Shanna (Reihe: Marvel Graphic Novel Bd. 9)
 
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Shanna von Frank Cho

Reihe: Marvel Graphic Novel Bd. 9

Rezension von Christian Endres

 

Diesmal geht es um einen wahr gewordenen Männertraum - also eine üppige, wohlproportionierte Blondine, die in der mehr oder weniger zeitgenössischen Neuinterpretation von Vorzeige-Babe-Zeichner Frank Cho dann auch noch artig-unemanzipiert ihre Strecksprünge macht, wann immer die männliche Belegschaft des Camps es ihr befielt. Hände auf den Tisch, Jungs, und dann geht’s los ...

 

Geplant war Frank Chos Wiederbelebung des Shanna-Charakters (dessen Ursprünge bis in die 70er reichen) als blutige, in erster Linie aber eben auch freizügige und durch und durch unzensierte (!) Publikation unter dem MAX-Label, wo wirklich alles gezeigt werden sollte (und bei der – Klonen sei Dank! – nicht mehr viel von der ursprünglichen Shanna-Figur übrig geblieben ist. Willkommen im Marvel-Universum, Folks). Doch das Schicksal nahm seinen Lauf, irgendwer in der Marvel-Chefetage spielte nicht fair (oder bekam Ärger mit seiner Frau), und als Cho nicht einmal die Hälfte der Ausgaben seiner üppigen Neuinterpretation unter dem Titel Shanna the She-Devil zu Ende gezeichnet hatte, entschied man sich beim Verlag um, retuschierte und zensierte die ersten Hefte nachträglich und gab Cho, dem vor allem bei der männlichen Leserschaft ziemlich populären und beliebten Künstler mit Hang zur Biedermeier’schen Silikon-Wohnzimmer-Erotik, eine neue Order: Blut und Brüste? Ja, bitte! Im Übermaß und explizite Darstellung? Auf gar keinen Fall!

 

Also wurde das bisher gezeichnete Material von Cho mit Hilfe von Glassscherben oder kuscheligen Wolldecken, die von einem Schattenriss vor Shannas üppige Rundungen gehalten werden (es ist, nur fürs Protokoll, eine ziemlich große Decke), auf teils recht amüsante und kreative Weise entnacktifiziert. Halb so wild, mag sich der erwachsene, sexuell gefestigte Leser denken, zumal man sich durchaus einen Spaß draus machen kann, in den ersten Kapiteln nach den ursprünglich vorgesehenen freizügigen Stellen zu suchen und ihre mehr oder minder gelungene Zensur zu betrachten ...

 

So weit, so gut – oder? Nun, nicht ganz. Nachdem man der guten Shanna die naturgetreue Darstellung nicht weniger natürlicher Nippel und ihres Lustdreiecks abgesprochen hatte, blieb nämlich leider nicht mehr allzu viel übrig, was diesen Comic auf die ein oder andere traurige Weise aus dem Nirvana der Belanglosigkeit hätte hieven können – bestenfalls noch charmante, nostalgisch-pulpige Ansätze und Reminiszenzen sowie ein wirklich überragendes Artwork mit tollen Sauriern und Landschaften und Brüsten. Aber reichen schuppige Echsenschwänze und prall gefüllte Tüten in einer prähistorischen Umgebung heutzutage schon aus, um einen Comic aus dem reizlosen Mittelmaß zu heben?

 

Doch der Reihe nach. Alles beginnt mit einem Jurassic-Park-Flashback, als ein paar mehr oder weniger abenteuerlustige Forscher mit feuerkräftiger Army-Ausrüstung auf einer tropischen Insel Not landen müssen. Auf dieser Insel wimmelt es – Überraschung! - nur so vor Dinosauriern – was die Männer natürlich erst bemerken, als sie staunend die weitläufige Nazi-Forschungsanlage erkunden, in der Wissenschaftler im Auftrag des Dritten Reichs einst versucht zu haben scheinen, die perfekte Kampfmaschine zu schaffen und ferner auch zu klonen: Weiblich, ausgeprägter Killerinstinkt, groß, üppig, Riesenbrüste, blaue Augen, langes blondes Haar (mal ehrlich: Welcher Wissenschaftler auf einer einsamen tropischen Insel würde da nicht über kurz oder lang ans Klonen denken und keinen deutschen Captain America, sondern eine deutsche, nymphomanisch veranlagte, kleidungsscheue Tarzanine erschaffen?).

 

Um die restlichen Klischee-Auflagen dieses »chotastischen Erotik-Abenteuers« [Danke, Schatz!] zu erfüllen, lassen erwartungsgemäß auch die zahlreichen Veloceraptoren und der einsame, aber unersättliche und rachsüchtige T-Rex nicht lange auf sich warten. Dann bricht im Behelfs-Camp der Gestrandeten (die noch gleich wie nach Hause kommen wollten, Herr Cho ...?) auch noch eine tödliche Seuche aus, und der sympathische Doktor und die schön-gefährliche Shanna machen sich auf den Weg zurück zum stillgelegten Nazi-Nest, wo das Gegenmittel zu finden sein soll. Schließlich erreichen die beiden nach kleineren Ärgernissen auch halbwegs unbeschadet das Labor und finden dort tatsächlich die so dringend benötigte Medizin. Allerdings müssen sie nur wenig später feststellen, dass ihnen der Rückweg zum Camp durch eine Schlucht und eine Horde Veloceraptoren versperrt wird, die durch den Canyon zieht. Und die Zeit, die Schlucht mit den Raubsauriern zu umgehen, haben weder die Kranken im Camp, noch Shanna oder der Doc. Also packen letztere mutig, ja tollkühn Machete und Gewehr und wagen sich in die Schlucht ...

 

Nach der Lektüre von Shanna fragte ich mich vor allem eines: Was hat Frank Cho nur geritten? Oh, die Riesenbrüste waren schon okay und unter dem Aspekt der (vielleicht manchmal sogar etwas augenzwinkernden) Hommage an Frazetta und Co. durchaus berechtigt – aber wieso schafft Cho im ersten Teil seiner Story so prächtige Voraussetzungen für eine spannende Geschichte und einen interessanten Mix aus Abenteuer-Archetypen und guten Einfällen, indem er Shanna als tickende Zeitbombe einführt, wenn sie am Ende dann doch nur die wohlmeinende, höchstens etwas kratzbürstige Amazone aus dem Chemie-Baukasten der – natürlich ebenfalls nicht weiter beleuchteten oder »genutzten« – Nazis ist. Schade! Da wäre definitiv mehr drin gewesen nach den ersten beiden Kapiteln - und es hätte der Geschichte mit Sicherheit nicht geschadet.

 

So bleibt unterm Strich in Sachen Story wirklich nicht viel mehr als eine Aneinanderreihung von Beliebigkeiten und bekannten Elementen, die das Wort Hommage irgendwann stark überstrapazieren. Ganz bewusst degradiert die Handlung sich spätestens ab dem dritten Kapitel auch entsprechend zu einem Mittel zum Zweck; dem Zweck, Chos natürlich außergewöhnlich gutes Artwork in Szene zu setzen. Das wiederum ist es freilich wert, ordentlich im großformatigen Hardcover präsentiert zu werden – schade um die Story ist es trotzdem allemal.

 

Was die Zeichnungen natürlich nicht schlechter macht. Optisch gibt es an Shanna - also, sowohl der Figur und ihren üppigen Reizen, als auch dem gesamten Comic, liebe männliche Leserschaft – rein gar nichts auszusetzen. Chos detailreiche, liebevoll ausgestalteten Urzeitlandschaften und seine »realistischen« Reptilien und Kreaturen, welche die tropische Insel bevölkern und prägen, sehen einfach spitze aus und wecken in ihrem Betrachter schier kindliche Begeisterung für Dinosaurier aller Art. Die gelungene Farbgebung tut dann ihr Übriges dazu, Shannas Wiedergeburt die optische Höchstnote einzubringen.

 

Die Aufmachung des deutschen Hardcovers gleicht von ihrem (Über-)Format her dem US-Hardcover. Bei knapp 20,- Euro passt das Preis-Leistungs-Verhältnis natürlich bestens, und so gibt es für das Panini-HC auch nur Abzüge wegen der schlampigen (und irgendwo nach wie vor ziemlich unnötigen und unzeitgemäßen, aber die Diskussion führen wir hier nun nicht schon wieder ...) Retusche der Hakenkreuze (ein aus vier Farben zusammengesetztes, sattes Schwarz mit einem einfachen Schwarz zu überdrucken, funktioniert halt leider nicht, Freunde) sowie des etwas spärlichen Lesevergnügens, da Chos pulpiger Siebenteiler ziemlich flott durchgelesen ist, wenn man nicht bewusst lange bei einzelnen Panels verweilt und das schöne Artwork bestaunt.

 

Fazit: Frank Cho kann Menschen/Frauen/Dinosaurier/Brüste zeichnen, das steht fest – und das alles nicht zu knapp! Die Story an sich ist dann auch ziemlich straight, um es mal wohlwollend auszudrücken, macht trotz kleinerer Lücken oder Logikfehler aber durchaus Spaß. In erster Linie ist sie aber ein bewusstes Mittel zum Zweck, das uns einen optischen Hochgenuss präsentieren soll, der im ausladenden Hardcover-Sammelband optimal zur Geltung kommt. Heuchelei, dass es bei diesem Comic in erster Linie um die erzählerische Tiefe oder sprachliche Finesse in den Dialogen und Texten geht, wird zum Glück aber eben auch zu keinem Zeitpunkt betrieben (und hoffentlich vom geneigten Leser auch nicht erwartet – ansonsten wäre eine Enttäuschung vorprogrammiert).

 

So ist das einzig wirklich ärgerliche an diesem Comic dann auch eigentlich bloß, dass Cho hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt und das Potential seiner Shanna-Reinkarnation bzw. der zu Grunde liegenden Story nicht einmal ansatzweise ausschöpft: Shannas am Anfang so penetrant propagierte 'dunkle Seite', ihr Killerinstinkt und (spätestens hier schrillen bei mir alle dramaturgisch-pulpigen Alarmglocken!) düstere Naziwissenschaften wie im besten Hellboy-Comic – bei diesem Setting wäre einfach einiges mehr drin gewesen!

 

Ein bisschen Jurassic Park, ein bisschen Professor Challenger, ein bisschen Softporno und in der Quintessenz vielleicht sogar ein bisschen leicht bemühtes Erotik-Kino für die breite Masse über zwölf - aber dessen ungeachtet eben auch eine superbe Optik in einem ordentlichen, großzügigen Format und einer an sich relativ preisgünstigen und schönen Hardcover-Ausgabe. Abzüge gibt es daher lediglich für die schlechte Retusche bei den Hakenkreuzen, die etwas dürftige Story und Chos militante Nichtbeachtung der Möglichkeiten von Plot und Setting.

 

All in all ist das aber immer noch ganz ordentliche Gesamtpunktzahl, auf die der Band kommt – womit Frank Chos sexy Shanna sich nicht hinter irgendwelchen Urwaldgewächsen zu verstecken braucht (was, bei den ausladenden Körperteilen oberhalb des Bauchnabels der guten Shanna, auch gar nicht so einfach wäre – es sei denn, es ist ein Mango-Baum mit großen Früchten ...).

 

Ähem. Jedenfalls: Wer weiß, wie groß Mangos wirklich werden kö... ich meine, wer weiß, worauf er sich einlässt und keinen Meilenstein der neunten Kunst erwartet, der kann bei diesem wunderbar gezeichneten und sehr schön aufgemachten Graphic Novel aus dem Hause Panini beherzt zugrabschen – ähm, zugreifen, meine ich natürlich.

 

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240422210004cfc7a638
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Comic:

Shanna

Marvel Graphic Novels Bd. 9

von Frank Cho

Verlag: Panini/Marvel

Hardcover, Überformat

172 Seiten

Sprache: Deutsch


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Erstellt: 23.04.2007, zuletzt aktualisiert: 31.12.2023 11:30, 3811