Und die Straßenkinder? Wer gab euch das Recht dazu sie zu töten?« bellte Kronn den Missgebildeten an.
»Die Kinder sind ein ständiger Unruheherd in der Stadt. Wie ein Fieber, eine Krankheit. Sie muss ausgerottet werden!«
»Du befreist jetzt den Jungen, oder ich durchbohre dich mit dem Schwert, das schwöre ich bei Crom!«
Der Mann nickte, so gut er das bei Kronns unbarmherzigem Griff konnte. Dann ließ der Söldner den Missgebildeten los und dirigierte ihn hinüber zum Knaben. Der Mann stolperte die Stufen hinab zu dem Jungen, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen vor der dunklen Wandöffnung angekettet war.
Der Missgebildete nahm einen Schlüssel aus der Tasche seiner Robe und steckte ihn in Schlösser, welche die Kettenbänder zusammen hielten. Sobald er das erste Band geöffnet und sich der Junge mit einer Hand befreit wähnte, schlug dieser dem Robenmann kräftig ins Gesicht.
»Das dafür, dass du mich gefangen genommen hast!« schrie der Knabe und schlug ein weiteres Mal zu.
»Und dies dafür, dass du mich opfern wolltest!«
Als er ein drittes Mal ausholte, packte ihn Kronn am Handgelenk.
»Genug! Wer Gewalt mit Gegengewalt an Unterlegenen beantwortet, steht auf einer Stufe mit dem Täter!«
Der Knabe, den der Söldner auf ungefähr fünfzehn Jahre schätzte, sah ihn wütend an, nickte aber dann.
»Du hast Recht, Fremder.« Er fügte hinzu: »Ich danke dir für die Befreiung. Mein Name ist Logan – alle nennen mich nur Lo.«
Während der Missgebildete auch die anderen Kettenbänder löste, antwortete der Söldner: »Mein Name ist Kronn. Ich habe den Auftrag von offizieller Seite, nach dem Verbleib der Straßenkinder zu fahnden.«
Logan grinste. Er war drahtig und von halber Mannesgröße. Sein braunes Haar stand ihm in wirren Strähnen vom Kopf ab. Er reichte Kronn die Hand.
»Danke, hätte nie gedacht, dass sich die Stadtvorderen für das Schicksal der Straßenkinder interessieren.«
Er trat einige Schritte auf den Söldner zu, erklomm dabei die wenigen Stufen und blieb vor Kronn stehen, der ihm über die Schulter blickte, da er erkennen wollte, was der Missgebildete tat.
Dieser stand mit dem Rücken zur Öffnung und ließ die Arme hängen. Urplötzlich riss er sie hoch und breitete sie aus. Der Söldner stieß Logan zur Seite und brüllte.
»Vorsicht!«
Der Missgebildete bog seinen Rücken durch, so dass die gekrümmten Wirbel krachten. Seinen Kopf schleuderte er in den Nacken. Seine Augen drehten sich so, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Aus seinem Rachen ertönte ein Gurgeln, dann spuckte er eine Blutfontäne hoch in die Luft.
Etwas regte sich an seiner Brust. Die Robe hob und senkte sich, dann riss der Stoff entzwei und mit einem Blutschwall, der dem Söldner vor die Stiefel spritzte, bohrte sich eine Art Dorn ins Freie, dessen Spitze vor Röte troff.
»Die…Göttin!« keuchte der Missgebildete und erschlaffte.
Kronn reagierte schnell und wischte mit dem Fuß den Schlüssel zur Seite, den der Mann hatte fallen lassen und rief dem Jungen zu:
»Nimm ihn und befreie die anderen! Haut ab!«
Logan ließ sich das nicht zwei Mal sagen, bückte sich zum Schlüssel und pflückte ihn vom Boden. Der Söldner hörte den Jungen davonjagen, dann war er allein mit den beiden Leichen und der Kreatur, die sich in diesem Moment anschickte, die Öffnung zu verlassen.
Der Missgebildete wurde nach vorn gehoben. Er baumelte wie eine Gliederpuppe an einem Fangarm, dessen Unterseite mit kleinen Zacken bewehrt war. Hinter ihm kam das Geschöpf zum Vorschein, das von dem Sektenmitglied als »Göttin« bezeichnet worden war.
Zunächst tauchte ein weiterer Fangarm aus dem Dunkel. Dann schob sich ein dreieckiger Kopf nach, an dessen Seiten ovale Augen saßen. An der Kinnpartie zuckten zwei kleinere Ausgaben der Fangarme zu den Seiten hin und ein klebrig aussehendes Rüsselende hing zwischen den Kiefern der Kreatur heraus.
Kronn löste sich aus dem Bann, der durch das Erscheinen der Kreatur in ihm ausgelöst worden war, und zog mit der Linken eine Fackel aus seinem Gürtel. Er entzündete sie an einem der noch stehenden Kandelaber und streckte sie nach vorn.
Die zuckende Flamme entriss den Rest des Geschöpfes der Finsternis. Es stand auf vier langen Beinpaaren, den zweigeteilten Körper hoch erhoben. Aus seinem Maul drang ein Zischen, als Kronn die Fackel vor dem Wesen hin- und herschwenkte.
»Es ist ein riesenhaftes Insekt!«, staunte der Söldner. »So etwas gibt es nur im Dschungel. Es muss sich hierher in die Kanalisation verirrt haben, wo es keinen Rückweg mehr fand und von den beiden Missgebildeten Atzung erhielt. Doch damit ist nun Schluss!«
Das Wesen schleuderte mit einer schnellen Bewegung den toten Leib des Robenträgers von sich, der gegen die Wand krachte und zu Boden fiel, wo er mit verrenkten Gliedern liegen blieb. Dann klappte es beide Dornenarme zusammen, als würde es beten. Und öffnete sie kurz darauf blitzschnell, um sie auf den Söldner mit einem Fangschlag zurasen zu lassen.
Dieser hatte jedoch mit einem Angriff gerechnet und sprang zur Seite weg. Noch im Sprung legte er alle Kraft in seinen Schwertarm, der die Waffe quer durch die Luft fauchen ließ.
Sie traf einen der Fangarme am Gelenk und durchtrennte ihn. Der Dorn fiel zu Boden. Gelbliches Blut sprudelte aus dem Stumpf. Das Wesen kreischte vor Schmerz und Zorn. Seine nächste Attacke zielte gegen Kronns Beine.
Der übrig gebliebene Fangarm traf des Söldners linken Oberschenkel. Die sägezahnartige Unterseite riss Kronn eine fransige Fleischwunde. Er verbiss sich ein Stöhnen, knickte aber ein, sodass ihn der Stumpfstoß des Wesens an der Brust traf.
Der Söldner wurde nach hinten katapultiert und krachte gegen einen Kandelaber, riss ihn mit zu Boden. Dabei verlor er das Fischbeinschwert, das kreiselnd über die Steine schlitterte. Auf dem Rücken liegend hörte er, wie die Kreatur auf klackernden Insektenbeinen heraneilte und sich auf ihn warf. Instinktiv riss er die Fackel hoch. Sie brannte sich in den Kopfpanzer des Wesens, exakt über dessen rechtem Auge, denn es hatte sich zu der Beute herabgebeugt.
Mit einem Kreischen richtete es sich auf und torkelte etwas zurück. Dieser Moment genügte Kronn, um sich herumzuwälzen und nach seinem Schwert zu hechten. Die Fackel entglitt seinen Händen. Es gelang ihm den Griff der Waffe zu packen, als das Geschöpf sich eben wieder erholt hatte und auf ihn zusprang.
Den Fangarm zu einem tödlichen Stoß erhoben, flog es durch die Luft. Der Söldner wälzte sich auf den Rücken und hielt das Schwert mit beiden Händen fest, die Spitze dem Gegner zugewandt.
Als die Kreatur das glänzende Fischbeinschwert erkannte, war es bereits zu spät. Mit einem übelkeitserregenden Knacken bohrte sich die Waffe tief in den Brustpanzer des Rieseninsekts. Gelbes Blut rann an der Klinge herab und sickerte über Kronns Hände. Der Körper des Wesens erschlaffte.
Der Fangarm klapperte nutzlos geworden neben des Söldners Kopf auf den Steinboden. Ein letztes Mal zuckten die Kiefer, dann wurden die Augen trübe. Der Söldner drückte es mit dem angewinkelten Bein nach links weg und zog dabei das Schwert aus dem Brustpanzer heraus.
Die Kreatur fiel neben dem Söldner zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Kronn stand auf und trat ihr gegen den Kopf. Keine Regung.
Die Spitze des Schwertes schleifte neben ihm her, als er sich noch schwach auf den Beinen abwandte und zum Ausgang wankte.
Nahezu alle Kerzen lagen auf dem Boden. Sie waren ausnahmslos erloschen.

~~~

»Wir danken dir für deine hervorragende Arbeit, Kronn!«
Stadtrat Vennas klopfte dem Söldner auf die Schulter und überreichte ihm ein Säckchen, in dem es klimperte. Kronn grinste.
Nach seinem Abenteuer hatte er sich in einem der Badehäuser von den Strapazen erholt. Seine Wunde war versorgt und bereitete ihm keine Schmerzen mehr. Er hatte Harrak kommen lassen und ihm Bericht erstattet. Einen Tag später war jener zusammen mit Kaschemm in das Gästezimmer des Badehauses gekommen. Hauptmann Kaschemm hatte erzählt, dass man alles so vorgefunden hätte, wie Kronns Rede gewesen war. Das Rieseninsekt war sofort zu einem anerkannten Medikus gebracht worden. Dieser hatte jedoch die Gattung der Kreatur nicht bestimmen können. Er war davon ausgegangen, dass es äußerst selten im Dschungel vorkam, sonst hätten die Xer oder eine andere Rasse schon längst davon berichtet.
»…und da ich sehe, dass du von deiner Verwundung genesen bist, ordne ich an, dass du deine Dienste im Auftrag der Stadt Saramee bereits am morgigen Tag antreten wirst«, beendete Ratsherr Vennas eben seinen Satz.
»Was wird mein Auftrag sein?« wollte Kronn wissen. Kaschemm und Harrak, die im Hintergrund standen, grinsten sich an. »Du wirst unter dem Kommando von Hauptmann Kaschemm an Bord eines Schiffes gehen, das die Küstenstraße vor Saramee kontrolliert. Die Piraten sind in letzter Zeit eine wahre Plage geworden«, sprach Vennas.
»Und Harrak?« Kronn runzelte die Stirn.
»Harrak ist zurzeit unabkömmlich in der Stadt. Er hat in der Abwesenheit von Hauptmann Kaschemm die Oberaufsicht über die Stadtwache. Ihr seid entlassen, Söldner Kronn. Habt Dank für eure Mühe – aber denkt immer daran, wem ihr es verdankt, dass ihr nicht hingerichtet worden seid!«
Kronn nickte knapp und drehte sich grußlos um. Zusammen mit Kaschemm und Harrak verließ er den Saal.
Als die drei das Gebäude verlassen hatten, sog Kronn tief die Abendluft in seine Lungen.
»So werde ich also vom Kanalreiniger zum Piratenjäger – ein toller Aufstieg!« Kronn grinste.
Harrak schlug ihm auf die Schulter.
»Und das unter dem Kommando des größten Saufkumpanen jenseits des Gebirges!«
»Vorsicht, Harrak!«, drohte Kaschemm und sein Mund war nunmehr ein schmaler Strich inmitten des roten Bartes, »Überspann den Bogen nicht! Noch sind wir im Dienst!«
Kronn blickte auf die untergehende Sonne.
»Nein, der Dienst endet bei Sonnenuntergang. Kommt, Freunde, lasst uns einen Humpen Wetah in der »Nassen Feder« kippen. Das haben wir uns redlich verdient!«
Und Schulter an Schulter schritten die drei Söldner die Straße entlang. Sie bemerkten den Straßenjungen nicht, der im Schatten eines Hauses stand. Er kratzte sich mit den Fingern im wirr abstehenden Haar, schüttelte den Kopf – und lächelte.

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