Winnetou: Edelmann der Superlative
 
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Winnetou: Edelmann der Superlative

Artikel von Karin Reddemann

 

Karl May proudly presents: Winnetou leibhaftig. Überirdisch gut. Ein herrlicher Mann mit reiner Seele, hinreißender Redner von tadelloser Gestalt mit schmaler, elastischer Taille und breiten, kräftigen Schultern, sanft gebogener Nase und ungeheuerlicher Macht in den dunklen, ehrlichen Augen … der Schnitt seines ernsten, männlich schönen Angesichtes fast römisch zu nennen, die Farbe seiner Haut ein mattes Hellbraun, mit einem leisen Bronzehauch übergossen, am Hals eine dreifache Kette von Krallen der Grizzlybären, welche er mit Lebensgefahr selbst erlegt hatte …

 

Karl May (1842 – 1908), mit Geschichten über fremde Kulturen, phantastische Abenteuer und große Helden berühmt geworden, ist des absoluten Lobes voll, wenn er Winnetou beschreibt. Da gibt’s kein wenn und aber, Winnetou ist makellos.

 

»Ich habe ihn mitten unter Häuptlingen gesehen, welche alle mit den Federn des Kriegsadlers geschmückt waren und sich auch sonst mit allen möglichen Trophäen behangen hatten; seine königliche Haltung, sein freier, ungezwungener, elastischer und doch so stolzer Gang zeichneten ihn doch als den edelsten von allen aus.«

Sehnen, Schmachten und Seufzen

Solch ein Prachtkerl kann freilich einfach nicht echt sein. Nicht als Gesamtpaket, und das gilt als allgemeingültiger Erfahrungswert. Er ist es halt auch nicht. Bei all unserem, – im Kontext höchst verständlichen –, Wohlwollen, Sehnen, Schmachten und Seufzen muss halt streng betont sein: Winnetou ist nicht wirklich echt. Der berühmte Häuptling der Mescalero-Apachen steht für ein reines Kopfprodukt. Leider betretener Punkt. Und dass ich den hier derart beherrscht setze, ist Beweis dafür, dass ich im letzten Jahrtausend wohl doch höchstgradig erwachsen geworden bin. Wäre mir vor hundertfünfzig Jahren gesagt worden, dass Winnetou die Erfindung eines Mittelklasse-Halunken mit erstaunlich guter Tinte im (»Indianer«-)Blut sei, hätte ich das, entsprechend empört, als gemeine Verleugnung abgetan.

Halunke mit Tinte im Blut

Keine Verleugnung. Schade zwar, aber kein Drama. Immerhin hat dieser Mittelklasse-Halunke namens Karl May uns allen Oberklasse-Unterhaltung geschenkt: Mit Durchs wilde Kurdistan (1892). Ohne Winnetou. Mit Der Schatz im Silbersee (1890, 1962 verfilmt von Harald Reinl). Old Surehand (Trilogie:1894 bis 1897). Mit Old Shatterhand und dessen indianischem Blutsbruder Winnetou (Winnetou-Trilogie: 1893, wurde 1963 (I), 1964 (II) und 1965 (III) ebenfalls verfilmt von Harald Reinl), einem wahren Superedelmann, der schon mal dazu neigen lässt, etwas verschmust zu werden. Karl May:

 

»Einen Bart trug er nicht; in dieser Beziehung war er ganz Indianer. Darum war der sanfte, liebreich milde und doch so energische Schwung seiner Lippen stets zu sehen, dieser halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen, welche der süßesten Schmeicheltöne ebenso wie der furchterweckendsten Donnerlaute, der erquickendsten Anerkennung gleich so wie der schneidendsten Ironie fähig waren.«

 

May, der einige Jahre wegen Diebstahls und Betruges hinter Gittern verbracht und diese Zeit dafür genutzt hatte, viel zu lesen, zu erfinden und aufzuschreiben, war nicht nur ein bemerkenswerter Schriftsteller. Er war gleichsam ein Lügner und Hochstapler, der sich selbst als »Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand« vorstellte und das auch ungeniert auf Visitenkarten drucken ließ. Shatterhand als Ich-Erzähler bot sich natürlich als Identifikation hervorragend an, immerhin wollte May, dass man ihm bedingungslos abnahm, alles aus erster Quelle zu kennen und zu wissen. Er gab sich als welterfahrener, lebensnah gebildeter Abenteurer aus, vertraut mit den Sprachen der Sioux, Komantschen, Utahs, Kiowas und Apachen nebst arabischen und südamerikanischen Dialekten und natürlich den ganz »normalen« Sprachen wie Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch …

Wunderbare Freundschaft

… und er behauptete, all seine Geschichten, die zuerst als Fortsetzungen in Heften und Zeitschriften, später dann als Romane erschienen, seien hieb- und stichfest, da er selbst dabei gewesen sei. Nicht als Statist, sondern als Held mit Henrystutzen und Bärentöter, – die berühmten Gewehre von Old Shatterhand –, am Sattel von Hatatitla. Als Indianerexperte und Vertrauter. Als Blutsbruder Winnetous.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft (Winnetou I, 1893):

 

»Wir betrachteten einander mit einem langen, forschenden Blicke, und dann glaubte ich, zu bemerken, daß in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet.«

 

Fürwahr glatt poetisch. Winnetou war auch für uns damals wie der Lichtstrahl am Horizont. Wenn er, – mal wieder und endlich, endlich wieder … –, im Fernsehen lief und wir gucken durften, obwohl eigentlich noch zu klein und unschuldig für wilde Männer. Für uns war er authentisch. Gleichzeitig als Indianer natürlich einmalig. Er skalpierte, entführte, marterte, meuchelte nicht. Nie. Er war der beste Gute von allen. Mit dem besten Pferd: Iltschi, schwarz, schön und schnell. Dem besten Gewehr: Der Silberbüchse, doppellläufig, an den Holzteilen mit silbernen Nägeln beschlagen, niemals ihr Ziel verfehlend. Dem besten Freund: Old Shatterhand. Der hinreissendsten Schwester: Nscho-tschi, »Schöner Tag«.

Das nüchterne, wichtige Wissen um alles kam später und früh genug, brachte vernünftige Erkenntnis und Einsicht, schmälerte aber nicht die Begeisterung. Winnetou war ein Traum-Indianer. Na und? Peterchen flog auch nicht mit Apollo 11 auf den Mond.

Der schöne Franzose

Es gab keinen wie Winnetou, und trotzdem ich schwer verliebt in Silberpfeil, den Comic-Kiowa-Häuptling, war, – auch Chingachgook (Pierre Massimi) aus dem Lederstrumpf-Vierteiler von 1969 darf wohlwollend genannt sein –, war da zweifellos niemand, der Winnetou an Edelmut und Stärke das Wasser reichen konnte. Keinen, der so ungemein schön und zugleich so männlich war, wie sich eben bereits auch hoffnungsvolle kleine Mädchen Männlichkeit vorstellen. Und daran glauben bis zur Ernüchterung.

Unwesentlich, dass er, wie man es als durchaus aufgewecktes Kind bereits hier und da munkeln hörte und wohl auch irgendwie wusste, in zivil Franzose mit Fassonschnitt und Gitanes in der Jackentasche war und Pierre Brice hieß. Das interessierte nicht. Das war auch nie wirklich wichtig. Der schöne Franzose war Winnetou. Und Winnetou war der schöne Indianer. So einfach.

 

Winnetou, – mit o-u sehr schnell hintereinander als Diphtong –, bedeutet soviel wie »Brennendes Wasser« und klingt wie das stimmungsvolle Versprechen, diesen Namen auf ewig zu tragen. Pierre Louis Baron Le Bris (Pierre Brice) starb 2015 im Alter von 86 Jahren in Paris. Und die Medienwelt titulierte traurig: Die Winnetou-Legende, der Winnetou-Darsteller, der Mann, der Winnetou war, der wahre Winnetou. Pierre Brice ist tot.

Ein Leben als Winnetou

Es gibt deutlich schlechtere Gründe, einen Menschen in Erinnerung zu behalten. Christopher Lee war Dracula. Boris Karloff das Monster. Roger Moore James Bond. Die Monroe war DIE Monroe als Bild für jeden Traum. Brice war Winnetou. Damit musste er klar kommen, seitdem er sich 1963 für den »Schatz im Silbersee« frei nach Karl May, in die Maske begeben hatte, um den wortkargen jungen Sohn des großen Apachen-Häuptlings Intschu tschuna = »Gute Sonne« zu spielen. Entdeckt hatte den damals 34Jährigen Produzent Horst Wendlandt, der in dem zurückhaltenden, attraktiven Franzosen die Idealbesetzung für den »roten Bruder« von Old Shatterhand (Lex Barker) sah. Ein Volltreffer.

 

Trotzdem: Brice, der in seiner Heimat vorrangig als Model und nur für unbedeutende Film-Rollen gebucht wurde, – er galt zu sehr als Alain-Delon-Typ, und so einen hatte man bereits in Vollendung –, war anfangs skeptisch. Er sprach kein deutsch, – viel Text war eh nicht –, reiten konnte er nicht, – das brachte ihm Lex Barker bei, die beiden wurden am Set gute Freunde –, und von Karl May hatte er noch nie gehört. Von seiner Darbietung als »irgendein« Apache, wenn auch mit Häuptlingsfeder, in einem deutschen Western versprach er sich keinen nennenswerten Ruhm.

 

Tatsächlich wurde er praktisch über Nacht zum Publikumsliebling. Sein dramatischer Filmtod in »Winnetou III« brachte Tränen. Und ungeheuren Protest, der bewirkte dass man ihn zügig in »Winnetou und das Halbblut Apanatschi« wieder auferstehen ließ. Um die insgesamt elf Winnetou-Filme in den 1960er-Jahren auf der Leinwand zu sehen, strömte ein Millionenpublikum in die bundesdeutschen Kinos. Als sie dann erstmalig im Fernsehen ausgestrahlt wurden, waren sie Straßenfeger und Wohnzimmer-Highlight für die ganze Familie nebst Nachbarschaft. Und Brice, der noch viel später, 1998, ein letztes Mal erneut den Apachenhäuptling in einem TV-Zweiteiler spielte, lächelte charmant:

 

»Wer einmal Winnetou war, ist auch mit einem Sonnenbrand keine gewöhnliche Rothaut.

 

Ein Apache mit starkem französischen Akzent ging natürlich nicht. Ergo wurde wurde Pierre Brice synchronisiert, überwiegend von Christian Wolff, dem feschen Förster aus Das Forsthaus von Falkenau, auch die deutsche Stimme von Alain Delon und Anthony Perkins. Karl May, stets auf sehr konkrete Vorstellungen alias Erinnerungen bedacht, lieferte die Vorlage:

 

»Winnetous Stimme besaß, wenn er freundlich sprach, einen unvergleichlich ansprechenden, anlockenden gutturalen Timbre, den ich bei keinem andern Menschen gefunden habe und welcher nur mit dem liebevollen, leisen, vor Zärtlichkeit vergehenden Glucksen einer Henne, die ihre Küchlein unter sich versammelt hat, verglichen werden kann; im Zorne hatte sie die Kraft eines Hammers, welcher Eisen zerschlägt, und, wenn er wollte, eine Schärfe, welche wie zersetzende Säure auf den festesten Gegner wirkte.

Denkmal zum Trotze

Mit Winnetou hat Karl May den Indianern als amerikanischem Urvolk, das die lange Schlacht mit den weißen Eroberern um das eigene Land letztendlich verlor, – Geronimo war der letzte große Apachenhäuptling –, sehr wohl (s)ein Denkmal gesetzt, Unkenrufen zum Trotze, da stimme ja so viel nicht.

 

Dieses Denkmal ist keineswegs aus Lügen errichtet, es setzt sich aus reichlich Lektüre, interessierter Recherche und recht viel Phantasie zusammen. Die Geschichte des edlen Kämpfers für Gerechtigkeit und Frieden hat natürlich ein Bild geprägt, das zu perfekt gemalt ist.

Es ist eine recht romantische Darstellung des »Wilden Westens«, und es fehlen oft die dunklen, echten Töne.

 

Aber es bleibt allemal der schöne, starke, großartige Winnetou. Idol einer ganzen Generation mit unantastbarem Kultstatus, geehrt mit zwölf Ottos der Jugendzeitschrift Bravo, die Winnetou gleich in drei (!) Jahren, – 1964, 1967 und 1977 –, als Starschnitt brachte.

 

Und es bleibt die Geschichte, die geschrieben, die verfilmt, die seit Jahren auf der Bühne im sauerländischen Elspe erzählt und gezeigt wird.

 

Die 2016 mit dem ordentlich attraktiven Nik Xhelilaj als Winnetou in dem TV-Dreiteiler Der Mythos lebt ein solides, aber nicht notwendiges Revival erfährt.

 

Es bleibt eine gute Geschichte.Eine, die sagt, wenn ich wahr wäre, könnte man ehrlich beeindruckt damit umgehen. Wenn nicht: Selbstverständlich auch dann.

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Erstellt: 20.04.2020, zuletzt aktualisiert: 28.02.2024 16:07, 18527