Shape Me (Autorin: Melanie Vogltanz)
 
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Shape Me von Melanie Vogltanz

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

»Mein Name ist Nena Jean. Mein Körper wurde gestohlen. Man wollte mir verbieten, meine Geschichte an die Öffentlichkeit zu tragen. Diesem Verbot widersetze ich mich hiermit.«

In einer Welt, in der Body Sharing-Technologie den Reichen und Privilegierten beim Abnehmen hilft und der Staat den Kalorienhaushalt seiner Bürger reglementiert, kämpft sich Nena Jean mehr schlecht als recht durchs Leben. Eines Tages passiert das Undenkbare: Ihr Körper wird gestohlen. Bei ihrer Jagd nach dem Dieb stellt sie fest, dass das vermeintlich perfekte System Schattenseiten birgt – und dass eine schlanke Gesellschaft nicht immer eine zufriedene Gesellschaft ist.

 

Rezension:

Im Jahr 2067 wird die Gesellschaft durch das Kaloriensystem organisiert. Das tägliche Kalorienkontingent legt fest, was und wie viel man sich kaufen kann. Gesunde Ernährung ist oberstes gesellschaftliches Ziel. Wer dennoch zu viel auf die smarte Waage bringt, etwa durch Umgehung der Kalorienbeschränkungen, kann zu »Shape Me« gehen: Hier tauscht man seinen dicken Körper mit dem einer Trainerin oder Trainers, der nun in den folgenden Wochen den normbrechenden Körper wieder in Form bringt.

Nena Jean kommt mit dem Kaloriensystem so halbwegs klar, auch wenn sie das Futter ihrer beiden Katzen von ihrem eigenen Kalorienkonto kaufen muss. Bis eines Tages ihr ID-Chip versagt und ihr an der Supermarktkasse jeglicher Einkauf versagt wird. Von den Behörden als Foodjunkie verdächtigt und ignoriert, treibt sie der Hunger bald zu Mülltonnen und zum Betteln. Doch es kommt noch schlimmer. Eines Morgens erwacht sie in einem fremden Körper und dem geht es überhaupt nicht gut …

 

Melanie Vogltanz behandelt in ihrem Science-Fiction Roman zwei sehr ernsthafte Themen. Zunächst überlegt sie, wie eine Gesellschaft funktionieren könnte, deren gesellschaftliche Normen durch eine Gesundheitsstrategie bestimmt werden. In Laufe des Romans lernen wir eine Reihe von Figuren kennen, die jeweils ganz anders mit den Beschränkungen, aber auch mit dem normalen Alltag umgehen.

Der zweite Themenkomplex widmet sich der Darstellung eines Lebens mit Multipler Sklerose. Die Frau, in deren Körper Nena plötzlich steckt, hat schon als Kind miterlebt, wie ihre Mutter langsam an MS zu Grunde ging. Das prägte sie und bestimmte auch ihre Entscheidungen, als die Krankheit auch bei ihr ausbrach. Wie das Leben so spielt, wurde auch Roberta »Bobbie« Tanscher Mutter. Den Krankheitsverlauf erleben wir auf unterschiedlichen Wegen mit. Zum einen gibt es Mitschnitte aus dem Sprach-Tagebuch Bobbies. Sie berichtet über ihre Kindheit, über die Pflege der Mutter, den Konsequenzen, die sich aus den Krankheitssymptomen für ihre Arbeit als »Harmoniehüterin« ergeben, wie sich die Polizei der Zukunft nennt.

Die Erlebnisse Nenas, mit der für sie plötzlich wie eine Lawine hereinbrechenden Erkrankung, sind nicht weniger schmerzhaft. Melanie Vogltanz stellt sich und ihre Leserschaft mitten hinein in eine zerstörerische Krankheit, die dennoch bekämpft wird, weil der Überlebenswillen dazu zwingt.

 

Als Kontrapunkt liefert die »Shape Me«-Trainerin Tess Trimm Einblicke in die Ansichten einer jungen Frau, die für das Kaloriensystem ist. Voller Ekel und Abscheu arbeitet sie hart daran, die Körper ihrer Klienten wieder fit zu machen. Als die Körpertauscheinheit gestohlen wird und ihr klar wird, vielleicht für immer in einem fremden Körper gefangen zu sein, entgleitet ihr die Kontrolle über ihre Selbstdisziplin. Im Nachwort beschreibt Melanie Vogltanz, wie sie Kalorienreduzierung und Hungern im Vorfeld des Romanes betrieb, um die Gefühle und vor allem auch die physischen Aspekte zu verstehen. Das alles findet sich in sehr intensiven Kapiteln wider.

 

»Shape Me« enthält schonungslose Darstellungen ohne rührselig zu werden. Die realistischen Szenen der Krankheit, aber auch des Hungerns und des Körperschämens fördern eine Eindringlichkeit, die man in Science-Fiction nicht oft findet. Die Autorin unterstützt das Gefühl der Authentizität durch die Verwendung diverser Textsorten. Neben dem bereits erwähnten Transkript von Bobbies Tagebuch, gibt es Zeugenaussagen, Nachrichten, Werbung, Politikergerede und die stetige Einblendung der Normgröße der Frauenfiguren. So kann man nicht nur dem Körperwechsel folgen, sondern vor allem auch dem System, das hier ein Normgewicht zum Identifikationssymbol eines Menschen erhebt. Nicht zuletzt werden auch die Zahlen auf der Waage am Ende jeder Seite immer höher. Dass die Autorin für diesen spannenden, aber vor allem eindringlichen SF-Roman nur 286 davon benötigt, ist keine geringe Leistung.

 

Das Cover von Larissa Kulik stellt die Schonungslosigkeit des Textes perfekt dar. Ein Stück Maßband als Lesezeichen reicht die Verlegerin Ingrid Pointecker an Messeständen gern mit.

 

Fazit:

»Shape Me« von Melanie Vogltanz ist eines der herausragenden SF-Werke des Jahres. Ihre knallharte Social-Fiction beschreibt eine Welt des Normgewichts, in der die Menschlichkeit droht, auf der Strecke zu bleiben. Mit seiner Eindringlichkeit erreicht »Shape Me« eine differenzierte Auseinandersetzung mit Problemen, die bereits jetzt akut sind. »Shape Me« ist der Roman des Herbstes und großartige SF!

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Buch:

Shape Me

Autorin: Melanie Vogltanz

Taschenbuch, 287 Seiten

ohneohren, 19. Oktober 2019

Cover: Larissa Kulik

 

ISBN-10: 3903296236

ISBN-13: 978-3903296237

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07WH5YYM3

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 18.12.2019, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 18118