Schauspielurgesteinsbösewicht: Sir Christopher DRACULA Lee
 
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Schauspielurgesteinsbösewicht: Sir Christopher DRACULA Lee

Artikel von Karin Reddemann

 

Dracula hat Christopher Lee weltberühmt gemacht. Unvergesslich ist dieses erste Bild von ihm. Wir warteten auf ihn mit der Gewissheit, dass die Sonne vorerst nicht aufgehen würde. Dass er uns Furcht einjagen würde. Dass es vernünftiger wäre, ihn nicht in unsere Gedanken zu lassen. Aber wir warteten. Wir, die schreiben würden, ahnten noch nicht, dass er uns diktieren könnte, wie so viele Schatten der Angst es in all den Jahren taten.

 

Es war völlig finster, und er trat hervor, kam uns vor wie der Leibhaftige und gleichsam wie der Liebhaber, den wir nicht haben würden und nicht wirklich wollten und doch begehrten wie einen einzigartigen Traum. Und er stand dort in ewiger Nacht und blieb als sein eigenes Denkmal. So elegant, so bleich. So böse, so schön. So unheimlich und doch so verlockend. Dieses Bild steht. Wir kratzen nicht daran. Wie sollten wir? Lee selbst definierte es als professioneller Vampir-Versteher.

 

»The blood is the life.«

Einsam, erotisch und böse

Das Bild, das Lee erklärt, zeigt den einsamen Unsterblichen, eine verlorene Seele, getrieben von einer unheilvollen Macht, böse sein zu müssen, furchteinflößend, wenn er erscheint, hypnotisierend in all seiner düsteren Pracht. Ein heroischer, ein gleichwohl romantischer Charakter. Und weiter:

 

»And there’s, of course, the obvious association with the bite in a sexual sense, if you like. So I tried to put all those particular characteristics into the character. It appears that I succeeded.«

 

Zweifellos.

 

Wer sich erinnert, wie wir uns erinnern, ist nicht mehr wirklich jung. Auch nicht wirklich alt. Wer sich erinnern kann, darf ein Erzähler sein, der eine Zeit lebendig werden lässt, die Geschichte ist. Eine verdammt gute Geschichte. Christopher Lee ist Legende. Der ewige Dracula ist sein Vermächtnis.

 

So viele kamen nach ihm. Sie waren schön und grausam, hässlich und traurig, unerbittlich und zerstörend, sanft und voller Sehnsucht. Sie alle waren gierig darauf, uns in ihre Albvisionen zu ziehen. Manchen gelang es mit Bravour. Manche vergaßen wir, weil der Morgen die launige Nacht einfach verschluckte. Egal. Es folgten, folgen andere. Blutsauger im Roman, im Film … im Kopf … die Palette ist gewaltig. Und trotzdem: Der erste, wahre, große Vampir, Quell einer Furcht, die unsere Fantasie bis in die fantastischsten Sphären hinein nährte, war er.

Lebendig gewordene Angst

Es war in den 1970ern, als wir, die euch erzählen dürfen, ihn kennengelernt haben. Die Fernsehapparate waren meist bescheiden klein, wir Kinder hockten nebeneinander nah davor, die Blicke festgeklebt am Bildschirm, um ja nichts zu verpassen, stets in der Hoffnung, dass die Erwachsenen einen dort sitzen und gucken ließen, was so irgendwie verboten für uns klang: Horror. Und ganz speziell eben: Dracula!

 

Er war die lebendig gewordene Angst unserer Kindheit. Diese Augen, diese Ahnung. Diese Plötzlichkeit. Die Furcht. Der Schrei. Damals. Unser Schrei, hinein gebissen in ein Sofakissen. Er war die Neugier, Faszination unserer Jugend. Diese Bedrohung, diese Warnung. Verführung. Eleganz. Diese Erotik der Finsternis, die wir noch nicht verstanden. Die wir aber speicherten für das, was wir später vielleicht zu Papier bringen würden, um die Nacht geheimnisvoll knistern zu lassen.

 

Lee hat so manchen, der heute im Horror-Genre zuhause ist, schreibt, Filme macht, liest oder eben einfach nur zuschaut, eine Wegweile begleitet. Und in dem genialen Gefühl bestätigt, dass es gut ist, in der Dunkelheit nach Abenteuern zu jagen. Das Düstere, Unheimliche zu lieben, das ist großartig, dachten und denken wir, solange die Sonne immer noch im Blickfeld ist, solange die Grenzen nicht verwischen, solang der Horizont da vorn noch weit ist. Irgendwo. Aber eben präsent. Lee, einem klugen, sympathischen Kopf, war das klar. Uns ja nun oder wohl auch. Irgendwie.

 

Natürlich wollte Christopher Frank Carandini alias Christopher Lee, geboren 1922, nicht verdammt dazu sein, als Vampir und eben nur als solcher, – wenn auch als der … –, im Gedächtnis zu bleiben. Ursprünglich hatte der 1,96-Gentleman mit englisch-italienischen Wurzeln eh andere Pläne: Der musikalisch Versierte, der er auch blieb, wäre gern Opernsänger geworden. Ein guter. Er wurde Schauspieler. Er wurde Dracula. Der Beste. Ein Meistergriff des britischen Studios Hammer Film, das ihn 1957 unter Vertrag nahm und ihn zuerst das Monster in Frankensteins Fluch spielen ließ, bevor 1958 der erste von acht Filmen mit ihm in der Hauptrolle als »Kronprinz des Schreckens« (so wurde er tituliert) in die Kinos kam und die Richtung wies: So sollte es sein, so sollte ER sein.

Erbe mit gruseligem Segen

Längst vergessen war da der ungarische Filmschauspieler Bela Lugosi, der 1931 als Dracula den Weg ebnete für Großes, was folgen sollte. Christopher Lee war er gänzlich unbekannt, bevor die Hammer-Studios ihn als den weltberühmten Grafen unter Vertrag nahmen. Zu diesem Zeitpunkt war Lugosi bereits tot, und es hielt sich eine ganze Weile hartnäckig das Gerücht, der Ungar hätte Lee den Dracula-Ring vermacht, um ihn mit gruseligem Segen zum offiziellen Erben zu machen. Eine originell unheimliche Publicity-Idee war das, mehr nicht. Besagter Ring befand sich tatsächlich in einer Privatsammlung in Los Angeles. Das Publikum freilich fand die Vorstellung durchaus atemberaubend, vielleicht gar logisch: Das blutige Zepter wurde weiter gereicht an den neuen, ungleich fesselnderen König der Finsternis … und lang, länger, ewig lebte Dracula.

 

Lee war freilich nicht nur Dracula. Er war viele. Auch ein James-Bond-Schurke (Der Mann mit dem goldenen Colt). Er war Scaramanga. Dooku. Später ein Tolkien-Zauberer. Saruman. Als Schauspieler mit den meisten Credits (genannte Rollen im Vor- oder Abspann), – über 280 Filme –, steht er im Guiness-Buch der Rekorde. Als Sir Christopher Lee. 1992, ein Jahr vor dem Tod seines berühmten »Horrorfilm-Kollegen« Vincent Price, mit dem Lee über viele Jahre hinweg eng befreundet war, wurde der gebürtiger Londoner von der Queen geadelt.

 

»Schauspielurgesteinsbösewicht« liest man über ihn, als »Meister des Makabren« und »einen der größten britischen Schauspieler« würdigt ihn Boris Johnson, Ex-Premierministier des Vereinigten Königreiches.

 

»Ich mag keine Schubladen.«

 

Machte Lee später in Interviews deutlich. Halbherzig, seufzend, vom Stempel, Image genervt...das soll hier gar nicht bewertet werden. Es ist ein nachvollziehbares, ehrliches Wort, durchaus. Er spielte viele unterschiedliche Charaktere. Was immer blieb, war Lee als Dracula. Vor diesem prägenden Hintergrund war er als ein trottelig verliebter Schreibtischhengst in einer Romantik-Komödie sehr, sehr schwer vorstellbar. Dass er allerdings die von ihm unbedingt gewünschte Rolle in dem aufwändig gedrehten US-amerikanische Kriegsfilm Der längste Tag (1962) nicht bekam mit der merkwürdigen Begründung, »nicht soldatisch genug« zu wirken, ärgerte ihn. Immerhin war er Royal-Air-Force-Veteran, und seine stattliche Größe, sein markantes Gesicht sprachen keineswegs dagegen, dass man ihm den Kriegshelden (oder Anti-Kriegshelden) abgenommen hätte. Zudem hatten ihn die eigenen Erfahrungen als junger Mann im Krieg sehr realistisch und authentisch werden lassen: Was er an grauenvollen Dingen gesehen hätte, wäre genug Horror für ein ganzes Leben. Realer Horror. Reales Blut.

 

»That is real horror and blood. When the Second World War finished I was 23 and already I had seen enough horror to last me a lifetime. I’d seen dreadful, dreadful things, without saying a word. So seeing horror depicted on film doesn’t affect me much.«

 

1978 wurde Lee die Rolle des Dr. Sam Loomis in Halloween angeboten. Lee, dem es letztendlich wichtig war, einen gewissen Abstand zum Horror-Genre zu halten, um dort als Schauspieler nicht fixiert zu sein, lehnte zugunsten von Donand Pleasence ab. »Halloween« wurde ein Welterfolg, und Lee gab später zu, dass seine Absage »mein größter Fehler« war. Wir bedauern das auch, ohne Pleasence auf die Füsse treten zu wollen. Der war gut. Aber Lee an der Seite der Scream-Queen Jamie Lee Curtis: Was für ein Doppel!

 

Als der Godfather der Nacht am 7. Juni 2015 ging, verneigte sich Stephen King als einer der Ersten mit einem letzten Gruß vor dem großen Mann, dem größten Vampir aller Zeiten. Christopher Lee starb im gesegneten Alter von 93 Jahren in seiner Geburtsstadt London. Wir, die ihn als den Einzigen, den Unvergleichlichen zu erkennen glaubten, zollen ihm unseren Tribut. Und hören sein Bekenntnis:

 

»Dracula habe ich das Meiste zu verdanken.«

 

Wir auch. Thank you, Sir.

 

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Erstellt: 07.03.2023, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13, 21669