Rezension von Christel Scheja
Was man früher als das ansah, »Was einen echten Kerl ausmacht«, angesehen hat, wird in den letzten Jahren zunehmend hinterfragt. Denn inzwischen ist klar geworden, dass dieser Kult um die Maskulinität immer mehr ausufert, nicht nur den Frauen und der Gesellschaft schadet, sondern auch den Männern selbst.
Sebastian Tippe versucht in seinem Buch Toxische Männlichkeit vor allem Männern dabei zu helfen, diese Verhaltensweisen und Denkmuster zu erkennen, reflektieren und auch zu verändern, damit das Zusammenleben mit dem Rest der Menschheit wieder besser laufen kann und diese auch selbst Positives daraus gewinnen.
Schon in der Kindheit beginnt das Schubladendenken. Mädchen und Jungen werden entsprechend angezogen, erhalten das für sie »passende« Spielzeug. Was aber noch schlimmer ist – die Umgebung verhält sich entsprechend der vorgefertigten Rollenbilder. Jungen dürfen wild und unbändig sein, Mädchen sollen sich lieb, nett und brav verhalten.
Und so geht das in der Schule weiter. Jungs und junge Männer werden dazu angehalten, sich selbst über ihre Leistung zu definieren und Grenzen zu ignorieren, Konflikte mit Gewalt zu lösen und auf alle Schwächeren hinab zu blicken. So weiten sich die gesellschaftlichen Phänomene weiter aus, seien es nun Prostitution und Pornographie, in der Frauen zum reinen Objekt und immer extremer behandelt werden.
Aber auch Amokläufe und offen ausgelebter Rassismus, Rechtsradikalismus und offene Verachtung von Frauen, Juden und anderen Randgruppen nehmen zu, ebenso wie die Femizide. Und nur dadurch ist es möglich, dass Männer wie Donald Trump an die Macht kommen können.
Das Buch ist in mehrere Abschnitte eingeteilt, zunächst erklärt vor allem der Autor, warum er das Buch verfasst hat, auf was er aufmerksam machen will und warum er gerade jetzt ein Umdenken für wichtig hält.
Denn in den letzten Jahrzehnten haben die Auswüchse der »toxischen Männlichkeit« zugenommen, sei es nun in der Musikszene in der Rapper ihre frauenverachtenen Texte offen präsentieren können, in entsprechenden Social-Media-Foren, in denen sich Freier über Prostituierte und ihre Machtphantasien ausleben können.
Auch nehmen rassistische und rechtsradikale Tendenzen zu, die ebenfalls kein gesundes Männerbild zeichnen. Und nicht zuletzt steigt die Gewaltbereitschaft unter Männern, die nie gelernt haben, Konflikte auf andere Weise als mit der Faust zu lösen, bis hin zu Amokläufen und Mord an Schwächeren.
Aber auch im Alltag findet sich das ungesunde Männerbild. Schon bei Babys und Kleinkindern werden in Schubladen gesteckt und alle, die nicht in diese passen, versucht man entsprechend umzuerziehen.
Bereits Mädchen werden im Kindergarten in die klassichen Care-Rollen geschoben, während Jungs dazu angehalten werden, immer zu kämpfen und natürlich große Leistung zu erbringen. Konkurrenz steht im Mittelpunkt, nicht das gleichberechtigte Miteinander. Das setzt sich in Ausbildung, Arbeitsleben und schließlich sogar in der Familie fort. Noch immer werden Frauen wesentlich schlechter für die gleiche Arbeit bezahlt, haben geringere Aufstiegchancen und, und, und …
Überall begegnet man letztendlich den eingefahrenen patriarchalischen Denkweisen und Zwängen, die auch Männer in ein enges Korsett zwängen. Bitter ist es, über die Auswüchse zu lesen und sich bewusst zu machen, wie viel Prostitution und Pronographie mit Sklaverei zu tun haben, werden doch auch hier die Frauen oft zur reinen Sache gemacht.
Der Autor teilt sein Buch deswegen in zwei große Blöcke ein – im ersten schildert er den Istzustand und verweilt dabei gerade bei den alltäglichen Dingen sehr lange. Hier versucht er Männern aber auch Frauen die Augen zu öffnen, wann und wie Männlichkeit toxisch ist – welchen eingefahrenen Rollenmustern wir alle Folgen und welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft und jeden einzelnen Menschen haben kann.
Seine Schilderungen machen keinen Hehl daraus, welche Meinung er vertritt, aber das muss auch sein – stille Appelle dürften die meisten Leser nicht erreichen. Der Ton verschärft sich deswegen auch im zweiten Teil, in dem er die vielen kleinen, aber auch großen Schritte aufzeigt, die seiner Meinung nach helfen könnten, den Männlichkeitskult abzubauen und mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Das fängt schon mit Umdenken in der eigenen Familie an, sei es gegenüber den Kindern oder der Partnerin und weitet sich auf den Arbeitsplatz und die Freizeit aus. Oft sind es auch nur Kleinigkeiten, die getan werden können.
Dabei nimmt er auch die Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in die Pflicht, die viel zu viel noch auf männliche Bedürfnisse ausgerichtet haben, die Frauen in ihren Reihen in den Hintergrund drängen und verkennen, dass man nicht alles nur auf den Durchschnittsmann normieren sollte, vor allem nicht in der Gesundheitsbranche.
Die Worte sind leidenschaftlich und eindringlich, versuchen aber die männlichen Leser auch zu erreichen und mitzunehmen, nicht abzuschrecken. Denn nur wenn einige sich davon berühren lassen und selbst anfangen, kann sich nach und nach die Gesellschaft ändern.
Aber auch Frauen sollten sich angesprochen fühlen – einerseits nicht alles hinnehmen in das man sie drängen will, andererseits aber auch nicht daran arbeiten, ihre eigenen Kinder oder die in Schule und Kindergarten Anvertrauten in Schubladen stopfen zu wollen.
Natürlich ist das Buch nicht die absolute Offenbarung wie eine perfekte neue Gesellschaft aussehen könnte, aber letztendlich doch ein Werk, dass an bestehenden Mustern kratzt und zum Nach- vielleicht sogar Umdenken kratzt. In der Hinwicht verfehlt es seine Wirkung nicht.
Fazit:
»Toxische Männlichkeit« ist ein wichtiges Buch, das in den ganzen Gender- und Gesellschaftssdebatten wichtige Anregungen geben könnte. Denn vieles, was heute so falsch läuft und beängstigend wird, lässt sich auf genau dieses Verhaltensweisen zurückführen. Männer, die sich darauf einlassen wollen, kann es die Augen öffnen und sie dazu bringen, sich langsam zu ändern, aber auch Frauen werden daran erinnert, dass sie nicht nur die Opfer sind, sondern auch ihren Teil dazu beitragen können, gerade was die Erziehung ihrer eigenen Kinder betrifft.