Kinokritik von Kai Bosse
Erinnert sich jemand an den politisch sehr inkorrekten Abzählreim »Zehn Kleine Negerlein«? Damals, als ich ihn zum ersten Mal als Kind hörte, war ich mir der stark-rassistischen Töne darin nicht bewusst, aber fand ihn vor allem niederschmetternd weil nur einer der zehn je eine Chance hatte, durchzukommen – die anderen starben entweder, oder verschwanden.
Nun, diese SFige Film-Variante beinhaltet den gleichen Plot, sich dabei ein wenig mehr der jüdischen Version – »Zehn Brüder« – beugend: Er zeigt uns eine nahe Zukunftswelt, in der, einer massiven Hinzufügung von Nahrungs-Zusätzen folgend, um ersten negativen Entwicklungen der Überbevölkerung entgegen zu wirken, Mehrfachgeburten stark zunehmen in der EU. Gleichzeitig haben viele Staaten ein Ein-Kind-Gesetz wiederbelebt, der chinesischen Vorlage im späteren 20. und frühen 21. Jahrhundert entsprechend.
Noomi Rapace spielt alle Rollen im Siebenling genetisch identischer Schwestern Settmann, deren Mutter bei der Geburt starb, sodass ihr Vater – also der Großvater, dargestellt durch den Kinoveteran Willem Dafoe, der grandios den sehr kümmernden/verzweifelten Opa Settmann spielt – sie verstecken muss, und den Pro-Tag-1-Mädchen-Trick ausheckt, um den Enkelinnen zumindest ein Siebtel eines normalen Lebens zu gönnen; die Schwestern alternieren, wer die Wohnung verlassen darf, wobei alle sieben der Reihe nach einmal die Woche dran kommen. Die Mädchen nehmen außerhalb der Wohnung alle den Namen ihrer Mutter an, Karen, aber innerhalb heißen sie wie die Tage der (englischen) Woche …
Am Ende eines jeden Tages übergibt das Mädchen des aktuellen Tages Infos zu allem was ihr an dem Tag passierte an das des Folgetages, so dass, aus Sicht der Außenwelt, es nur eine »fortgesetzte« Karen Settmann gibt.
Obwohl dies eine fast unmögliche Aufgabe ist in punkto Darstellung jeder glaubhaft unterschiedlichen Schwester, schafft Rapace diesen wohl einmaligen-im-Schauspielleben Fokus bravourös. Die Mädchen haben offensichtlich unterschiedliche Interessen – während Saturday das Fun-Partygirl ist, ist Friday der geistige Nerd, Thursday die vernünftige de-facto-Anführerin die die Krise, in der sie alle – auch die Gesellschaft – sich befinden, schaffen muss.
Abgesehen von interessanten allgemeinen Plotentwicklungen, die Autor Max Botkin in den Film einbettete, finde ich, wie die motivations-bezogene Antwort auf die Filmtitelfrage eine eiserne Regel voraussetzt, an die sich die Schwestern halten müssen damit ihre Irreführung weiterhin funktioniert, gelungen: Haltet zusammen und vertraut allen Geschwistern absolut um am Leben zu bleiben!
Ungefähr zu dem Zeitpunkt als ich zum ersten Mal darüber nachdachte welche Folgen sich ergeben könnten aus dem Plan des Großvaters, ergab sich ganz nebenbei die erste Attacke auf dieses eiserne Gesetz – die kindliche Monday hat einen dummen Unfall, und erzwingt dadurch dass alle ihre Schwestern das gleiche fürchterliche Problemchen nacherleben müssen.
Obwohl der Plot interessierte, zog für meinen Geschmack der Sieben-Kleine-Schwesterlein-Mechanismus die (blutige) Actionphase zu sehr in die Länge. Dadurch erschien der konvolute Weltenbau ein wenig wie ein Alibi für etwas, das hauptsächlich ein harter Hetzjagd-Thriller ist, der dem genannten Mechanismus brutal zum unglücklichen Ende folgt – und der der De-Laurentiis-Familie wieder eine gute Marge einbringt. Auf dem Weg holpert die Jagd dabei über die ein oder andere Plotlücke, z. B. warum es den offensichtlichen Polizeistaat so lange nahm sich den einen Ort, wo alle überlebenden Settmanns sich aufhalten mussten, vorzunehmen.
Aber ich irrte mich. Die doch sehr unschöne Entwicklung dieser Zukunft führt eigentlich ziemlich gerade in Richtung einer großen »wahren Science-Fiction«-Frage, einer überraschenden: Ist Überbevölkerung das wahre globale Problem, das uns früher als alle anderen konfrontiert? (»Klimawandel« wird kaum erwähnt im Film.) Ist eine mögliche Folge eine Art Ökofaschismus – gleichzeitig notwendig wie unmenschlich? Wer sind die wahren HeldInnen dieser Geschichte? Wäre es sogar die Chefin der Kinderzuteilungsbehörde Cayman – brillant wie immer gemimt durch Oscargewinnerin Glenn Close – gewesen, wenn das Drehbuch sie nicht so braun eingetunkt hätte (oder wenn kryonische Technologie etwas besser funktioniert hätte)? Hätte sich Opa Settmann dann als egoistischer Langzeit-Krimineller entpuppt?
Dieser Film brachte mich sogar dazu, online nachzusehen was der aktuelle Stand der Forschung ist bezüglich Überbevölkerung, und es sieht so aus als ob es wahrscheinlich ist, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde, in welche Richtung die Weltbevölkerungskurve kippen wird – katastrophal nach oben, oder netterweise quasi gleich-bleibend/abwärts, jetzt ohne Beihilfe massiven Welthungers!
Hinzu kommt, gen Ende, dass die Frage, die der Filmtitel stellt – in einem gelungenen finalen Plot-Dreh – mit einem kurzen Drei-Wort-Satz beantwortet werden kann. Und es ist dieser romantische Subplot, der den Film für mich rettet – letztendlich agierten alle Settmanns verzweifelt aber grundsätzlich wie gute Menschen. Was Monday geschah war tragisch, aber recht glaubhaft grundiert.
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