Speechless (Sprachlos) von Hannah Harrington
Rezension von Christel Scheja
Hannah Harrington lebt in einem Haus voller Hunde und Katzen. Wenn sie nicht gerade am Schreiben ist, diskutiert sie mit anderen gerne über Politik, geht Reiten oder versucht sich im Gitarrespielen. In ihrem ersten Roman „Speechless“, der nun auch in Deutschland erscheint, spricht sie ein ernstes, weil auch in Deutschland allgegenwärtiges Thema an.
Bisher hat Chelsea nicht sonderlich über ihr Leben und ihr Tun nachgedacht. Sie liebt es, Teil der angesagten Clique um ihre beste Freundin Kristen zu sein und nutzt ihre scharfe Beobachtungsgabe, um den immer neusten Klatsch aufzufangen und weiter zu verbreiten. Auch als sie Noah in einem intimen Moment – mit einem anderen Jungen! – erwischt, kann sie ihren Mund nicht halten. Am nächsten Morgen ist der junge Mann im Krankenhaus, irgendjemand hat ihn hinterrücks brutal zusammengeschlagen.
Der Augenblick in dem sie davon erfährt und ein Artikel in der Zeitschrift „National Geographic“ bringen Chelsea dazu, über sich nachzudenken. Von schweren Schuldgefühlen geplagt, beschließt sie, es einem buddhistischen Mönch gleich zu tun und wenigstens einen Monat zu schweigen – zu jeder Stunde, zu jeder Zeit, auch in der Schule.
Ihr Vorhaben trifft auf sehr unterschiedliche Reaktionen. Während der Vater hinter ihr steht, kann ihre Mutter das nicht verstehen und versucht sie immer wieder aus der Reserve zu locken. Nur wenige Lehrer können das Verhalten tolerieren und gutheißen – ihre Schulkameraden lachen erst über sie, dann machen sie sich über sie lustig und zum Mittelpunkt böser Streiche.
Doch Chelsea gibt nicht auf, bemerkt sie doch nun durch diese stille Geste des Innehaltens, wie sehr sie sich selbst darin verloren hat, anderen zu gefallen. Und sie lernt den Wert wahrer Freundschaft kennen.
„Speechless“ könnte ein typischer Teenager-Roman sein, der zwar mit den üblichen Problemen und gängigen Klischees spielt, die jugendliche Romanzen im Highschool-Umfeld mit sich bringt, wirklich ernste Themen aber nur als Aufhänger benutzt. Tatsächlich wagt das Buch aber den mutigen Spagat zwischen leichter und fröhlicher Unterhaltung und regt gleichzeitig zum Nachdenken an.
Bemerkenswert realistisch und konsequent beschreibt die Autorin Chelseas Wandel von einem leichtfertigen Mädchen, dass gerne mit Klatsch um sich wirft und dem die Folgen für die Betroffenen egal sind, weil sie es nicht besser gelernt hat – hin zu einer jungen Frau, die die Verantwortung für ihre Taten auf sich nimmt und beschließt, von nun an mehr auf sich und andere zu achten.
Es sind kleine Dinge, die die Veränderungen bewirken und Chelsea nach und nach die Augen öffnen – angefangen mit dem Blick in Kleiderschrank, dessen Inhalt eigentlich nicht sie wiederspiegelt, bis hin zum Entschluss, sich trotz Mobbing und Schikanen von allen Seiten nicht unterkriegen zu lassen und in ihrem Entschluss zu beharren.
Natürlich wird sie am Ende mit wahren Freundschaften, der Achtung der Lehrer und interessanten Erkenntnissen belohnt, aber der Weg dorthin ist sehr steinig, wird ohne Übertreibungen in Szene gesetzt. Die Autorin dramatisiert gewissen Momente nicht unbedingt, zeigt aber genau so nüchtern auch, wie plötzlich einige Klassenkameraden mit ihrem Ausbruch aus dem Gruppenzwang nicht mehr zurecht kommen.
Vermutlich werden sich vor allem junge Leser im Teenager-Alter in der Geschichte wiederfinden können, weil sie in großen Teilen auch auf deutsche Verhältnisse zutrifft, aber auch erwachsene Leser dürften von den vielschichtigen Charakteren und der interessant gestalteten Handlung fasziniert sein, die immer wieder in kleinen Details zu überraschen und berühren weiß.
Die Handlung gefällt zudem durch den lockeren und flotten Stil, der niemals den mahnenden Zeigefinger hebt, sondern eher lebensnah von Schuld und Sühne, Innehalten und Nachdenken, Verzeihen und Wiedergutmachung, aber auch von der Bedeutung wahrer Freundschaft, dem Finden zu sich selbst und wichtigen Werten wie Toleranz und Akzeptanz erzählt.
„Speechless“ hat durchaus das Zeug für eine Schullektüre, spricht das Buch doch in anrührend realistischer Weise wichtige Themen an, die aus keiner Schule mehr wegzudenken sind. Der Roman ist durch unterhaltsam und kurzweilig, regt gleichzeitig aber auch zum Nach- und vielleicht Umdenken an, wenn man bereit ist, sich auf ihn einzulassen.
Nach oben