Druckversion: Strange: Anfang und Ende (100% Marvel Bd. 17)

Strange: Anfang und Ende

Reihe: 100% Marvel Bd. 17

Rezension von Christian Endres

 

Das schöne an Comic-Universen, egal ob nun Marvel, DC, CrossGen oder irgend ein anderes, ist zweifellos, dass sie keine (räumlichen, gedanklichen, künstlerischen, etc.) Grenzen haben und gerade in Sachen Multiversum fast Michael Moorcock Konkurrenz machen können. In manchen Zeiten und bei manchen Titeln wird dieses »kosmische« Potential zu einem Großteil ausgeschöpft und verwendet, in anderen wiederum eher weniger. Seit Joe Michael Straczynski (ja, der legendäre JMS, Liebling der Fans und Nerds und durchaus schon so etwas wie eine lebende Legende – wir alle kennen ihn natürlich als göttergleichen Schöpfer der göttlichen SciFi-Serie Babylon 5) vor ein paar Jahren jedoch als Stammautor zu Marvels Amazing Spider-Man kam und den Titel von den damaligen, gegen Ende leider ziemlich schwächelnden Autoren Howard Mackie und John Byrne erlöst hat, ist relativ schnell klar geworden: JMS bringt die Mystik zurück zu Spider-Man! Nicht jedem Fan gefiel das, aber es war nach längerer Zeit wieder einmal ein völlig anderer, mystischerer Weg, der durchaus Spaß gemacht.

 

Einer, der daran nicht ganz unschuldig war, war mit Sicherheit Doctor Strange, der Meister der Magie im Marvel-Universum, der Spidey in einigen der besagten Ausgaben von Amazing hie und da unter die Arme gegriffen und sich wieder etwas ins Rampenlicht geschoben hat, nachdem er und die magische Seite des Marvel-Universums hinter Soap-Geschichten á la Bendis und kosmischen Fehden und Schlachten hat zurück stecken müssen, in denen mehr Platz für Aliens war denn für Zauberei. Dennoch hielt man sich auch in all der Zeit eine verzauberte Hintertür offen – bis JMS sie mit schließlich Ende 2004 einem Paukenschlaf aufstieß und mit der 6-teiligen Mini-Serie Strange eine der vielleicht besten Marvel-Geschichten der letzten Jahre schrieb und Doctor Stranges Origin erzählte ...

 

Ihren Anfang nimmt diese Geschichte von Anfang und Ende des größten Magiers des 616er Marvel-Universums mit einem gut aussehenden, ambitionierten Studenten der Medizin aus Amerika, der sich zwecks dem Kennenlernen alternativer Medizin einige Zeit in Tibet aufhält und dort den Menschen hilft: Stephen Strange. Doch nach seiner Rückkehr aus Tibet verliert dieser sein Ziel, den Menschen zu helfen, vorerst aus den Augen und kehrt ihm mehr oder minder bewusst den Rücken zu und verkommt nach seinem Studium zu einem neureichen Schönheitschirurgen mit magischen Händen und einem prallen Bankkonto. Seine »magischen« Chirurgen-Hände leiden jedoch nach einiger Zeit bereits erheblich unter einem Skiunfall, und Stranges Leben soll fortan nie wieder das sein, was es nach seinem Abschluss denn einmal gewesen war und zu sein versprochen hatte ...

 

Für den einstmaligen Sunnyboy kommt dieser Wandel wie ein Schlag ins Gesicht, und Strange will sich nicht damit abgeben und kämpft ohne Rücksicht auf Verluste um seine Hände – und damit um sein Leben. Irgendwann ist er dann aber trotzdem am Ende, endgültig abgebrannt und nur noch einer unter vielen: Kein Geld, keine Wohnung, kein Auto, und erst recht keine Hoffnung. Da tritt unvermutet eine Person aus seiner Zeit in Tibet in sein Leben, und zudem rettet ihn die die schöne Clea vor einer flammenden Bedrohung, die Stephen im ersten Moment gar nicht richtig begreifen kann. Schließlich holt ihn seine Vergangenheit endgültig ein, nachdem die Gefahr vorerst gebannt werden konnte, und Strange steht nicht zum ersten Mal in seinem Leben an einem Scheideweg, der sein Schicksal und das der gesamten Menschheit nachhaltig beeinflussen wird ...

 

Nach einigem Hin und Her schlägt Strange dann auch den Weg ein, den das Schicksal ihm seit seiner Kindheit vorherbestimmt hat, und erklärt sich bereit, die Rolle einzunehmen, für die höhere, annähernd allwissende Mächte ihn Zeit seines Lebens beobachtet haben, stets in der Hoffnung, dass Stephen eines Tages die richtige Entscheidung von sich aus treffen würde. Dies ist jedoch nur selten geschehen, da es nicht ausschließlich an Stephen selbst lag, und er unbewusst vielleicht doch nicht jede Entscheidung für sich selbst getroffen hat. Eine Entscheidung, die er jedoch selbst trifft, ist letztendlich die, es mit den Mächten der Finsternis aufzunehmen und sich mit dem feurigen Dormammu und seiner verräterischen Dienerschaft anzulegen, um der Welt wenigstens eine Chance zu bewahren ...

 

JMS und Sarah Branes erzählen eine tolle Geschichte, die in meinen Augen aber eindeutig die Handschrift des Meisters trägt, so dass sich für mich die Frage stellt, wie viel Input Frau Branes da wirklich mit eingebracht, und ob Stracynski nicht doch das meiste selbst geschrieben hat. So oder so: Eine tolle, intelligent geschriebene und stimmig konstruierte Story mit schönen Dialogen, griffigen Charakteren und einer durchwegs spannenden Handlung bietet auf über 130 Seiten Story viel Spaß. Zwar ist innerhalb der eigentlichen Handlung ziemlich viel Information und Geschichte untergebracht, doch wirkt es dennoch nie hektisch, und auch lässt JMS genügend Platz für feine Dialoge, ein paar treffend knackige Witze und zwar sparsam dosierte, aber letztlich ausreichend Action-Szenen und Wendungen an der richtigen Stelle. Die sechs Einzelhefte, die in Strange: Anfang und Ende zusammengefasst worden sind, wirken zudem wie aus einem Guss, und wieder einmal kristallisiert sich heraus, dass heutzutage viele Storybögen eben doch für das gesammelte Trade-Format geschrieben werden, egal ob sie zuerst in Heftform erscheinen oder nicht. Auch bei Strange und der Herkunftsgeschichte des gleichnamigen Magiers präsentiert sich die Geschichte daher ohne erkenntliche Übergänge oder Lücken und ist von hinten bis vorne ein Genuss.

 

Brandon Petersons Artwork steht der genialen Story in nichts nach: Ein moderner, aber trotzdem aufgeräumt klarer Strich, der sich im CrossGen-Universum den letzten Schliff geholt zu haben scheint, der ihn dann doch angenehm von anderen Marvel-Zeitgenossen unterscheidet, und eine brillante Farbgebung machen Strange auch Optisch zu einem magischen Hochgenuss. (Achtung, hot Gimmick! Es lohnt sich, den ersten ganzseitigen Aufeinanderprall von Clea und einer Person aus Stephens Umfeld [kleiner Tipp: Die Seite, die ich meine, ist bis auf besagte beide Menschen komplett weiß] ins Licht zu halten und die folgende Szene mit den Astralkörpern "durchschimmern" zu lassen ... welche Innovation!)

 

Die Aufmachung des Trades weiß wie üblich zu gefallen, und nach wie vor ist das 100%-Format von Marvel (welches im Februar 2006 auch ein DC-Gegenstück erhält) eine meiner Lieblings-Reihen aus dem Hause Panini. Ohne lästiges Warten gibt es ganze Storylines oder Miniserien in einem Stück zu Lesen, und das obendrein in einer prächtigen Aufmachung: Klappenbroschur, sehr gutes Papier, sauberes Druckbild und als Leckerbissen ein tolles Cover, das nicht nur ein hübsches Motiv ziert, sondern bei dem in keinster Weise mit Druckveredelung in Form von Lack gespart wurde. Strange macht damit ob seiner Umfangs, aber auch ob seines Aussehens einiges her und kompensiert mühelos den im ersten Moment recht happig erscheinenden Preis von 15,50.

 

Fazit: Nichts ist seltsam strange an diesem Comic, denn hier stimmt einfach alles: Story, Dialoge, Artwork, Aufmachung, ja und sogar der Preis ist für ein Trade mit insgesamt 144 Seiten, auf denen alle sechs Hefte der Mini-Serie zusammen gefasst wurden, zu verschmerzen. JMS ist und bleibt ein Magier, und wie es sich für einen solchen gehört, hat er seinen »Kollegen« Stephen Strange prächtig in Szene gesetzt und ihm eine würdige Origin auf den Magierleib geschneidert. Strange ist ohne Zweifel eines der Highlights aus dem Marvel-Jahren 2004/5, da diese Mini-Serie ursprünglich erschienen ist.

 

Und da Weihnachten noch gar nicht so lange zurück liegt, äußere ich an dieser Stelle noch einen Wunsch: Lieber Joe, bitte gib’ JMS eine Strange-Ongoing!

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403291204543f83e69a

Comic:

Strange: Anfang und Ende

Reihe: 100% Marvel Bd. 17

Autoren: John Michael Straczynski u. Sarah Branes

Zeichner: Brandon Peterson

Verlag: Panini

Format: Softcover

Sprache: Deutsch

Anzahl Seiten: 144

 

, zuletzt aktualisiert: 20.02.2024 18:38