Stimmen der Nacht (Autor: Thomas Ziegler)
 
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Stimmen der Nacht von Thomas Ziegler

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Vierzig Jahre nach der Durchsetzung des Morgenthau-Plans ist Deutschland eine rückständige Agrarnation ohne jede Industrie. Die Städte sind verfallen, die Bevölkerung ist verarmt. Aber die Nazis, mächtiger denn je in ihrer südamerikanischen Andenfestung, erheben Anspruch auf die Weltherrschaft und erwarten die Wiederkunft des Führers.

Ein Roman von albtraumhafter atmosphärischer Dichte und ? auch dreißig Jahre nach seinem ersten Erscheinen ? von beklemmender Aktualität.

 

Rezension:

Nach der Sardor-Trilogie setzt der Golkonda Verlag die Gesamtausgabe der Werke von Rainer Zubeil aka Thomas Ziegler mit einer seiner erfolgreichsten Storys fort.

Stimmen der Nacht gewann zunächst als Erzählung 1984 den KLP und zehn Jahre später in der zweiten Romanfassung.

Auf dieser Ausgabe setzt die Neuausgabe mit einer behutsamen Redigierung auf.

 

Jakob Gulf lebt in einer alternativen Welt. Es sind die 80er, jedoch endete hier der zweite Weltkrieg ein wenig anders und das hatte einige fatale Konsequenzen.

So ging Berlin in einer Atombombenexplosion unter und Deutschland wurde nicht durch einen Marshall-Plan wieder aufgebaut, sondern nach den Plänen Henry Morgenthausin einen Agrarstaat umgewandelt. Dies führte nicht nur zu einem riesigen Exodus der Deutschen nach Südamerika und der dortigen Gründung eines neuen Reiches, die rigiden Maßnahmen der Alliierten brachten auch eine verstärkte Nazifizierung der unterdrückten Bevölkerung mit sich.

Gulfs privater Alptraum aber ist die Stimme seiner Ex Elizabeth, die er seit ihrem spektakulären Selbstmord in seiner Fernsehshow beständig zu hören bekommt. Vorwürfe und Liebesschwüre, denen er nicht entkommen kann. Die Stimme von Elizabeth scheint direkt aus einem dunklen Jenseits zu ihm zu sprechen und vermag keine seiner Antworten zu hören.

Lange hielt er sich für besonders gebrandmarkt, doch dann tauchen weitere Stimmen Verstorbener auf. Morgenthau im Weißen Haus, Hitler im zerstörten Köln.

Die US-Regierung schleust ihn in das Terror gebeutelte Deutschland. Man hofft, dass er dem Spuk ein Ende bereiten könne, denn wenn die geifernden Nazi-Stimmen nach Deutsch-Amerika kämen, könnten ein neuer Weltkrieg beginnen …

 

Der Roman benötigt nur ganz wenige Seiten um die persönliche Problematik und den Alternativ-Welt Hintergrund so plastisch auszubreiten, dass man die Düsternis und das Erschreckende der Situation begreift. Mit einer sehr lyrischen und kraftvollen Sprache wirft uns Ziegler in die Nacht. Geschickt verteilt er die Informationen, indem er auf der Reise nach Deutschland in Gesprächen und Monologen Elizabeths die Geschehnisse rekapituliert und ihre Auswirkungen beleuchtet.

Der Weg durch das Werwolf verseuchte Deutschland gleicht einer Reise in die Unterwelt. Überall Schatten des Todes, verbitterte Menschen und Hass. Gulf treibt im Strom dieser schwarzen Gegenwart, wird hin und her geworfen, ohne dass er selbst tatsächlich etwas beizutragen weiß.

Diese Passivität und Duldung der Umstände, seine tiefe Resignation prägen sich wie eine bedrückende Todessehnsucht tief in die Seiten.

Je weiter Gulf auf seiner ziellosen Odyssee kommt, desto drängender wird die Frage, wie Ziegler diesen Knoten aus Dunkelheit wohl auflösen wird.

 

Doch das 93er alternative Ende des Romans verweigert sich einer Lösung, vielmehr zerschlägt es Ziegler wie in der Legende Alexander den Gordischen Knoten.

Dabei verbindet er die Vision einer durch und durch von Nazi-Denken vergifteten deutschen Bevölkerung mit der damals akuten Angst vor rechtsradikalen Nationalismus im Zuge der Wiedervereinigung.

Ebenso wie seine Kritik an industrieller Sensationsmache, könnte man diese Themen auch heute wieder in den Fokus rücken und es ist eine der großen Stärken Zieglers, zeitlose Analysen gefertigt zu haben.

Sie machen den Roman im Nachhinein zu einer Art psychoanalytischen Untersuchung der Frage, wie fruchtbar der Schoß noch ist, samt knallharter, zynischer Antwort.

 

Das Problem des Romans ist aber genau diese Konzentration auf das mögliche Potential, auf Dauer mit Nazi-Hetze infiziert zu werden. Die Handlung bleibt in diversen ungelösten Fragen stecken. Es gibt keine stimmige Erklärung für die Stimmen. Das Ende kommt wie eine deus ex machina Idee aus dem Nichts. Die einzige fassbare Figurenentwicklung sehen wir kurz vor Ende in der Anden-Festung mit Charakteren, die vorher nicht direkt auftauchten.

Wären Sprache und Idee nicht so brillant, müsste man den Roman als völlig misslungen bezeichnen. Aber Ziegler konnte schreiben und »Stimmen der Nacht« ist über weite Strecken ein literarischer Traum. Worte benetzen die Seiten mit feuchtem Nebel, Schatten greifen nach dem Frohsinn der LeserInnen und wenn die geifernden Nazi-Führer zu Wort kommen, kann man sich deren Grauen kaum entziehen.

 

Auch optisch ist das Buch, ganz dem Golkonda Buchkunstethos verbunden, keine Standardkost. Susanne Beneš schafft aus den Teilen des Kölner Doms und Fraktur-Lettern ein düsteres, an eigenen Brüchen leidendes Cover.

 

Fazit

»Stimmen der Nacht« von Thomas Ziegler ist sprachlich ein zeitloses Meisterwerk. Die alternative Welt zeichnet mit düstersten Bildern, welche Konsequenzen die Umsetzung des Morgenthau-Planes hätte haben können. Darüber verlieren sich eine Handlungsfäden in der Schwärze des Alptraums, doch fraglos gehört »Stimmen der Nacht« zu den beeindruckendsten Werken deutschsprachiger Science Fiction.

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Buch:

Stimmen der Nacht

Autor: Thomas Ziegler

Durchgesehene Neuausgabe

Taschenbuch, 193 Seiten

Golkonda Verlag, 15. Juli 2014

Cover und Gestaltung: benswerk

 

ISBN-10: 3944720431

ISBN-13: 978-3944720432

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00KNZ1JOI

 

Erhältlich bei: Amazon

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240329104027d874d122
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Erstellt: 21.12.2015, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 14243