Druckversion: Verdammt heiß hier (Autor: Christian Weis)

Verdammt heiß hier

Autor: Christian Weis

 

Als Katja an der Milchglastür zur Männerdusche vorbei kam, hörte sie Wasser rauschen. Sie hielt kurz inne und zog den Knoten in ihrem Badetuch fester, das sie sich um den Körper gewickelt hatte. Eilig setzte sie ihren Weg durch den gefliesten Korridor fort.

Besonders wohl fühlte sie sich dabei nicht. Es war schon ziemlich spät, und die meisten Gäste hatten das Squash-Center bereits verlassen. Normalerweise ging Katja nach dem Sport zusammen mit ihrer Freundin in die Sauna, aber Sabine hatte Nachtdienst und war inzwischen auf dem Weg ins Altenheim. Katja verspürte nicht die geringste Lust, alleine vor sich hin zu schwitzen. Sabine hatte ihr jedoch so lange zugesetzt, bis sie schließlich nachgegeben hatte. »Stell dich nicht so an, Katja!«, hatte Sabine augenrollend gedrängt. »Du kannst doch auch ohne mich in die Sauna. Es frisst dich schon keiner!«

Von wegen.

Mit einem Mal befiel Katja das Gefühl, beobachtet zu werden. Ihre Schritte verlangsamten sich, und sie hielt unwillkürlich den Atem an. Ein flüchtiger Blick über die Schulter zeigte ihr einen verwaisten Flur. Keine Menschenseele war zu sehen. Niemand hatte sie angegafft.

Katja runzelte die Stirn. Sie hatte die Blicke beinahe körperlich gespürt. Obwohl hier gut eingeheizt war, überlief ein Schauder ihren Rücken. Mit schnellen Schritten brachte sie den Korridor hinter sich und betrat den Saunatrakt, in dem es angenehm nach Lavendel duftete. Das Licht in den Kabinen war aus. Also keiner mehr da. Das flaue Gefühl in der Magengegend blieb.

Unschlüssig stand Katja vor den drei Holzkabinen, dann gab sie sich einen Ruck und drückte auf den Lichtschalter für die Damensauna. Nichts tat sich. Sie tippte mehrfach auf den Schalter, aber ohne Erfolg. Während ihr ein leiser Fluch entfuhr, wanderte ihr Blick langsam zu dem Symbol über der mittleren Tür, das stilisierte Männlein und Weiblein zeigte. Sollte sie vielleicht …

Sei kein Frosch, Katja! Um diese Zeit kommt vermutlich sowieso niemand mehr. Geh rein!

Das Licht in der gemischten Sauna funktionierte. War das ein Fingerzeig?

Also dann …

Bevor Katja die Tür öffnete, blickte sie sich noch einmal um. Achselzuckend betrat sie die geräumige Kabine und kletterte auf die obere Sitzbank. Schon bald drang ihr der Schweiß aus allen Poren, und das zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haar klebte ihr im Genick. Sie leckte sich über die Lippen und registrierte den salzig-sauren Geschmack. Nur widerstrebend löste sie den Knoten in ihrem Handtuch und ließ es nach unten gleiten. Dabei betrachtete sie prüfend Bauch und Schenkel und befand, dass alles straff – na ja, ziemlich straff – und einigermaßen in Form war. Die Plackerei beim Squash musste sich schon lohnen. Halbwegs zufrieden hob Katja den Kopf – und erschrak bis ins Mark.

Die Tür schwang auf, und ein dunkelhaariger, groß gewachsener Mann betrat die Kabine. Er trug ein schmales Handtuch um die Hüften, das gerade das Nötigste bedeckte. Seine fast schwarzen, akkurat kurz geschnittenen Haare glänzten vor Nässe. Er sah verteufelt gut aus. Lächelnd nickte er Katja zu und nahm ihr direkt gegenüber Platz.

Katjas Blick fiel für Sekundenbruchteile auf die kleine Wölbung in seinem Handtuch, bevor sie zusammenzuckte. Hastig drehte sie den Kopf, starrte verschämt durch das Guckloch in der Tür und tat so, als interessiere sie sich für das, was draußen vorging – oder nicht vorging. Lange hielt sie das jedoch nicht durch, und schließlich schielte sie möglichst unauffällig zu dem Mann hinüber.

Sein Blick ruhte auf ihren Brüsten, und er machte auch keine Anstalten, woanders hinzusehen.

Katja griff unwillkürlich nach ihrem Handtuch und zog ein Ende über den Schoß. Sie traute sich aber nicht, auch ihren Busen zu bedecken. Wollte ihm nicht zeigen, dass sie seinen aufdringlichen Blick bemerkt hatte. Auf der anderen Seite – das schien ihm völlig egal zu sein.

»Sind Sie öfters hier?«

Seine Frage schnürte Katjas Kehle zu, versetzte ihr einen Stich in die Magengegend. »W… Wie bitte?« Sie erschrak über ihre eigenen Worte, und das Stottern war ihr höchst peinlich.

»Entschuldigen Sie«, sagte der Mann mit einer, wie Katja zugeben musste, äußerst sympathischen Stimme. »Ich wollte nicht neugierig sein. Ich habe mir nur überlegt, ob ich Sie hier schon mal gesehen habe.«

»Ich, äh … also …«

Er hob beschwichtigend die Hände. »Sie haben absolut Recht! Es geht mich nichts an – verzeihen Sie bitte.«

Knisternde Stille machte sich in der Kabine breit. Er schaute ihr in die Augen, und Katja blickte in eine schier endlose, leuchtendblaue Tiefe, in der sie sich beinahe verlor.

»Nein, nein«, stammelte sie, »ich, äh … ich muss mich entschuldigen.« Nach der ersten Schrecksekunde fing sie sich allmählich wieder. »Ich war noch nicht sehr oft hier. Bis vor ein paar Wochen hab ich mit meiner Freundin immer im Squash-Center hinter dem GUTKAUF gespielt. Aber dort wird zurzeit renoviert.«

»Aha, und da sind Sie hierher ausgewichen«, sagte er lächelnd, »ins Asyl sozusagen.« Der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht und sammelte sich in seinem Kinngrübchen, bevor er heruntertropfte. Ungewöhnlich viel Schweiß.

»Ja, so könnte man es ausdrücken.« Katja erwiderte das Lächeln unsicher. »Genau.«

»Gefällt es Ihnen hier – Ihnen und Ihrer Freundin?«

Katja nickte. »Ja, hier ist es geräumiger, und natürlich moderner. Aber leider ist es auch teurer – viel teurer.«

Er schien nachzudenken, schließlich fragte er: »Kommt Ihre Freundin auch noch?«

Katja hob die Augenbrauen unmerklich an. Hatte er sie und Sabine vielleicht doch schon hier gesehen – und möglicherweise heimlich beobachtet? »Nein«, erklärte sie zögerlich. »Eigentlich ist sie es immer, die nach dem Squash noch in die Sauna will, aber heute musste sie früher weg.«

Der Fremde wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Katja registrierte erstaunt, dass die linke Augenbraue, über die er mit der Hand gestrichen war, gegenüber der rechten leicht verschoben aussah. Nur leicht, aber eben doch verschoben.

Katja straffte den Rücken. Ihr Blick konzentrierte sich auf seine Stirn. Ein Teil der Augenbraue sank tiefer. Langsam, aber eindeutig. Schweiß rann ihm über den Nasenrücken und tropfte auf sein Handtuch. Katja folgte einem fallenden Tropfen mit dem Blick, bis sie auf das Handtuch starrte und einen roten Fleck entdeckte.

»Sie spielen also regelmäßig Squash«, stellte der Fremde fest.

Katja hob irritiert den Kopf. »Ich … äh – ja, seit fast zehn Jahren.«

Der Kerl musterte sie ungeniert. »Sie sehen sehr sportlich aus, wenn ich das bemerken darf.«

Katja zog krampfhaft die Mundwinkel hoch, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, nur die Karikatur eines Lächelns zustande zu bringen. Sie konnte beobachten, wie die Braue neben seinem Auge herunterrutschte und auf dem Wangenknochen verharrte. Das winzige Haarteil hatte auf seinem Weg einen wässrig-roten Streifen hinterlassen. Katja schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte. Als nächstes entdeckte sie die kleine Furche, die der Schweiß in den Nasenrücken des Fremden gegraben hatte.

»Ich selbst spiele noch nicht so lange«, fuhr er unbekümmert fort. »Vielleicht könnten Sie mir ja noch ein paar Kniffe beibringen.« Er blinzelte ihr zu, dann segelte die Braue herunter.

Katja erstarrte. Nach einer kleinen Ewigkeit presste sie ein »Ja, vielleicht!« hervor und schob sich ein Stück zurück Richtung Kabinenwand, bis ihre Kniekehlen gegen die Sitzbank stießen.

»Das wäre nett«, sagte der Fremde. Er lächelte unentwegt und zeigte Katja sein gepflegtes, strahlendweißes Gebiss. Oder waren seine von der Hitze fleckig gewordenen Lippen so stark verformt, dass er sie nicht mehr ganz schließen konnte?

Katja traute ihren Augen nicht und senkte für einen Moment die Lider. Es ist zu heiß hier drin, sagte sie sich. Viel zu heiß! Und du hast eine absolut überreizte Fantasie. Doch als sie die Augen wieder öffnete, präsentierte sich ihr das gleiche Bild. Die Lippen hatten ihre ursprüngliche Form verloren und schienen zu zerlaufen wie Stracciatella in der Julisonne. Die dunklen Flecken, die vor allem die Oberlippe zierten, bildeten Schlieren. Als Katja bemerkte, dass sich nun auch die zweite Augenbraue auf Wanderschaft machte, stöhnte sie auf.

»Wenn Sie in den nächsten Tagen mal Zeit haben«, sagte der Fremde und starrte wieder auf Katjas Busen, »könnten wir ja mal ein Spielchen wagen.«

Jetzt zog Katja mit einem Ruck ihr Handtuch hoch und verknotete die Enden vor der Brust. Sie hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen, und wenn sie nicht so perplex gewesen wäre, dann wäre sie aufgestanden und gegangen. Stattdessen wurde sie Zeugin, wie die zartrosa verfärbten Nasenflügel des Fremden einsackten wie Luftballons, denen die Luft entwich. Die Nasenlöcher waren bald nur noch zu erahnen.

»Ziemlich heiß hier«, sagte er gedehnt, »finden Sie nicht auch?«

Mit geweiteten Augen stellte Katja fest, dass seine rechte Augenbraue schon fast bis zum Kinn heruntergerutscht war. Der Schweiß überzog seinen Körper mittlerweile in breiten Bächen.

Katjas Hände verkrallten sich in die Sitzbank. Dabei brach ein Fingernagel ab. Ihre Schultern verkrampften und bereiteten ihr stechende Schmerzen. Doch das war nichts gegen die Pein, die sich in ihrer Magengrube ausbreitete.

Die zweite Augenbraue fiel auf sein Handtuch. Aber es war nicht nur die Braue; die Haut, auf der sie gewachsen war, hatte sich gleich mit verabschiedet. Über seinen Augen leuchteten jetzt zwei blutrote Male; darunter dünne Rinnsale, halb Schweiß, halb Blut.

Katja bekam keine Luft mehr. Sie japste wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ihre Schläfen pochten.

Die Lippen des Fremden waren als solche kaum noch zu erkennen. Blutiges Zahnfleisch lugte darunter hervor. Die zähflüssige Lippenmasse quoll auf, floss übers Kinn. Dann begann das linke Ohr zu rutschen.

Katja zuckte heftig zusammen. Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie auf dieses Stückchen Fleisch, das jetzt wie ein Parasit am Kieferknochen klebte. Sie konnte nicht begreifen, wie der Kerl so gelassen bleiben konnte.

Die Ohrmuschel fiel auf die Schulter. Blut rann übers Schlüsselbein.

Katja schlug die rechte Hand vor den Mund und stieß einen erstickten Schrei aus. Sie wollte sich von der Sitzbank schwingen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Als nächstes musste sie mit ansehen, wie sich die Brustwarzen des Fremden auflösten und zusammen mit Blut und Schweiß tiefe Gräben in seine ausgeprägte Brustmuskulatur zogen.

Als das Ohr auf die Sitzbank platschte, wurde Katja schlagartig übel, und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Sie wollte laut schreien, brachte aber nur ein heiseres Krächzen zustande.

»Welche Art von Chläger benutchen Chie eigentlich?«, fragte der Fremde. »Holch oder Kunchtchtoff?«

Jetzt brüllte Katja wie am Spieß. Alle Anspannung entlud sich mit einem Mal. Ihre Schreie überschlugen sich. Gellten durch die Kabine und den gesamten Saunatrakt.

Den Fremden schien das nicht weiter zu stören. Seine rechte Ohrmuschel hatte ebenfalls eine kleine Reise angetreten und plumpste alsbald in die Tiefe. Seine Lippen waren praktisch nicht mehr vorhanden. Um das entblößte Gebiss herum floss ein zäher, rötlicher Brei, und am Kinn bildeten sich Stalaktiten aus Fleisch.

»Ich bevorchuge Holch.«

Katjas Fersen prallten gegen die untere Sitzbank. Kreischend stieß sie sich mit den Füßen ab und stürzte auf den Lattenrost am Boden der Kabine.

»Hm«, brummte der Fremde und schaute nach unten, »vielleicht icht Holch ein bichchen altmodich, wach meinen Chie?« Seine Augäpfel rutschten aus den Höhlen und hingen nur noch an dünnen, gummiartigen Strängen.

Katjas Hinterkopf schlug gegen die Tür. Benommen tastete sie nach oben und suchte den hölzernen Griff. Dabei löste sich der Knoten im Handtuch, und es flatterte zu Boden. Bevor Katja den Türknauf fand, riskierte sie einen letzten Blick auf den Fremden.

Seine Nase war nicht mehr erkennbar. Die ersten Zähne lösten sich aus dem Kiefer und machten sich selbständig. Verflüssigtes Fleisch tropfte auf Schultern und Brust. Die Arme wackelten in den Schultergelenken, und der linke Unterschenkel floss aus dem Kniegelenk heraus und polterte auf den Lattenrost.

»Verdamm heich hie, wach?«

Katja stürzte nach draußen. Stolperte, fiel hin. Rappelte sich wieder auf. Rannte nackt hinaus. Hetzte schreiend und kreischend durch die Umkleide in die Vorhalle. Vorbei an kopfschüttelnden Reinigungskräften und Thekenpersonal in die Kühle der Nacht.

 

© 2005, 2009 by Christian Weis

Erstveröffentlichung in EXODUS 17, Juni 2005

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240424104808d8db1f0d

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, zuletzt aktualisiert: 26.07.2019 10:10