Wie das Universum und ich Freunde wurden (Autor: Thomas Wawerka)
 
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Wie das Universum und ich Freunde wurden von Thomas Wawerka

Social Fiction Stories

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Bei Wawerka stehen zwischenmenschliche Beziehungen, Konflikte und Dramen im Mittelpunkt von Geschichten, die mal grotesk, mal klassisch fantastisch, mal surreal, vor allem aber eines sind: unterhaltsam. Wawerka ist ein Autor der leisen Töne - zumindest so lange, bis es kracht und er eine Wendung herbeizaubert, die es in sich hat und die Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit so noch nie gelesen haben. Rechnen Sie damit, zum Nachdenken angeregt zu werden. Erwarten Sie Abwechslung und originelle Ideen. Und seien Sie gewarnt: Die folgenden Stories könnten einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen!

 

Rezension:

Aktuelle deutsche Science Fiction fristet größtenteils ein Nischendasein. Allerdings ist es eine gut gedüngte Nische aus der immer wieder kräftige Triebe empor sprießen.

Thomas Wawerka ist so ein Spross. Das enthusiastische Vorwort von Andreas Eschbach kann durchaus als Ritterschlag bezeichnet werden, denn Eschbach schreibt so etwas weder oft noch leichtfertig. In seinem Vorwort kokettiert er mit seinem Unvermögen, derartiges schreiben zu können und nutzt so charmant die Möglichkeit Wawerkas Stärken in den Vordergrund zu rücken. So wird eine große Erwartungshaltung aufgebaut, ganz besonders in Hinblick auf die gelobten Umschwünge. Doch sehen wir selbst:

 

Die Mutter des Abends

Die Geschichte einer Frau, die von einer Welt in die verfeindete andere reist. Symbolträchtig als Morgen und Abend benannt, stehen sie in starkem Widerspruch zu einander. Die Frau kommt als Asylsuchende, wird von der Polizei schikaniert und setzt sich mit weiblichen Mitteln zur Wehr. Doch sie will nicht nur ihren Platz in der Welt des Abends finden, ihre Absichten liegen tiefer ...

Die Handlung lebt von ihrer Stimmung. Die sehr sensibel beobachtete Frau lässt den Leser zunächst nicht los, bis man den ersten Umschwung verkraftet hat. Danach wird die Story leider etwas absehbar. Es ist immer problematisch, sich eine ätherische Einflussnahme einer ganzen Gesellschaft vorzustellen. Die Protagonistin wandelt sich schnell, man kann nicht unterscheiden, wo sie indoktriniert ist und was aus ihr selbst heraus kommt. Letztlich tauscht sie eine Fremdbestimmung gegen eine andere. Wir erfahren wenig über die tatsächlichen Werte und Wünsche der Frau, vielmehr wird offenbar, was ihrem Leben bisher fehlte und so stellt sich dem Leser die Frage, ob die Mutter des Abends eine kluge Entscheidung traf, als sie die Zukunft einer Gesellschaft in die Hände einer deformierten Persönlichkeit legte.

Mit dieser nachdenklichen und ambivalent lesbaren Kurzgeschichte eröffnet der Autor tatsächlich sehr anspruchsvoll die Sammlung.

 

Hippokratisches Gleichnis

Der Held einer Marsmission wacht im Krankenhaus auf. Diverse Körperteile mussten entfernt werden und plötzlich erlebt er seltsame Sachen, mit sich und seiner Umwelt. Ist es Chaos, wird er verrückt? Nach und nach offenbart sich jedoch das ganze Ausmaß des Problems. Nicht alle Organe starben. Einiges, das sterben sollte, überlebte, wuchs ...

Ein sehr intensiver Text mit einer rasant geschriebenen Hauptfigur. Wie der Autor selbst angab, versuchte er die Differenzierung auch im Text deutlich zu machen, allerdings verwischt das Absurde der Situation die stilistischen Wechsel.

Vielleicht ist die Unterscheidung der Figuren auch gar nicht wichtig. Das wechselnde Chaos ist mal trotz der Schnoddrigkeit berührend, mal abstoßend durch die kühle Sachlichkeit. Es wird eine kleine Menschwerdung beschrieben. Die medizinischen Probleme weiten sich durch ihre ethischen Fragen. Es geht nicht nur darum, wem gehört lebender Abfall, sondern auch darum, was darf Medizin können. Ein rundum gelungener Text.

 

Wie das Universum und ich Freunde wurden

Die Titelgeschichte ist eine kleine Groteske in der ein Mann dem personifizierten Universum begegnet und sich ihre Probleme erzählen.

Ein kurzer Text zum Schmunzeln oder Kopfdurchpusten.

 

Begegnung auf Golgatha

Wenn eine Geschichte in der Sammlung verdeutlicht, wie befruchtend die theologische Ausbildung des Autors für sein Schaffen ist, dann diese.

Die Verbindung von Gottesstrafe, Sühne und ewiger Verdammnis mit einem der tragischsten Ereignisse unserer Zeit schlägt erst mit dem letzten Satz richtig zu. Bis dahin folgt man der Story über den ewigen Wanderer, dem Brudermörder und seinem Vermächtnis eher ratlos. Aber dann schließen sich Teile zu einem Ganzen zusammen und man beginnt zu grübeln, ob der hochdramatische Wendepunkt zu eine Bedeutungsaufladung führt, oder ob sie schon da war und man nur zu blind, sie zu sehen.

 

Die Göttin des Überflusses

Wenn man die Wahl hat zwischen wenigen, glücklichen Tage und einem qualvollen Leben, kommt man schnell in hochphilosophische Bereiche. Wawerka entwickelt eine Art Rückkopplung zur Schöpfungsgeschichte, indem er den Akt des Entstehen eines Kunstwerkes mit der Existenzfrage verbindet. Der vage dystopische Hintergrund entrückt die Handlung und erhöht damit die Unwirklichkeit.

 

Gezählte Tage

Im einführenden Text schreibt der Autor, dass er eine Art Story in Joe Haldemanns Der ewige Krieg entwerfen wollte und auch Joseph Conrads <link>Herz der Finsternis wird in der Story nicht ohne Grund erwähnt und damit ein Bogen bis hin zu »Apokalypse now« geschlagen.

Leider gewinnt die Story keine tieferen Züge, sondern bewegt sich in konventionellen military SF Bahnen.

 

Advent: Ankunft

Auch dieser Text beschäftigt sich mit einer Apokylypse. Eine zwar berührende und sehr emotional erzählte Story, aber wieder eher nach Schema F ein Auszug aus der Zivilisation, Stumpfe Opfer inklusive. Vielleicht liegt der Thematik, wie der Titel vermuten lässt, noch eine weitere ethische Ebene zugrunde, die sich aber dem Text nicht so leicht entnehmen lässt.

 

Der alte Mann und das Glück

Wir erleben eine seltsame Frau, die im Pflegedienst arbeitet und dabei mit einem ebenfalls komischen Alten konfrontiert ist, der von Außerirdischen faselt.

Eine stille, eindringliche Geschichte über den Tod. Es verschränken sich zwei Lebensgeschichten, beide irgendwie an einem Ende angekommen, doch noch lange nicht fertig mit dem Leben. Es geht auch um Hoffnung, Verdrängen und Bewältigung - sehr feinfühlig und gekonnt mit einem SF-Thema verknüpft. Ein wirklich großartiger Text.

 

In Wir könnten Kolumbus fragen setzt sich der Autor mit fehlgeleiteten Computerprogrammen auseinander und entsprechenden Konsequenzen für die betroffenen Menschen. Die konstruiert wirkende Story leidet an blassen Figuren, die unverständlich agieren. Der Hintergrund setzt sie in einen viel zu groß angesetzten Kontext, der für den zweiten Teil der Story zudem belanglos ist.

 

Animal Farm

Während einer Reportage erfahren wir von Resozialisierungen, die Straftäter durch den Einsatz von Tieren verändern sollen.

Den Twist sieht man bei dieser klassischen Pointen-Story schnell voraus, das zentrale Motiv der journalistischen Berichterstattung verleiht der Geschichte keinen besonderen Spannungsbogen, sodass es als Stilmittel verpufft.

 

Auf der nächsten Stufe hingegen stellt einen deutlichen stilistischen Bruch dar.

Zwar gibt sich die Handlung zunächst als weitere Dystopie nach einer einschneidenden Katastrophe aus, Wawerka erzählt sie aber psychologisierend und recht deutlich mit der Autorenkeule schwingend. Dabei entsteht eine zynische Melancholie, die den Text trägt und in Erinnerung hält.

 

Routinejob

Als eine Art Nichtstory vorgestellt, lässt Wawerka in dieser schrillen Geschichte seiner Fantasie freien Lauf. So entsteht ein bunter Salat aus allerlei Ideen und schrulligen Einfällen. Locker und flockig geschrieben ohne auf die einzelnen Teile besonders intensiv einzugehen. Eine Geschichte auf deren Grundlage man eine ganze Kosmologie gründen könnte.

 

Auf der anderen Seite

Auch diese Geschichte erschient in einer Ausgabe des Magazins Nova.

Wawerka nimmt sich Zeit eine Stimmung und Umgebung aufzubauen, die bis hin zur komplexen Mutter-Sohn Beziehung detailreich beschrieben ist und eine intensive Stimmung erzeugt.

Aber im zweiten Teil wirft Wawerka diese sorgfältig aufgebaute Situation in eine Parallelweltstory, die diese Qualität nicht mehr erreicht und durch einen wenig überzeugenden Schluss letztlich enttäuscht. Zwar ist weder der Twist noch die Figurenkonstellation beliebig oder banal, aber man hat das Gefühl das Anfang und ende nicht zusammenpassen.

 

Auch wenn kein Höhepunkt die Sammlung beendet, muss man nach Abschluss der Lektüre Andreas Eschbach zustimmen. Die Geschichten von Thomas Wawerka werfen Fragen auf, die weder leichte Antworten ermöglichen, noch irrelevant sind. Oft ist es ein eindringliches Betrachten einer normalen Situation, die das Phantastische zum Greifbaren macht, zum Persönlichen. So ist nicht die Überraschung selbst das herausragendste Merkmal der hier versammelten Texte, sondern die eigene Reaktion auf die hinterfragte Situation.

 

Der Fabylon Verlag fand für die Herausgabe der Texte eine mehr als ansprechende Präsentation. Sowohl die thematische Gliederung als auch die prägnanten Illustrationen von Yvonne Dick stellen ein würdigen Rahmen für die Geschichten dar.

Nur ein Inhaltsverzeichnis fehlt zum perfekten Leser-Glück.

 

Fazit

Thomas Wawerka beweist sich in dieser Sammlung seiner SF-Kurzgeschichten als einfühlsamer Autor, der weder vor großen noch vor kleinen Fragen zurückscheut. So bietet »Wie das Universum und ich Freunde wurden« vor allem nachdenkliche, aber auch vergnügliche Lektürestunden.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240424102723020eefb4
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Buch:

Wie das Universum und ich Freunde wurden

Social Fiction Stories

Autor: Thomas Wawerka

Taschenbuch, 261 Seiten

Fabylon, März 2011

Vorwort: Andreas Eschbach

Cover und Illustrationen: Yvonne Dick

 

ISBN-13: 978-3927071346

ASIN: 392707134X

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Inhalt:

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Die Mutter des Abends

Hippokratisches Gleichnis

Wie das Universum und ich Freunde wurden

Begegnung auf Golgatha

Die Göttin des Überflusses

Gezählte Tage

Advent: Ankunft

Der alte Mann und das Glück

Wir könnten Kolumbus fragen

Animal Farm

Auf der nächsten Stufe

Routinejob

Auf der anderen Seite

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Erstellt: 16.05.2011, zuletzt aktualisiert: 22.04.2024 09:04, 11813