Schattenspiele (Autor: Michael Schmidt; Genre: Fantasy)
 
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Leseprobe: Schattenspiele

Der Reisende raffte seinen grauen Umhang und verließ das Portal. Er streifte sich die langen Haare aus dem Gesicht. Sein Haaransatz wurde immer höher, im gleichen Maße schienen die restlichen Haare störrischer zu werden. Der kleine Mann schnüffelte durch seine spitze Nase. Immer noch dieser Geruch. Dieser ganz spezielle Geruch, der den Portalen anhaftete, den er nirgendwo sonst jemals wahrgenommen hatte.

Er war mittlerweile fast vierzig Jahre alt, doch die Reisen durch das Portal waren immer wieder ein ganz besonderes Erlebnis für ihn. Und das, obwohl er schon unzählige Male diesen Weg benutzt hatte. So oft, er konnte sich an die einzelnen Reisen gar nicht mehr erinnern. Trotzdem gab es keinen Gewöhnungseffekt. Es wirkte immer wieder fremd.

Er schüttelte die Benommenheit ab. Es war ein immer wieder belastendes Gefühl, durch die Portale zu reisen. Der Übergang in eine scheinbar andere Welt war es, der einem eine Gänsehaut verursachte. Diese Ferne, diese unendliche Weite. Ein Hauch von Ewigkeit, ein Gefühl der Größe, die einem vor Augen führte, wie winzig doch das eigene Leben war.

Diese universelle Größe zerrte hungrig an seinen Kräften und er fühlte jedes Mal, wie ein Teil seiner Lebenskraft verloren zu gehen schien. Ob es jedem Reisenden so ging? Er hatte selten ähnliche Klagen gehört.

Aber das war jetzt auch unwichtig. Er streifte die düsteren Gedanken ab und sah den Turoswächter an. Es handelte sich um einen schmaler Mann, gekleidet in dem traditionellen Gewand des Kultes, das lange Haar zu einem Zopf gebunden, der nach hinten in die Höhe ragte und ihn noch größer erschienen lies, als er sowieso schon war.

Der Kult der Turoswächter hat das Monopol für die Reisen von Stadt zu Stadt, von den verschiedenen Plätzen der Welt, auch den sehr weit entfernten. Und die Stadt Saramee war am einfachsten durch ein Portal zu erreichen, der Seeweg war gefährlich und hatte schon so manches Menschenleben gekostet. Piraten kontrollierten die Gewässer und was diesen entging, erledigten die Riffe. Es gab auch Berichte über Seeungeheuer, jedoch war sich der Fremde sicher, dass diese Teil der sarameeschen Gerüchte waren, denen man keinen Glauben schenken musste.

Es gab noch einen weiteren Weg über das Gebirge, doch dieser wurde von marodierenden Banden kontrolliert, die manches Mal Wegzoll nahmen, oft genug aber auch das Leben der Reisenden. Kein Weg, den ein vorsichtiger Mann wählte. Der Fremde war ein vorsichtiger Mann und nahm so doch lieber das Portal in Kauf. Mit all seinen Nachteilen.

Der Wächter deutete zur Tür. Er war ein Mensch und nicht der eigentliche Führer durch die Tore. Dies machten die Xer, ein menschenähnliches Volk mit brauner Haut und weißen Haaren. Die kohlschwarzen Augen und der harte Zug um den verkniffen wirkenden Mund wirkten einfach unheimlich, ein anderer Ausdruck fiel ihm nicht ein.

Ja, er würde sogar behaupten, die Xer entsprach seinen Vorstellungen des Bösen. Der Fremde war froh, seinem Führer entronnen zu sein. Es war ein gedrungenes Exemplar seiner Gattung gewesen, die Schulter etwas breiter wie bei einem Menschen, dabei aber wesentlich kleiner. Der Buckel verwachsen wie bei allen Xer, trotzdem waren sie beweglich und flink, was man auf den ersten Blick nicht erwarten würde.

Der Reisende schauderte immer noch. Er hatte den Tod geatmet, ähnlich, wie man es in manchen Nächten auf einem Friedhof verspürte. Die Gestalt war ihm zuwider und er war froh gewesen, als der Turoswächter übernahm und ihn zum Ausgang führte. Gerüchten zu Folge aßen die Xer ihre Toten.

Der Fremde raffte sich auf und schob die abschweifenden Gedanken zur Seite. Ja, es wurde Zeit, in die Stadt und ihr ganz spezielles Flair einzutauchen. Seine Häscher waren ihm auf den Fersen und seine Spur nur wenige Stunden alt. Je länger er an einem Ort verweilte, desto mehr bestand die Gefahr, dass sie ihn wider Erwarten aufspüren würden. Er zögerte ein letztes Mal.

War es die richtige Entscheidung gewesen, direkt in die Höhle des Löwen zu gehen? Sich in dessen ureigenstem Reich zu verstecken? Hier, wo sein Gegenspieler besonders mächtig war?

Sicher war er sich gewesen. Sicher, dass seine Verfolger ihn hier am wenigsten suchen würden, aber mittlerweile sank seine Zuversicht rapide. Ein ungutes Gefühl breitete sich in der Magengegend aus und ließ ihn das schmale Gesicht verziehen.

Nun, er hatte keine Zeit zu verlieren, das sagte ihm sein Instinkt. Dem Wächter zunickend schickte er sich an, das Tor zu verlassen. Er prüfte ein letztes Mal seine Jackentasche und stellte erleichtert fest, dass die Münze noch an der Stelle war, wo er sie eingenäht hatte.

Unwillkürlich zögerte er den letzten Schritt hinaus. Fast so, als wollte er irgendetwas rückgängig machen. Da stieß ihn der Turoswächter an der Schulter an und forderte ihn auf, das Portal zu verlassen. Ein Herz fassend betrat die staubigen Straßen von Saramee. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

 

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Titel: Schattenspiele

Autor: Michael Schmidt

Reihe: Saramee Bd.5

Illustration: Chrissi Schlicht

A5 Paperback – 72 Seiten

ISBN: 3-936742-55-3

Verlag: Atlantis Verlag

erschienen Juli 2005

Erhältlich bei: Amazon

Disclaimer:

Freigabe zur Weiterveröffentlichung der Leseprobe besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


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Erstellt: 11.11.2005, zuletzt aktualisiert: 19.01.2015 06:53, 1534