Urban Explorer (BR; Horror; FSK 18)
 
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Urban Explorer (BR; Horror; FSK 18)

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Urban Exploration beziehungsweise urbane Erkundung. Hört sich irgendwie bieder an, ist es aber gewiss nicht. Irgendwie kann man auch all jene verstehen, denen das klassische Bergsteigen einfach zu langweilig geworden ist. Wo sonst hat man die Möglichkeit, praktisch direkt in die Vergangenheit zu gelangen? Zahllose stillgelegte und vergessene Ruinen, Katakomben, Versorgungsanlagen und Tunnel laden die weltweit immer größer werdende Entdeckergemeinde ein, gutes Schuhwerk anzuziehen und starke Taschenlampen einzupacken, bevor es zumeist unter die Erde geht. Doch so faszinierend und phantastisch diese Tätigkeit auf den ersten Blick erscheinen mag, so viele Gefahren birgt sie auch. Neben chemikalischen Abfällen oder auch Asbest ist es wohl besonders der Gesichtspunkt des Verfalls, der mitunter sicherlich gerne ignoriert wird. Und wer kann felsenfest beweisen, dass die Tunnel von einst auch tatsächlich verwaist sind? Die so genannten Mole People (Maulwurfsmenschen) sind etwa in New York kein Märchen, sondern existieren wirklich; Menschen also, die aus den unterschiedlichsten Gründen dem Leben an der Oberfläche abgeschworen haben.

Doch wie reagieren solche Parallelgesellschaften auf unerwarteten Besuch von oben? Eine ziemlich gute Frage – fand wohl auch Nachwuchs-Regisseur Andy Fetscher . Moment mal, ein deutscher Regisseur? Handelt es sich bei Urban Explorer demnach um einen deutschen Genre-Vertreter? Beide Fragen können mit einem klaren »Ja« beantwortet werden und sorgen schon vorab für mildes Staunen, mitunter sogar Zweifeln, da man ein solches Werk wohl vielmehr aus dem US-Sektor erwartet hätte, nicht aber aus Germany. Alleine diese Aspekte machen aus »Urban Explorer« schon etwas Besonderes.

 

Irgendwo nachts in Berlin: Vier internationale Mittzwanziger warten gespannt auf den Deutschen Kris (Max Riemelt), der heute ihr Führer durch die Berliner Unterwelt sein soll. Mit der Aussicht auf vergessene Nazi-Bunker samt authentischen Wandmalereien und vergessenen Überbleibseln taucht die Gruppe ein in eine Welt, die sich so unmittelbar unter den belebten Straßen der Hauptstadt befindet, aber dennoch praktisch in Vergessenheit geraten ist – oder? Just als Kris seinen Begleitern ein paar nähere Umstände mitteilen möchte, prallt die Gruppe mit ein paar höchst unsympathischen Zeitgenossen aneinander: Neo-Nazis, wie Springerstiefel und Bomberjacken unverkennbar verdeutlichen. Ein Kampfhund darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Trollend suchen die zwei Nazis (einer der beiden wird übrigens von Andreas Wisniewski dargestellt, der unter anderem schon James Bond und Ethan Hunt das Leben schwer gemacht hat) allerdings kurz darauf das Weite, als ihre vermeintliche Attacke zum Rohrkrepierer wird. Die Laune schmälern tut dieser Zwischenfall allerdings nur sehr geringfügig. Dafür ist die Belohnung umso größer, nachdem Kris seinen heutigen Begleitern tatsächlich ein wahres Stück authentischer, (un)rühmlicher Vergangenheit präsentieren kann. Ein dummer Fehler der Französin Marie (Catherine de Léan) lässt die Expedition unter Tage aber abrupt in einem Fiasko enden. Schwer verletzt findet sich Kris am Boden eines Schachtes wieder, ohne Handyempfang, ohne erfahrene Unterstützung. So kann er nur hoffen, dass Marie und Juna (Brenda Koo) auch wirklich und vor allem rechtzeitig den Weg zurückfinden, während Marie und ihr Freund Denis (Nick Eversman) dem Verletzten beiseite stehen. Nicht lange, bis Schritte ertönen. Allerdings handelt es sich nicht um die beiden Mädchen, sondern um einen grimmigen, ungepflegten Mann (Klaus Stiglmeier), der sich als Armin vorstellt und mithilfe von Denis den ohnmächtigen Kris nach oben hievt. Mit dem Versprechen auf Hilfe schleppen sie ihn durch ein wahres Labyrinth, ehe in Armins unterirdischer Bleibe vorerst Quartier aufgeschlagen wird. Dabei stellt sich heraus, dass der brummige Eremit gar nicht mal so sehr ein übler Kerl zu sein scheint – oder?

 

»Besonders« – diese Beschreibung wurde bereits zuvor verwendet und findet auch jetzt erneut Gebrauch. Denn, ganz ehrlich, hätte man von einem deutschen Horrorthriller vieles erwarten können, nicht aber so ein konstant hohes Niveau. Wo der überwiegende Teil von Fetschers Kollegen durchaus gute Ansätze, aber leider sehr absehbares Talent besitzt, macht der gebürtige Münchner bis auf wenige Kleinigkeiten alles richtig. Alleine schon die unterirdischen Sets (man filmte übrigens überwiegend an Originalschauplätzen) sind neu und wunderbar unverbraucht, wenngleich Armins Behausung mitunter ein wenig den Folterstätten aus dem ersten Saw-Film (1994) ähnelt, was aber nun wirklich kein Grund für erhobene Zeigefinger und/oder ernüchterndes Kopfschütteln sein soll. Schlagartig ist man fasziniert von diesen verfallenen und vergessenen Zeitkapseln, die das künstliche Licht der Taschenlampen noch bizarrer werden lässt. Lange Zeit ist dies die starke Trumpfkarte des Films, bevor Fetscher mit dem Erscheinen des früheren ostdeutschen Grenzsoldaten Armin andere Saiten aufzieht und die Handlung fortan auf dem härteren Thriller-/Slashersektor ausgetragen wird.

Klaus Stiglmeier, dessen markantes Profil bislang überwiegend in Vorabendserien und TV-Filmen zur Geltung kam, zeigt fortan, was in ihm steckt. Mal sehr ambivalent, mal abgrundtief diabolisch gibt er hier einen klassischen Bösewicht und überzeugt vollends. Vage mag man sich bei seinem Charakter an den Kannibalen aus dem britischen Schocker Tunnel der lebenden Leichen (1972) oder dessen Hommage Creep (2004) erinnert fühlen, doch alleine der deutsche Kontext trägt Sorge, dass der Einsiedler Armin weder zum 08/15-Übeltäter verkommt noch in Klischees ertränkt wird. Allerdings ist »Urban Explorer« keineswegs zur One Man-Show verkommen. So international die Gruppe im Film, so global stellt sich auch die Besetzung heraus, die besonders mit der Australierin Nathalie Kelley (u. a. The Fast and the Furious: Tokyo Drift, 2006) und dem Amerikaner Nick Eversman (u. a. The Runaways, 2010) erstaunlich hochgradig besetzt wurde; gerade in deutschen Werken ja eher eine Seltenheit. Doch zurück zu Regisseur Fetscher, dessen bemerkenswertes Gespür »Urban Explorer« auf einen internationalen Rang hieven.

Praktisch ohne Durststrecken schnurrt seine Arbeit wie ein bestens funktionierender Motor. Unnötige Schnitte? Ebenso Fehlanzeige wie moderner Einstellungsschnickschnack. Wenn es ungewöhnliche Bilder oder Wackelkameraaufnahmen zu sehen gibt, dann dienen sie ausschließlich als erzähltechnische Unterstützung und keinesfalls, um einfach nur cool auszusehen. Ferner weiß der Mann, wie man die drögen und längst bis zum Erbrechen verwendeten Genre-Klischees richtig umschifft. Einen weiteren Stern gibt es außerdem für die ganz wunderbar gelungene, einfach tolle Farb- und Lichtpalette, die dem Ganzen zusätzliche Atmosphäre verleiht und besonders auf dem Medium Blu Ray großartig zur Geltung kommt. Auch dies eher eine Seltenheit innerhalb des deutschen Filmapparats. Einziger Wermutstropfen der blauen Scheibe: die spärlichen Extras, die sich leider nur auf ein paar Trailer sowie ein viel zu kurzes Making Of beschränken. So eine fesche Doku über die Berliner Tunnelwelt wäre jedenfalls nett gewesen …

Zum Schluss allerdings noch eine kleine Warnung: Ähnlich wie es Quentin Tarantino bei seinen Inglorious Basterds (2009) vorgemacht hat, wird auch in »Urban Explorer« fast ausschließlich in der Muttersprache geredet. Soll heißen: Untertitel lesen. Ich fand diesen Aspekt authentisch und kaum störend, wohingegen andere sicherlich eine andere Meinung haben könnten.

 

Fazit:

Andy Fetscher – diesen Namen sollte man sich merken. Mit seinem Zweitwerk »Urban Explorer« erreicht der junge deutsche Regisseur eine Qualität, die sich keineswegs vor der vermeintlich übergroßen internationalen Konkurrenz zu verstecken braucht. Sicherlich kein innovatives Meisterwerk, aber auf jeden Fall ein exzellenter Vertreter seiner Gattung – und das aus deutschen Landen! Spannend, unheimlich, bizarr, faszinierend und mitunter knallhart. Dickes Lob und ganz klare Empfehlung!

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404181644518559831e
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BR:

Urban Explorer

BRD/USA, 2011

Regie: Andy Fetscher

Format: Widescreen

Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1)

Untertitel: Deutsch

Region: Region B/2

Bildseitenformat: 16:9 - 2.35:1

Umfang: 1 BR

FSK: 18

Universum Film, 9. März 2012

Spieldauer: 94 Minuten

 

ASIN (Blu Ray): B005EJIJ28

ASIN (DVD): B005EJIJ32

 

Erhältlich bei Amazon

 

Darsteller:

Max Riemelt

Nathalie Kelley

Nick Eversman

Klaus Stiglmeier

Catherine de Léan

Brenda Koo

Andreas Wisniewski


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Erstellt: 01.04.2012, zuletzt aktualisiert: 10.09.2023 10:58, 12429