von Karin Reddemann
Der Löwe brüllte (einmal!) anders. Noch während flatternde Fledermäuse zu unheilvollem musikalischen Säuseln den Mond verfinstern, verwandelt sich der weltberühmte Dschungel-König beim traditionellen MGM-Vorspann in einen Vampir. Blutrot ist die Leinwand, der erste Gag schleicht sich vorwitzig ins Bild: Ein »Dr. Ludwig von Krankheit« habe die fangs (Vampirzähne) gemacht. Aha. Soso … und Bühne frei.
»Tanz der Vampire« erhielt den zusätzlichen Filmtitel The Fearless Vampire Killers or Pardon Me, But Your Teeth are in my Neck, um nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich um einen richtig bösen Gruselschocker. Das Komödiantische zu betonen galt natürlich der optimalen Vermarktung, man wollte auch ein Publikum locken, das nicht so arg fixiert auf Schweißperlen, Zusammenzucken, Gänsehaut und Angst-Schreie steht. Soll’s ja geben. Die Rechnung ging allemal auf, finster-fideler Esprit entzückte, der Globus tanzte.
Regisseur Polanski, der gemeinsam mit Gérard Brach auch das Drehbuch geschrieben hat, war im Himmel. Für begnadet gute Leute wie ihn hieß der zumindest für die folgenden sauberen Jahre Hollywood; 1968 drehte er seinen Weltspitze-Horrorklassiker Rosemary’s Baby, 1974 folgte, – mit Brillanz, Spannung und Jack Nicholson nebst Faye Dunaway gut bepackt –, der Oscar-prämierte Kriminal-Reißer Chinatown.
Den Weg frei gemacht für die extra großen Sprünge, die es noch zu absolvieren galt, hatte ihm freilich seine augenzwinkernde Verneigung vor dem Fürsten der Dunkelheit, ein genial parodistischer Ausflug ins Schauer-Metier, herrlich witzig und klug gemacht, atmosphärisch gut dunkeldicht, ein Unikat, das immer wieder aus seiner Vitrine geholt, entstaubt und bestaunt werden darf. Deutschlandpremiere »der besten Großproduktion des kleinen Polen« (Goldenes Kino, Cinema), die in nur knapp fünf Monaten, hauptsächlich in den Dolomiten, gedreht wurde, war am 1. Dezember 1967, sechs Jahre später wurde »Tanz der Vampire« erstmalig im Fernsehen (ZDF) gezeigt. Da waren einige von uns schon munter.
»Die Klischees und Handlungsmuster des Vampir-Genres werden zu einer amüsanten Persiflage genutzt, in der makabre Schocks durch liebevolle Typenkomik ausbalanciert werden. Eine Hommage an das alte Horror-Kino und seine Effekte, zugleich eine Satire auf die tragikomischen Bemühungen bürgerlich-aufklärerischer Biedermänner im Kampf mit einer buchstäblich blutsaugerischen Aristokratie.«
Lexikon des Internationalen Films
So kann man das stehen lassen. Die vielen kleinen Perlen an der Kette darf man auch zählen. Da ist der Hammer, mit dem Alfred (Roman Polanski) ordentlich zu pfählen versucht, der aber auf dem Daumen des Professors (Jack MacGrowan) landet. Da ist Alfreds unfreiwilliges Schäferstündchen mit Grafensohn Herbert (köstlich schön: Iain Quarrier), seinem lüsternen Verehrer; da ist der köstliche Jagdruf, mit dem der Graf seine Vampire scheucht.
»Die Zähne gewetzt und ihnen nach.«
Da ist ein überhaupt durchweg großartiger Polanski, der nicht nur »ein Feuerwerk an umwerfender Situationskomik und mitternächtlichem Grusel, dem die stimmungsvolle Musik von Komeda gekonnt nachhilft, (…)« (Lexikon Filme im Fernsehen) präsentiert, sondern gleichwohl einen Alfred gibt, der rührend linkisch ist.
»Er tapst und hopst mit roten Wangen hinter den vielen unheimlichen Geschehnissen her und findet ständig erfrorene oder erstarrte Menschenwesen.«
Rebhandl, Berliner Zeitung
Das klingt richtig herzlich. Das klingt jetzt mal nach mehr. Also zurück zum MGM-Löwen, zurück ins 19. Jahrhundert, – Polanski entführt detailgetreu in diese Zeit –, und geradewegs in die Karpaten: Professor Abronsius, Hauptfach Vampirismus, als »alter Spinner« von seinen Kollegen verspöttelt und gefeuert wegen seiner verwegenen Theorien, reist nach dem Verlust seines Lehrstuhls an der Universität von Königsberg mit Assistent Alfred (gespielt von Polanski) in die Südkarpaten, um Beweise zu finden. Erste Indizien: Knoblauchgirlanden in einem Dorfgasthaus. Jede Menge Kerzen. Die kauft der unheimliche, bucklige Koukol im Gasthof für seinen Herrn.
Abronsius wähnt ein typisches Blutsauger-Nest, ergo, ein Schloss in der Nähe, von dem niemand etwas gehört haben will, das aber (natürlich!) existiert. Es gehört dem dekadenten Grafen von Krolock (Ferdie Mayne), der die hübsche Wirtstochter Sarah (Sharon Tate, Polanskis Ehefrau, die 1969 von der Manson-Familie ermordet wurde) im Badezuber packt, beißt und entführt, beobachtet von einem völlig verstörten Alfred, der sich in die Schönheit verguckt hat.
Sarahs Vater Yoyneh geht die Tochter in der Nacht bei Eiseskälte suchen, wird erfroren aufgefunden und von Abronsius untersucht, der recht freudig die Bissmale am Hals entdeckt. Theorie bestätigt. Sein wissenschaftlicher Rat, dem nur scheinbar Toten umgehend einen Holzpflock durchs Herz zu jagen, sonst würde der Wirt als Vampir wieder aufstehen, wird empört von der ungläubigen Witwe abgelehnt. In der Nacht liegen Abronsius und Alfred auf der Lauer, Yoyneh, wie erwartet, taucht auf, wird von den beiden wild durch den Weinkeller gejagt, kann entschlüpfen und beißt rasch noch die sexy Magd, seine alte Bettgespielin, bevor er Richtung Schloss verschwindet, dicht gefolgt von Abronsius und Alfred auf Skiern. Sie kommen heil an, fliegen zwar auf, werden aber vom Grafen Krolock in aller Höflichkeit als Gäste behandelt. So verbringen sie dort die Nacht und warten auf das Morgengrauen, Abronsius zufrieden, Alfred panisch, um die Särge Krolocks und seines schwulen Dandy-Sohnes Herbert aufzuspüren und den dort tagsüber schlafenden Vampiren den Garaus zu machen.
Das klappt nicht wie geplant, es wird alles herrlich hektisch; irgendwann bleibt der Professor in einem Fenster an der Gruft stecken, der schlotternde Albert muss allein ans Werk, kriegt das nicht hin, will zuerst einmal Abronsius befreien, vergisst den aber kurzfristig, weil er Sarah beim Baden in einem der Gästezimmer entdeckt, die ihm von einem Ball am Abend erzählt. Abronsius, mittlerweile fast erfroren, fällt ihm wieder ein. Er schafft es, ihn hinaus zu ziehen, freilich fällt dabei der Koffer mit allen Vampirbekämpfungs-Instrumenten vom Dach und taucht ab im verschneiten transsylvanischen Dickicht.
Bitter genug, aber Alfred hat andere Sorgen: Er liebt nun mal Sarah, macht sich schlau in dem Buch »100 Wege sich ins Herz einer Jungfrau zu schmeicheln« (A Hundred Goodlie ways of Avowing one’s Sweet Love to a Comlie Damozel) und wird dabei vom blonden Beau Herbert überrascht, der seine Zuneigung zeigt, indem er Alfred beißen will. Die langen Zähne landen im Buch, – grandios gute Szene –, Alfred macht sich davon, Herbert rennt hinterher. Von einem Söller aus beobachten der entkommene Alfred und der Professor, wie etliche Vampire aus ihren Gräbern auf dem Schlossfriedhof steigen, die zum Ball geladen sind.
Graf Kolock stöbert sie auf, bleibt gelassen und schwärmt davon, wie nett und geistreich sie vier, – er selbst, der Gebildete, Abronsius, der Gelehrte, Herbert, der Gelackte, und Alfred, der Genervte –, die nächsten Jahrhunderte bei Kerzenschein mit Blut im Glas verbringen würden. Dann sperrt er sie ein, es beginnt der ultimative, der legendäre Tanz der Vampire.
Abronsius und Alfred befreien sich, überwältigen zwei Gäste, ziehen sich deren Ballgarderobe an, spüren Sarah auf und tanzen sich unauffällig an allen vorbei, um irgendwie unbeobachtet aus dem Saal zu kommen. Das funktioniert eben nicht, ein riesiger Spiegel enttarnt sie, – definitiv echte Vampire sehen sich darin ja nicht –, der Tumult ist groß, sie fliehen, alle jagen hinterher. Geschafft und doch nicht: Zu in diesem Fall unguter Letzt sitzen Abronsius, beruhigt dösend, Alfred, selig lächelnd, und Sarah, süß schlafend (oho!), im ins Tal fahrenden Schlitten, das junge Glück auf der Hinterbank liebevoll umschlungen. Und dann küsst das erwachende Dornröschen den Hals ihres Prinzen. Der sich zuvor noch wundert, wie kalt das zarte Händchen ist. Polanski lässt unheilvoll orakeln:
»In jener Nacht auf der Flucht aus den Südkarpaten wusste Professor Abronsius noch nicht, dass er das Böse, das er für immer zu vernichten hoffte, mit sich schleppte. Mit seiner Hilfe konnte es sich endlich über die ganze Welt ausbreiten.«
Kein Happyend. Da seufzt der Zuschauer. Immer noch. Um die beiden Helden tut’s einem so richtig brav leid. So ein bisschen wie Don Quichotte und Sancho Pansa kämpfen sie, leidenschaftlich, überzeugt und durchaus tapfer, und scheitern doch an ihren eigenen bissigen Windmühlen. Irgendwie fiebert man mit diesem so liebenswerten Gespann Abronsius/Alfred, auch, wenn man weiß, dass man ja weiß, was man als Genre-Freund sowieso wissen muss. Daumendrücken nützt meist gar nix. Punkt. Abronsius ist kein Van Helsing, und Polanski ist keiner, der ein zufriedenes Aufatmen braucht nach einer geistreich gedachten Story.
1997 hatte das Musical »Tanz der Vampire«, gleichsam unter Polanskis Regie, Premiere am Wiener Raimundtheater; seitdem wird es durchweg an verschiedenen Theatern im deutschsprachigen Raum aufgeführt. Während die meisten internationalen Produktionen des Musicals Erfolge erziel(t)en, war die extra für den Broadway gemachte Neuversion des Musicals mit nur 117 Vorstellungen (darunter 61 Previews) eine Pleite und gilt als katastrophalster Flop der Broadwaygeschichte.
Gut ist eben nicht genug, wenn’s besser geht. Gilt immer.
Nach oben