Um Mitternacht (Autorin: Diandra Stone)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Um Mitternacht

Autorin: Diandra Stone

 

Er ballte die Hände zu Fäusten. Der Schmerz drohte ihn zu überwältigen. Er wollte schreien, etwas zerschlagen. Jemanden.

Elend sah er aus mit dem gekrümmten Rücken. Elend, mit dem blutleeren Gesicht. Wie tot.

Verstohlen blickten ihn die Leute von der Seite her an. Mitgefühl war das Letzte was er brauchte.

Er presste die Lippen fest aufeinander, bis alles Blut daraus entschwunden war. Etwas in seinem Inneren war zerbrochen und er wusste, instinktiv, dass es nie mehr heilen konnte. Seine Welt lag in Trümmern, eine Andere gab es nicht.

Zaghaft, fast ängstlich, streckte er die Hand nach ihr aus. Er fürchtete sich. Nicht vor dem Tod. Oh nein. Er fürchtete sich vor dem Steifen, Kalten, Leblosen. Vor den Symptomen des Todes, den untrüglichen Zeichen, die sich selbst mit noch soviel Vorstellungskraft nicht leugnen ließen. Ja, das machte ihm wirklich Angst.

Fast musste er sich zwingen, von ihren blonden Locken Abschied zu nehmen.

Der Gedanke für immer auf ihr kindlich, helles Lachen zu verzichten war ihm unerträglich. In einem Anfall nackter Verzweiflung beugte er sich über den offenen Sarg, küsste ihre Lippen, ihren bleichen, kalten Mund. Ein letztes Mal strich er über ihre samtweiche Haut.

Das plastische maskenhafte Gesicht brach ihm das Herz. Sie sah ihrer Mutter erstaunlich ähnlich. Selbst im Tod noch. Hätte er doch glauben können, sie würde bloß schlafen!

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Der Pastor, sein Schulfreund, lächelte ihm Mut zu.

Fast wie im Traum durchlebte er den Rest der Feier. Er, der Pastor der Gemeinde, fand zum ersten Mal keine tröstenden Worte. Schweigend ertrug er?

den Rest der Feier, als eine endlos scheinende Reihe schwarz bekleideter Gestalten ihren Pflichtgang übten.

„Das ist eine schwere Prüfung.“ – Pastor Heilwieg von der Nachbargemeinde, sein Freund und Studienkollege, klopfte ihn mutmachend auf die Schulter. Er hätte ihn gern umarmt, aber der Ausdruck auf dem Gesicht des Freundes hielt ihn davon ab. Frank´s Augen schimmerten wässrig.

„Gott...“

„Gott?“ – Frank schrie. Speichel flog in das Gesicht des Freundes. „Du kommst mir mit Gott! – Es gibt keinen Gott. Nicht mehr. Er hat seine Chance vertan.“

„Frank, was redest du da? – Du bist Pastor...“

Zornig schlug er mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser klirrten und der Rotwein hinterließ Schlieren, die sich langsamer verflüchtigen als Blut.

Frank schenkte nach und leerte das Glas mit einem Zug. Er trank das Blut des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes... Zornig warf er das Glas gegen die Wand. Er zerbarst. Die Scherben glitzerten auf dem Boden.

„Beruhige dich! – Bitte! – Damit dienst du Niemanden. Du zerstörst dich nur selbst.“

„Und wenn schon... was spielt es für eine Rolle?“ – Frank starrte hasserfüllt auf das Kreuz an der Wand.

„Eine große Rolle. Du bist Pastor. Du brauchst die Gemeinde und die Gemeinde dich. Du wirst deine Kraft in deiner Arbeit finden. Sie wird dich trösten. - Die Gemeinde zählt auf dich. Gib ihnen ein Beispiel.“

„Ein Beispiel wofür? – Was Gott alles zulässt? – Ich soll auf die Kanzel steigen und den Leuten predigen für Gott ihr Kind zu opfern, oder für Gott die andere Wange hinzuhalten? Ich soll dort oben stehen und gegen die Gewalt predigen. Gott ist gewaltig! Gott ist gewaltiger als der Tod!“ – Die Wut färbte seine Wangen und ließ seine Augen hervor treten. Er sank zurück auf den Stuhl. Sank in sich zusammen. Weinte.

Er spürte eine Hand auf seinem Rücken, die ihn zu trösten versuchte. Zornig schlug er sie aus. „Es ist vorbei!“?

„Was ist vorbei?“

„Mein Vertrag mit dem da oben! Ich glaube nicht mehr daran. Ich hasse ihn.“

„Du bist ungerecht. Gott kann nichts dafür, dass deine Tochter tot ist.“

„Ach nein?“ – Frank lachte bitter auf. „Was ist das dann für ein Gott? - Gott ist gewaltig... Gott ist ein Mythos, ein Witz! Ein bärtiger, gütiger Mann... ein blutleerer, kraftloser, alter Mann ist er! Er hat keine Macht, keine Gewalt. Wenn es überhaupt jemanden gibt, einen Gott oder einen Teufel, dann ist es sicher nicht Gott, der gewaltig ist. Wäre er es, dann hätte er mir nicht Frau und Tochter genommen. Er hätte nicht kampflos zugelassen, das unsere Welt so vollständig in die Hand der Zerstörer geht.“

„Frank, bitte!“

„Wirklich? – Wer ist denn der Sieger? – Der, der seine Hand erhebt um Frieden zu stiften, oder der, der den Baseball – Schläger hält? Hat die Gewaltlosigkeit gesiegt, als sie meine Frau zu Tode prügelten? Hat die Gewaltlosigkeit gesiegt, als der betrunkene Autofahrer von der Straße abkam und fünf Kinder vor dem Kindergarten niedermähte, bevor er feige flüchtete?“

„Sie werden ihn finden und bestrafen.“

„Bestrafen? Womit? So wie sie den Mörder meiner Frau bestraft haben? Was könnte mehr Strafe sein, als seine tote Tochter im Arm zu halten? Wie können sie über Strafe verhandeln... Ich bin der, der bestraft wurde. Für meine Dummheit. Für meinen Glauben. Für mein Unvermögen die Wahrheit zu erkennen.“

„Du redest Unsinn, Frank, hört dir doch mal selbst zu!“

„Du weißt genau wovon ich rede! Ich rede davon, dass Krieg auf Erden herrscht und nur der Stärkere, Skrupellosere, Gemeinere, Boshaftere siegt... Wir haben versäumt unsere Kinder richtig zu erziehen. Wir impfen ihnen das falsche Wort ein.“

„Du bist verrückt.“

„Wirklich? – Erinnert dich das nicht an die Diskussionen, die wir während unserer Studienzeit führten. Über Gut und Böse. Über Gott und Teufel. – Du warst derjenige, der für die Existenz des Teufels plädierte. Für einen?

wahrhaftigen Teufel, ebenso wie für den wahrhaftigen Gott. Ich glaubte an Prinzipien. Gut und Böse als Prinzip der Natur. Wir müssen uns nur entscheiden... aber wenn wir das tun, Erich, wenn wir das wirklich tun, dann nehmen wir auch den Schatten in Kauf. Wir predigen Liebe und erzeugen Schmerz. Hätte ich nie so geliebt... ich würde nie solchen Schmerz empfinden!“

„Hättest du nie so geliebt, so wärst du nie so glücklich gewesen.“

„Das ist es ja! – Das ist es, was mich auffrisst. Ich war glücklich und ich werde es nie mehr sein. Das ist schlimmer als die Hölle.“

„Du wirst es schaffen. Irgendwann wirst du seine Liebe wieder spüren...“

Frank schüttelte den Kopf. „Du verstehst mich nicht. Das kannst du gar nicht. Du hast nie geliebt. Du hast nie begehrt. Du hast nie vertraut. – Du bist ein guter Pastor, aber du bist nur ein Wort, keine Seele. – Ich habe dich immer für einen vertrockneten Pfaffen gehalten, der bei den Katholiken besser aufgehoben gewesen wäre, als in unserem Verein. Du bist ein Meister der Form und Heiligkeit, aber ehrlich, in deinen Adern floss nie Blut... sondern Eiswasser.“

„Das muss ich mir nicht anhören!“ – Erich stand auf.

Frank hielt ihn zurück, in dem er grob seinen Arm festhielt. „Nein, bleib!

– Du bist mein Freund. Mein einziger Freund. Und heute Nacht brauche ich einen Freund.“

„Du bist betrunken.“

„Vielleicht! – Aber willst du dich christlichen Pflicht zur Nächstenliebe entziehen, nur weil ich betrunken bin?“

„Du bist mehr als nur betrunken. Du bist in deinen Beleidigungen und Unverschämtheiten so nüchtern wie selten.“

„Danke. Herzlichen Dank mein Freund!“ – Frank erhob sich. Etwas in seinen Augen glitzerte gefährlich. Erich fühlte sich unwohl in seiner Haut.

Unbewusst fing sein linkes Auge an zu zucken. Das tat es immer, wenn er nervös war, Angst empfand oder vor einem ungeheuerlichen Schritt stand.

„Weißt du noch...“, - Frank zog ihn zur Tür der Sakristei. – „Wir hatten doch mal ne Wette laufen. Es ging darum, ob uns der Teufel näher liegt, als?

Gott. Du hast behauptet ja. Du sagtest... ich hoffe, ich erinnere mich recht... das »der Teufel unsere Natur sei und Gott unser Ideal.«“

„Das ist Tausende von Jahren her!“ – Erich widerstrebte in die Sakristei und von dort in die Kirche zu gehen. Aber Frank zog so heftig an seinen Arm. Er hatte einfach keine Wahl. Sein linkes Auge zuckte heftiger.

Es war kurz vor Mitternacht. Vom Turm her drangen die Geräusche des Schlagwerkes zu ihnen. Unentwegt knirschte und klackte es.

„Schieb es nicht so weit weg von dir! – Du hattest mir damals einen Vorschlag unterbreitet, weißt du noch?“

„Ehrlich gesagt, nein.“

Frank lachte laut auf. „Aber natürlich! – Davon willst du jetzt nichts mehr wissen. Damals hast du ihn mir ja auch nur deshalb unterbreitet, weil du genau wusstest, dass ich mich nicht drauf einlassen würde. Aber eine Wette ist eine Wette. Sie verdirbt nicht. Ich möchte es jetzt wissen.“ – Fast grob schleuderte Frank seinen Freund gegen den Altar.

„Das ist doch lächerlich!“

„Lächerlich? – Ja, wahrscheinlich. Aber es macht mir nichts aus, lächerlich zu sein. – Tu es!“

„Was tun?“

„Ruf ihn an!“

„Das kann ich nicht!“ – Sein linkes Auge zuckte immer schneller. Unentwegt.

Und plötzlich, als habe jemand einen Schalter betätigt, hörte es auf zu zucken.

„Natürlich kannst du das! – Ich weiß doch genau, dass du in deiner Freizeit immer noch die Nase in diese Bücher steckst. Ich kenne niemanden, den das Okkulte mehr fasziniert als dich. Du wärst bestimmt ein herausragender Exorzist geworden... in der katholischen Kirche. Wenn sie dich gelassen hätten. Warum eigentlich? – Ich frage mich wirklich, warum du nicht zu den Katholiken konvertiert bist?“

„Weil du mein Freund bist. Unsere Freundschaft war mir wichtig. Und es ist doch völlig gleichgültig unter welcher Konfession ich ihm diene, oder?“

Frank zog die Lippen zu einem Lächeln auseinander. Aber er lächelte nicht.?

„»Wir stehen dem Teufel näher als Gott...« genau das hast du gesagt. Es wäre leichter ihn anzurufen, als den großen, gütigen, alten Mann. – Du hast gesagt, er wäre der Einzige, der vermutlich wahrhaftig antworten würde.“

„Das hab ich doch nur gesagt, um dir Angst zu machen! – Mein Gott, Frank, wir waren Studenten! Zu groß gewordene Jungen, die noch feucht hinter den Ohren waren! Das war ein Spaß!“

„Mir ist es ernst.“

Erich senkte den Kopf, fixierte seine Fußspitzen. „Was willst du damit erreichen?“

„Überlass das mir! – Tu einfach, was du immer tun wolltest! Ruf ihn an! – Oder hast du Angst vor deiner eigenen Courage?“

„Ich habe Angst vor dir.“, stammelte Erich und griff sich an den Hals.

„Na los schon...“ – Frank entzündete die Kerzen auf dem Altar. „Was müssen wir tun? – Ein Pentagramm errichten, den Altar schänden, das Kreuz?“

„Bitte, Frank, Bitte!“

Energisch schüttelte er den Kopf. „Hör auf mit dem Gejammer! Tu etwas! Tu endlich etwas!“ – Plötzlich hielt er ein Küchenmesser in der Hand. Das Licht der Kerzen spiegelte sich an der Schneide.

„Was hast du vor?“

„Keine Ahnung. Ich hoffe, du wirst es mir sagen.“ – Aber Erich schwieg und sah seinen Freund entsetzt zu, als er sich mit dem Messer in den Arm schnitt. Blut sickerte aus der Wunde. „Soll ich damit etwas Unheiliges tun?“, spottete Frank. So elend hatte er sich noch nie gefühlt. Sein Blut tropfte auf den Altar. Mit einer schnellen Armbewegung löschte er die Kerzenflamme, in dem er die Wunde in das Feuer drückte. Das Zischen hallte in der Kirche. Es roch nach verbranntem Fleisch.

Plötzlich erlosch das elektrische Licht. Erich schnellte herum. Keiner von beiden hatte sich bewegt. Wer also sollte den Lichtschalter betätigt haben?

Vielleicht war die Sicherung raus geflogen? Oder ein Stromausfall?

Nur die beiden brennenden Kerzen erhellten den Altar.

Jetzt läutete die Turmglocke Mitternacht. Der helle Ton gellte durch das weite Kirchenschiff, gellte in ihren Ohren.?

Frank starrte in die leeren Sitzreihen der Kirche. Angespannt, als würde dort jemand auf ihn und seine Predigt warten.

„Komm schon!“, schrie er über den Klang der Glocken hinweg, „Zeig dich! Ich weiß, du bist hier. Du stehst mir näher als mein eigenes Leben. Gib mir mein Kind zurück! Gib mir meine Tochter zurück! Das ist alles, worum ich dich bitte!“

„Frank, bitte! – Du machst alles nur schlimmer! Komm mit mir! Lass uns gehen!“ – Erich versuchte seinen Freund aus der Kirche zu führen, aber Frank blieb unbewegt. – „Du willst ein Opfer? – Nimm mich! – Was kann verführerischer sein, als ein abtrünnig gewordener Priester?“

„Er will dich nicht.“, flüsterte Erich, der es aufgegeben hatte, Frank zur Vernunft zu bringen.

„Mein Leben gegen das meines Kindes! Lass sie auferstehen! – Wenn ER es schon nicht schafft... wie wäre es mit DIR?“

Erichs linkes Auge zuckte. Endlich schwiegen die Turmglocken. Die beiden Kerzen flackerten. Es zog. Unwillkürlich rieb er sich die Arme. Es war so kalt geworden.

„Ich will sie zurück...“, schluchzte Frank, der nun endgültig am Ende war.

Er warf sich auf den Boden und trommelte mit den Fäusten wild auf. „Dir habe ich die Treue geschworen. Deinen Boden habe ich geküsst. Ich hasse dich! Hasse dich! HASSE DICH!“

Langsam bewegte sich Erich auf ihn zu. Kein Zweifel, sein Freund hatte den Verstand verloren. Ein Nervenzusammenbruch. Nach den beiden schrecklichen Schicksalsschlägen eigentlich kein Wunder. Befremdlich blickte er auf das Blut, das sich von Franks Wunde am Arm über den Boden verteilte.

Ein kleiner Rinnsal lief in den Fugen des Bodens zusammen. Er rieb sich die Augen. Das Blut floss quer über die Steine, es folgte einer bestimmten Linie, einem Dreieck, einem Dreieck, das sich langsam zu einem Pentagramm vervollständigte.

Entsetzt blickte er sich um. War da jemand?

Frank drehte sich auf den Rücken und begann höhnisch zu lachen. Sein Gelächter versiegte abrupt, als er Erich in die Augen blickte.?

„Du wirst mir helfen, nicht?“ – Er setzte sich auf.

Fassungslos starrte Erich seinen Freund an. Er sah verändert aus. Fast scheute er vor ihm zurück. „Was möchtest du tun?“

„Komm mit auf den Friedhof!“

„Das kann ich nicht! – Komm zu dir! Das kannst du doch auch nicht!“

„Schön.“, Frank stand auf. Noch immer quoll Blut aus seinem Arm. „Wenn du mir nicht helfen willst, dann muss ich es eben selbst tun.“

„Frank...“

„Nein! – Sei ruhig!“ – Eine Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Komm mit oder geh!“ – Seine Augen blitzten im Kerzenfeuer.

Es roch wohltuend nach feuchter Erde. Erich schlug die Hände vors Gesicht und murmelte ein Gebet. Erde rieselte neben ihm auf den kleinen Hügel, der sich inzwischen aufgetürmt hatte. Die Schippe stieß auf Holz.

Frank warf die Schaufel aus der ausgehobenen Grube. - „Hilf mir!“, rief er nach oben.

„Was erwartest du von mir?“ – Fassungslos stand Erich neben dem Grab. Das war das Ende. Das Ende seiner Karriere. Das Ende ihrer Freundschaft. Das Ende eines Leben. Er fühlte sich so hilflos wie nie. Frank hatte den Verstand verloren. Musste er ihn nicht vor dieser Dummheit bewahren?

„Steh mir bei! – Komm herunter und hilf mir den Deckel zu öffnen!“

Wider besseren Wissens stieg Erich in das Grab. Er selbst konnte kaum fassen, was er tat. Das linke Auge zuckte wie wild.

Gemeinsam hebelten sie den oberen Teil des Sargdeckels auf. Die Scharniere knirschten. Sie lag da, als ob sie schliefe. Das Mondlicht fiel in ihr Gesicht und verlieh ihren Wangen einen seidigen, lebendigen Glanz.

Frank streckte seine erdverschmutzten Hände nach ihr aus. „Hörst du mich? – Mein Leben gegen das meiner Tochter. Wenn es dich gibt, wenn es dich wirklich gibt, dann lass sie leben und ich werde dir auf ewig dankbar sein.“?

Feuchtigkeit drang durch den Stoff der Hose. Erich fröstelte immer mehr.

Ihm war speiübel. Das Zucken wurde so stark, dass das Bild von Erika wie eine Diaprojektion vor ihm auftauchte und wieder im Dunkel verschwand.

Frank heulte und schrie. Jetzt hatte er vollends den Verstand verloren. Er nahm seine Tochter in den Arm. Er zog sie aus dem Sarg und wog sie in seinen Armen. Erich wollte nur noch weg hier und sich seine Hände in Unschuld waschen. Er wollte das alles vergessen. Unfassbar, was sie hier taten. Unfassbar... Und plötzlich bewegte sie ihre Finger. Sie bewegte ihre kleinen Finger. Erichs Auge zuckte, als stünde er unter Strom. Ihr totes Gesicht lag auf Frank´s Schultern. Ihr bleiches Gesicht... Sie öffnete die Augen. Erich schluckte, wich an die Erdmauer zurück. Fragend blickte sie ihn fragend an. Ihre blonden Locken sprangen über Frank´s Schulter. „Onkel Erich, was machst du denn hier?“ – Und ihre helle Stimme schallte in seinem Ohr.

»Durch den Autounfall war es zu derart schweren Kopfverletzungen gekommen, das sie auf den gesamten Organismus Auswirkungen zeigten. Die Körperfunktionen waren stark gedrosselt. Sie kam deshalb mit nur wenig Sauerstoff aus. Der Atem war nicht nachweisbar gewesen. Auch die Herztöne hätten sich unterhalb der Messbarkeitsgrenze befunden. Ihre Körpertemperatur war so stark abgesunken, dass der zuständige Arzt die Anfänge der

Leichenstarre diagnostizierte.«

 

Das Überleben der Kindes war ein Wunder und ein Skandal. Die Zeitungen brachten es auf der ersten Seite. Seit 1997 hatte es keinen ähnlich spektakulären Fall eines Scheintoten gegeben. Ein wenig rätselhaft blieben jedoch die Umstände der Rettung. Der Pastor selbst hatte das todgeglaubte Mädchen noch in derselben Nacht ihrer Beerdigung wieder ausgegraben. »Er habe eine Stimme gehört. Die Stimme Gottes und sei ihr gefolgt.«?

Erich schenkte Rotwein nach. „Wann kommt sie aus dem Krankenhaus, weißt du das schon?“

„Morgen. - Ich bin froh, dass sie nicht begriffen hat, was da geschehen ist. Sie hat einfach lange geschlafen. Nicht auszudenken, wenn sie wach geworden wäre, wenn sie dort unten in diesem Grab erwacht wäre und niemand, niemand...“ – Seine Stimme stockte. Noch immer konnte er sein Glück noch nicht fassen. Und das Grauen, wenn er sie in dieser Nacht nicht ausgegraben hätte.

„Du weißt, wem du das zu verdanken hast?“

Frank lächelte. „Jetzt willst du mich zu Gott zurück bringen! Mein heiliger, treuer Freund. – Ich muss dich in dieser Nacht ganz schön erschreckt haben. – Ja, wenn es dir ein Trost ist, ich glaube wieder...“

„Aber woran, Frank? – Woran glaubst du?“ – Erich beugte sich zu ihm heran.

Er blickte ihm direkt in die Augen. Sein linkes Auge begann wie wild zu zucken.

Für einen Moment glaubte Frank doch tatsächlich, die Pupille hätte sich unter den Zuckungen verfärbt. Sie glänzte für den Bruchteil einer Sekunde rot. Rot wie Blut.

„Dein Leben gegen das Leben deiner Tochter. Das war ein Versprechen.“ – Und dann lehnte sich Erich zurück und begann zu lachen. Ein grauenhaftes Lachen, das ihn nie mehr verlassen sollte.

Im Ort geisterten alsbald Gerüchte herum. Niemand schenkte ihnen Glauben, denn der Pastor war ein liebenswerter, freundlicher Mensch. Trotzdem hielt sich das Gerücht hartnäckig, dass an manchen Tagen um Mitternacht in der Kirche geheime Feiern abgehalten würden. Dann und wann verschwand aus den Nachbargemeinden ein Kind.

Das Leid rückte die Bürger des Ortes noch enger zusammen. Die Kirche war endlich wieder voll. Man betete. Man betete für die verlorenen Seelen...

 

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328161541c70c26d5
Platzhalter

Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

Freigabe zur Weiterveröffentlichung besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 24.07.2005, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10, 755