Schaumschwester (Autor: Thor Kunkel)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Schaumschwester von Thor Kunkel

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Eine unbestimmte Zeit in naher Zukunft, die Menschheit steht vor einem Problem: Die Erdbevölkerung schwindet drastisch, die sozialen Sicherungssysteme drohen zu kollabieren, die Macht der Politiker

zu bröckeln. Nach einem Gipfeltreffen wird der zynische Geheimagent Kolther mit einem heiklen Auftrag betraut: Er soll das Komplott einer Sexpuppenfirma verhindern, der es gelungen ist, so wirkungsvolle »Schaumschwestern« herzustellen, dass sich die Menschheit, den Puppen verfallen, nicht mehr fortpflanzt. Doch Kolther, der erst nach und nach die Hintergründe seines Auftrags versteht, wird selbst zum Spielball seiner Auftraggeber. Kann er, in Begleitung seiner so schönen wie schlauen Kollegin Lora, das Komplott hinter dem Komplott aufdecken und die Menschheit retten?

 

Eine moderne Pygmalion-Geschichte zwischen E. T. A. Hoffmann und Hans Bellmer, und gleichzeitig ein rasanter, spannender und aberwitziger Spionageroman, der von der Ablösung des Menschen durch seinen nächsten Evolutionssprung erzählt.

 

Rezension:

Thor Kunkel kann sich der Aufmerksamkeit des deutschen Feuilletons spätestens seit seinem 2004er Buch Endstufe sicher sein. Dass dabei leider nicht immer eine fundierte Betrachtung des Werkes sondern ein Autorenbashing heraus kommt, konnte man bei seinem jüngsten Roman Schaumschwester beobachten.

 

Unsere Welt steht schon seit langem permanent am Abgrund und Kunkel widmet sich einem Aspekt davon, allerdings unter phantastischen Vorzeichen. Den Geburtenrückgang in Europa führt er auf die Existenz lebensecht wirkender Sexpuppen zurück - den titelgebenden Schaumschwestern.

Ein frustrierter Kryptograf erhält den Regierungsauftrag, die Kundendatei der Herstellerfirma zu beschaffen, damit die Bedrohung bei den Kunden ausgemerzt werden kann. In Nizza trifft sich die Chefriege der Firma mit Aktionären, Kunden und jeder Menge jener Puppen in Rollstühlen auf einem Jahrestreffen. Ideale Gelegenheit für Kolther, an den Laptop des Firmengründers heranzukommen, während seine Assistentin Lora versucht, die möglichen Passwörter einzugrenzen...

 

Soweit in Kurzform der Thriller-Hintergrund des Buches, der gar kein Thriller sein will, und auch keine SF-Geschichte, wie Thor Kunkel gern betont.

Vielmehr entwickelt sich im Rahmen der Handlung eine vielschichtige und über weite Strecken tief zynische Deutschland- ja sogar Weltanalyse, denn Kunkels Hauptfigur leidet stark an der Welt. Das ermöglicht ihm nicht nur, so ziemlich überall Kulturkritik anzubringen, Kunkel schafft es dadurch auch, der Maschinenevolution eine gesellschaftliche Grundlage zu verpassen, die durchaus plausibel erscheint. Etwas verklärend als positive Melancholie betitelt, betrachtet Kolther sein Leben negativ und abgeschlossen. Er besitzt Antworten auf alle Fragen, die Welt überrascht ihn nur dann, wenn sie nicht seine Erwartungen erfüllt und selbst dann sieht er darin wieder nur einen weiteren Grund, sie untergehen zu lassen. Dadurch stört es ihn wenig, zur aussterbenden Rasse zu gehören. Es ist keine Last, keine Sühne sondern Konsequenz. Er beginnt zunehmend mit der Ablöse-Philosophie seines Opfers zu sympathisieren.

 

Kunkel greift im Vorbeigehen tief in das wunde Fleisch unserer Gesellschaft, regt sich über Supermodells und Popsternchen ebenso auf wie über die EU-Bürokratie oder die zunehmende Überwachung. Aber alles eher auf emotionaler Ebene im Rahmen gerechter Entrüstung, mit dem gesunden Menschenverstandes des Underdogs Kolther, der die Welt in all ihrer Schlechtigkeit zu erkennen glaubt.

Erst im verschachtelten Schluss wird deutlich, dass der Autor seiner Figur nicht komplett über die Schulter schaut, dass da etwas jenseits des laut polternden Griesgrams ist.

 

Wenn man sich die Vorwürfe zu Schaumschwester ansieht, die im wesentlichen auf drei Passagen im Buch zielen, in denen Kunkel die Nazis und ihre Ausprägungen erwähnte, kann man nach der Lektüre nur verwundert den Kopf schütteln. Die bemoserten Sätze/Vergleiche/Bilder sind lediglich Kontext und kein expliziter Inhalt.

Man muss das ganze eher aus künstlerischer Sicht betrachten und die im Roman kritisierte Gegenwartsästhetik auch als Folge der Nazi-Kultur verstehen. Da liegen Wurzeln dessen, was als schön und erstrebenswert angesehen wird. Darum gibt es im Buch diese Metapher, aber deutlich am Rande des Werkes.

 

Der Verlag Matthes & Seitz legt mit Kunkels „Schaumschwester“ bereits den zweiten Band seiner Reihe Neue Welt vor und übernimmt das Design des Vorgängers Welt am Draht von Rainer Werner Fassbinder und Fritz Müller-Scherz mit einer ansprechenden Coverillustration von Falk Nordmann. Lediglich das Format ist sehr schmal geraten, wodurch sich das Lesen ohne den Buchrücken zu überdehnen etwas schwierig gestaltet.

 

Fazit:

Amüsant geschriebene Nah-SF mit miesepetrisch-kritischem Unterton, ganz in orwellscher Tradition.

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240329124218f0f85b23
Platzhalter

Buch:

Schaumschwester

Autor: Thor Kunkel

Cover: Falk Nordmann

Matthes & Seitz, April 2010

Taschenbuch, 277 Seiten

 

ISBN-10: 3882216905

ISBN-13: 978-3882216905

 

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 29.09.2010, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 11037