Schwarze Blumen auf Barnard 3 (Autor: Alfred Leman)
 
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Schwarze Blumen auf Barnard 3 von Alfred Leman

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Dann war da eine Frage: "Und wozu das alles? Warum sind wir hier?"

Niemand wusste, wer sie gestellt hatte. Später erst, Wochen später und ganz allmählich, gewann der Umstand an Gewicht, als man nach Anlass und Gründen der Zwistigkeiten suchte, durch die die Mannschaft auseinanderfiel.

 

Alfred Leman stellt gleich zu Beginn seines Romans Schwarze Blumen auf Barnard 3 die wichtige Frage nach dem Sinn der Mission seiner neun Figuren. Es ist eine frühe Frage. Sie kommt nicht vom Leser, wenn er nicht gerade äußerst ungeduldig ist. Sie wird auch gleich beantwortet. Allerdings mit einem irritierenden Zögern und überhaupt, sollten die Missionsteilnehmer doch recht genau wissen, worum es geht.

 

So aber wird der Leser zum Misstrauen verführt. Irgendetwas kann mit der Mission nicht stimmen, wenn schon die Beteiligten Probleme mit ihrem Ziel zu haben scheinen. Von Anfang an soll der Leser alles in Frage stellen. Ist er aufgefordert, Rätsel zu lösen.

Wer stellte die Frage?

 

Zunächst ist die Antwort des Leiters bezüglich des Warum einfach. Der Trupp soll für das nachfolgende Raumschiff einen geeigneten Landeplatz auskundschaften. Um dies zu verwirklichen, gibt es einen Plan in verschiedenen Schritten.

Aber entgegen einer klaren Logik schwebt beständig der Geist des Widerstandes in der Luft. Leman nutzt dafür keine direkte Revolte oder Intrigen, er formt vielmehr die Ereignisse und Handlungen seiner Figuren so, dass sie aus ihrer ganz persönlichen Individualität heraus dem Plan widerstrebend, feindlich gar, gegenüber stehen.

Es wäre unpassend, hier keine gesellschaftlichen Bezüge zu sehen. Der Roman, 1986 in der DDR veröffentlicht, kann gar nicht unpolitisch sein. Selbst wenn der Autor so etwas versucht hätte, bekäme jede Seite, jeder Satz eine unterschwellige Bedeutung allein durch das Lesen.

Und " Schwarze Blumen auf Barnard 3" ist in einigen Belangen ungewöhnlich für einen sozialistischen utopischen Roman.

 

So gibt es keine eindeutige Benennung der zukünftigen Gesellschaftsform. Die entscheidende Nomenklatur fehlt. Lediglich Kleinigkeiten in den acht biografischen Kurzgeschichten lassen gewisse Rückschlüsse zu, wie sich der Autor die Ökonomie der Gesellschaft vorstellt. Schecks, die für bestimmte Aufgaben oder Projekte an Menschen vergeben werden, regeln alle Bedürfnisse, Erforderlichkeiten und auch Zugänge. Eine ideologische Definition gibt es an keiner Stelle, kein Marx, keine Partei nicht einmal irgendeine politische Institution.

Nur Betriebe und Verwaltung neben dem Privaten und das mit weltweiter Ausrichtung. Zwar gibt es einen Projektleiter mit russischem Namen und auch gibt es Schauplätze in der UdSSR, aber alles ist losgelöst von politischer Nebenbedeutung und vielleicht auch lediglich ein Eingeständnis an Zensoren und Lektoren.

 

Im Gegenteil. Gleich in der ersten Kurzgeschichte, mit der Leman uns nach und nach die Figuren erklärt, wird der Verantwortliche Andrej Jermakow als jemand vorgestellt, der sich hinter der strengen Auslegung von Regeln versteckt. Und die Geschichte ist schon von großem Kaliber. Jermakow hat einst einen miesepetrigen Vorgesetzten umgebracht. Getreu der Anweisung, jegliche Materie in einem gewissen Korridor zu eliminieren. Pech für den Chef, genau dort rein zu fliegen. Aber etwas bleibt immer zurück.

Leman erzählt diese kleinen Geschichten nicht aus bloßer Abwechslung. Stets bieten sie eine mögliche Erklärung für eine Eignart an. Ob es bestimmte Karos im Geplänkel zwischen Rahel und Judy sind, der Satz "Um das zu begreifen, brauche ich einen Monat!" von Jan Blicher, Orlows Genialität, Lampoos Egoismus - für alle besonderen Merkmale erfährt man Hintergründe oder zumindest eine Annäherung daran. Den direkten Zusammenhang muss man allerdings selbst herausfinden.

 

Und da sind noch die beiden weniger fassbaren Charaktere. Ana und Giron. Die beiden Träumer, Liebende. Die die schwarzen Lebewesen fast emphatisch verstehen und ihnen in vielem näher sind, als der tumben Planwirtschaft innerhalb der Station. Giron ist es auch der ein weiteres Symbol des Buches handhabt. Die Matrjoschka-Gruppe auf dem Regal hinter Jermakows Sessel. Erst eine strenge Reihe, baut er sie zu einer lockeren Gruppe um und beweist damit ein starkes Gespür für das Gruppengefühl, für den Zustand des Kollektivs, das in immer strengerer Isolation nicht an eine zivilisatorische Grenze stößt, wie es heute vielleicht in modernen Romanen geschähe, sondern sich vielmehr weiter entwickelt.

Jenseits vom notwendigen Scheitern einer solchen Konstellation aus heute eher typischer Sicht, bleibt Leman optimistisch. So trivial es klingen mag, aber wenn sich Held und Heldin am Ende kriegen, die Liebe die Lösung offenbart, oder zumindest eine mögliche, liegt das schon ziemlich weit entfernt von gewohnten Roman-Schlüssen. Keine Handlung bestimmt das Ende, sondern der eindringliche Appell, der die Gewalt der Eskalation, der Abtrennung von der Außenwelt als etwas darstellt, das gelöst werden muss.

Wer hier aber nach dem Frager des Anfangs sucht, wird feststellen, dass diese Antwort nicht explizit gegeben wird. War es nur einer? War die Frage einfach da, wie der Anfang?

Und vielleicht war es auch tatsächlich Ana, die den Roman mit einem weiteren Symbol beschließt.

Ana verlangt es ganz zum Schluss nach Brot oder einem Apfel. Der Apfel vom Baum der Erkenntnis, der die Menschen aus dem Paradies befreite passt einfach zu gut als Bild, um Zufall zu sein.

Was anderes auch käme einem in den Sinn, als die Station zum Sinnbild der DDR zu machen? Ein System, dass sich selbst begrenzt, um sich zu schützen und letztlich nicht lebensfähig ist allein, der große Bruder - das Raumschiff - so fern.

Und draußen die lockenden schwarzen Blumen, deren bedrohlicher Charakter letztlich auf Nichtverstehen beruht. Die Angst davor haben, von der gefährlichen Krankheit Individualität angesteckt zu werden.

Vielleicht bricht sich hier das Bild, denn gemeinhin steht ja die DDR für kollektive Gleichschaltung, aber die Angst der feindlichen Lebensweise oder Ideologie zu erliegen, ist gar nicht so abwegig. In beide Richtungen. Es ist auch eine Frage, wie man für sich Individualität und Kollektiv bewertet, welche Eigenschaften man davon gut findet oder nicht. Ist der Schutz des Kollektivs wichtiger? Die Angst zwischen lauter starken Einzelwesen zu verschwinden? Oder andersherum unterdrückt zu werden? Den Interessen anderer geopfert zu werden?

 

Alfred Leman bemühte sich, künstlerische Ambivalenz zu wahren, nicht ohne hin und wieder sehr deutlich zu werden. Die alles bestimmende Rechenmaschine wird von Ernest Tschuk zusammengebaut und BECKMESSER genannt. Symbol der Pedanterie. Die ganze Planungsmaschinerie wird nebenbei vom Volksmund diskreditiert. Aber der Plan ist von Anfang an nur Theorie. A eins bis T zwanzig, mit Abzweigungen für besondere Vorkommnisse. Alles ist stets im Plan, selbst Unplanmäßiges. Stets weiß der BECKMESSER wie es weitergeht. Und er dient noch zu einem weiteren Zweck. So beiläufig es auch eingebaut ist, so erschreckend selbstverständlich es zu sein scheint - Jermakow sitzt von Anfang an im Zentrum einer ausgedehnten Überwachungsanlage. Jedes Mitglied des Kollektivs ist stets lokalisierbar. Außenmikrofone ermöglichen es, jeden Laut zu belauschen, überall auf der Station, wenn man so wie Jermakow die Regler nur virtuos genug zu bedienen vermag. Und er verteidigt sich mit den Worten:

 

Dass ihr immer noch glaubt, ich hätte die Wahl. ... Es gibt sie nicht diese Wahl, ich habe sie nicht.

 

Lemans "Schwarze Blumen" sind tatsächlich die angenehme Überraschung, die ich mir von der Lektüre versprach.

Diese Sprache, diese Bedeutungsschwere, diese Andersartigkeit! Er schreibt mit naturalistischer Blicklust. Die Sätze triefen vor Bildern und unmöglichen Wendungen, nur selten begegnet man dem Normalen. Der Leser wird gezwungen sich ganz auf diese besondere Sichtweise einzulassen.

Vielleicht ist dieser extravagante Stil ein Tarnnetz wider die Zensur gewesen, jedoch bedarf es schon einer ausgefeilten Stilistik und Sprachbeherrschung, um so etwas durch zu ziehen, all jene Bedeutungen und Symbole einzubauen. Aus dem phantastischen Genre heraus eine glaubwürdige und zutiefst menschliche Geschichte zu erzählen, ist eine große Kunst und darum sollte dieser Roman auf keinem Fall ins Vergessen entschwinden.

 

Erwähnenswert sind außerdem noch die filigranen Zeichnungen von Xago (Rolf Xago Schröder), die die Fremdartigkeit der Außerirdischen einfangen und Raum für eigene Sichtweisen bieten. Zart und distanzwahrend zu den Figuren, als auch zum Text und dennoch eng damit verwoben, teilweise ansteckend fröhlich und leicht wie ein Frühlingstag. Die perfekte Illustrierung der Schwarzen Blumen.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403290239134c365e53
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Buch:

Schwarze Blumen auf Barnard 3

Autor: Alfred Leman

Zeichnungen: Rolf Xago Schröder

Verlag Neues Berlin, 1986

Gebunden mit Schutzumschlag, 280 Seiten

 

ISBN: 3-355-0137-6

 


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Erstellt: 21.05.2008, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 6547