Schneewittchens Geister von Hanna-Linn Hava
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Schneewittchen heißt eigentlich Ernestine Nordmoor und mag Totenköpfe. Sie raucht, ist depressiv und eine Hypochonderin. Weil sie außerdem noch Geister sieht, ist sie in der Psychiatrie ein Dauergast. Als sie eines Tages auf einen verdächtigen Prinzen trifft, ist nichts mehr wie zuvor. Ernestine muss um ihr Leben fürchten, denn plötzlich ist nicht nur die böse Hexe, sondern auch gleich der Leibhaftige hinter ihr her …
Rezension:
Hanna-Linn Havas Debütroman Schneewittchens Geister ist keine Märchen-Satire, eher lustvolle Unterhaltung im Stile von Terry Pratchett oder Jasper Fforde.
Die Modernisierung Grimmscher Märchen unterliegt ständig neuen Trends. Neben breiten Märchenlandadaptionen wie Fables und Once Upon a Time gibt es immer wieder Variationen, in denen einzelne Figuren in die Neuzeit übertragen werden.
Auch Hanna-Linn Hava bedient sich des Grimmschen Märchenkosmos, jedoch eher am Rande. Die Verbindungen zu Schneewittchen, Rotkäppchen oder Dornröschen sind eher Äußerlichkeiten und würden beim Lesen kaum auffallen, wenn der Erzähler sie nicht ständig als Vergleichsmittel nutzen würde. Das ist manchmal ganz witzig, jedoch eigentlich gar nicht notwendig um die Geschichte von Ernestine zu erzählen.
Ernestine kann Geister sehen und ist dadurch von Kindheit an traumatisiert. Die junge Frau entwickelte sich zu einem etwas verschusselten Gothik-Punk. Sie träumt von einem spektakulären Tod, etwa durch Pest oder Monster und ahnt nicht, wie nah sie einem solchen Tod tatsächlich ist.
Tot sind auch die sieben Kinder, die sie aus einer geisterfreundlichen Laune heraus bei sich aufnimmt. Als sie einen seltsamen Nachbar um Rat in Sachen Geisterkinderbetreuung bittet, lernt sie nicht nur ihre Großmutter und deren braven Sekretär kennen, sondern auch andere Geschöpfe aus Schauergeschichten. Und dann ist da noch ein netter Killer, dem man ein kompliziertes Mädchen als Lehrling aufdrückt, eine böse Hexe mit dämonischem Lover und eine wütende Engelin …
Die Handlung braust auf breiten Schienen durch die Nacht und fährt an einen Bahnhöfen vorbei, obwohl ein Halt im Fahrplan gestanden haben mag. Will heißen, es gibt einige Plotlöcher.
Zwar gelingt es der Autorin, ihre liebenswert chaotischen Heldinnen durch die Tücken des Lebens zu bugsieren, aber einige Twists sind recht gewagt und deus ex machina verdächtig.
So scheinen die sieben Geisterkinder nur der Zahl wegen in die Handlung gefunden zu haben. Es wird nie so recht klar, warum sie nun ausgerechnet bei Ernestine aufkreuzen.
Unklar bleibt auch, warum es den Bösen gerade jetzt erst einfiel, Blut für die Lindwurmbeschwörung aufzutreiben oder warum K seine Aufträge alle in der selben kleinen Stadt erledigt oder oder …
Im Wesentlichen geht es in »Schneewittchens Geister« darum, dass alle Figuren wild durcheinander purzeln, um ihre Ziele zu erreichen oder einfach nur, um zu überleben. Das liest sich munter weg, macht einen großen Spaß und bietet darüber hinaus jede Menge Überraschungen, zum Teil von der blutigsten und bitterbösesten Art.
Hanna-Linn Hava gelingt es dabei, vor allem ihre weiblichen Figuren so authentisch und liebenswert ins rechte Licht zu setzen, dass die Handlung tatsächlich zur Nebensache wird.
Allerdings bleiben trotz fünf Epilogen eine ganze Menge Fragen offen, deren Beantwortung vielleicht in einer Fortsetzung erfolgen. Das Potential ist auf jeden Fall vorhanden.
Das umlaufende Titelbild von Holger Much ist wesentlich düsterer als das Buch selbst, gibt aber eine Anregung für die Imagination der phantastischen Landschaft, in die uns Hanna-Linn Hava so energisch entführt.
Fazit:
Skurrile Figuren, aberwitzige Szenen, viel Blut, Tote ohne Ende, einiges an Märchenbezug, etwas christliche Mythologie – »Schneewittchens Geister« von Hanna-Linn Hava schlürft sich weg und macht nicht unglücklich. Lesevergnügen für trübe Herbsttage.
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