Wolfsspur (Autor: Kit Whitfield)
 
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Wolfsspur von Kit Whitfield

Rezension von Carsten Kuhr

 

Stellen sie sich eine Gesellschaft vor, in der weit über 99 Prozent der Menschen Werwölfe sind.

Einmal im Monat, wir alle kennen ja den so romantischen vollen Erdtrabanten, überkommt dann fast die ganze Bevölkerung ein unstillbares Verlangen sich ihren animalischen Instinkten anzuvertrauen, und auf vierbeinige Jagd zu gehen.

Jagd nach Wild, nach Opfern, nach Menschen und anderen Wölfen. Da werden dann oftmals die intelligentesten Exemplare einer Gattung von den stärkeren, brutaleren aber eben auch geistig nicht eben überragenden Alphatieren getötet, ein Aderlass, den sich keine Gesellschaft auf Dauer leisten kann.

 

Über die Jahrhunderte hat man daher allgemeinverbindliche Regeln geschaffen, eine Sperrstunde – Sperrnacht wäre wohl treffender – in der alle Lykantropen sicher hinter Schloss und Riegel sitzen.

 

Doch irgendwer muss die Riegel vorschieben, muss die Einhaltung der Sperrstunde überwachen. Nun, wenn sie zu den 0,4 Prozent Menschen gehören, die mit dem Geburtsfehler geboren werden, und denen kein Pelz wächst, so erübrigt sich die Überlegung, was sie mit ihrem Leben anzufangen beabsichtigen.

Als »Glatthaut« wie die Non-Lykos verunglimpfend genannt werden, ist ihnen die Zwangsrekrutierung zum ASÜLA Beamten – dem Amt für die ständige Überwachung Lycantropischer Aktivitäten - sicher. Sie haben die Wahl zwischen verschiedenen Tätigkeiten, doch in Werwolfnächsten muss jeder raus an die Front, Zuwiderhandlungen unterbinden und schnell und hart abstrafen.

Da alle ASÜLA-Mitglieder Glatthäute sind, werden sie von der Majorität der Bevölkerung verachtet, ja gehasst. Ein notwendiges Übel mit Betonung auf notwenig. Und da ASÜLA ausserhalb der normalen Gesetze handelt, werden sie für ihr Verhalten selten wenn überhaupt zur Rechenschaft gezogen – nicht eben etwas, das zu ihrer grösseren Akzeptanz beiträgt.

 

 

Auftritt für Lola May Galley, eine Glatthaut, die als Pflichtverteidiger den gefangen genommenen Lykantropen zugewiesen wird. Ihr neuester Klient hat ausgerechnet einen Freund und Kollegen von ihr die Hand abgebissen. Eine Autopanne hat verhindert, dass er rechtzeitig einen der Schutzräume aufsuchen konnte – so zumindest seine Version.

 

Doch dann wird der handlose ASÜLA-Beamte hinterrücks von einer Silberkugel erschossen, wie sie nur ASÜLA Beamte benutzen, ein Staranwalt schaltet sich zugunsten ihres Verdächtigen ein, und Lola stösst auf immer mehr Ungereimtheiten, aber auch auf unerwartete Verbündete...

 

 

 

Werwölfe, das ist doch eigentlich ein ausgelutschtes Thema. Da geben die lasziven oder gewalttätigen Vampire und deren Jäger allemal mehr her, wer will schon etwas über zu gross geratene Hunde lesen, die sich über noch warmes menschliches Aas hermachen, so dachte ich zumindest zu Beginn der Lektüre. Hier schien bereits alles erzählt zu sein, da konnte ich kaum wirklich faszinierendes Lesefutter erwarten – so meine vorgefasste Meinung.

 

Ich täuschte mich!

 

 

Der verlagsseitige Waschzettel lobt das Buch als ein Werk, das »den Leser gänzlich gefangen nimmt, und mit aller Kraft in eine andere Welt entführt«.

Nun ist das so eine Sache mit verlagsseitigen Lobpreisungen – schliesslich sollen sie den potentiellen Käufer dazu ermutigen, das Portemonnaie zu zücken, und das Buch zu kaufen.

 

Vorliegend aber muss ich dem Verfasser des Zitats recht geben – selten nur gelingt es einem Autor seine Welt so wahrhaftig zu gestalten und zu portraitieren, wie dies Kit Whitfield in ihrem Debutroman gelungen ist.

 

Das ist eine Realität, wie sie so sein könnte, da wirkt nichts aufgesetzt, nichts künstlich oder unpassend. Die Autorin erreicht dieses Kunststück indem sie uns nichts über ihre Schöpfung wirklich erzählt, sondern uns über das Agieren der Figuren auf und in ihrer Welt diese nach und nach selbst erschliessen lässt. Tröpfchenweise bekommen wir es über das Verhalten unserer Protagonistin eingetrichtert, wie es in ihrer Welt zugeht, mit was für Ressentiments sie zu kämpfen hat, welchen Verleumdungen, welchen Anfeindungen sie ausgesetzt ist. Wie es ist als Glatthaut aufzuwachsen erfahren wir im Verlauf des Buches über die Gespräche und Erinnerungen Lolas mit ihrer Schwester.

 

Überhaupt sind die Dialoge, so alltäglich und damit unwichtig sie zunächst erscheinen das wichtigste Medium über das die Autorin uns Informationen zukommen lässt.

Eingepackt in alltäglichen Bürotratsch, in Flirts und Anwaltsgespräche vermittelt Whitfield uns hier einen überzeugenden Einblick in das Denken und Handeln der Lykantropen und der Non-Lyks in ihrer Welt. Dabei greift sie Themen wie Diskriminierung von Minderheiten und Alleinerziehenden ebenso auf wie den von Vorurteilen geprägten, alltäglichen Rassismus. Im Verlauf der Handlung wird immer deutlicher, dass jede der komplex gezeichneten Personen ihr dunkles Geheimnis verbirgt. Und dieses ist oftmals viel gefährlicher als die im Monatswechsel anstehende Verwandlung und die damit einhergehende Bedrohung.

 

Der Roman beginnt langsam, ohne wirklich weltbewegenden Aufhänger. Doch gerade dieser alltägliche Anfang ermöglicht es der Autorin zunächst unmerklich, dann immer deutlicher ihre Leser zu faszinieren und in die Handlung hineinzuziehen.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404231941218bc16a55
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Wolfsspur

Autor: Kit Whitfield

Broschiert: 480 Seiten

Verlag: Heyne (September 2007)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3453811488

ISBN-13: 978-3453811485

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 16.08.2007, zuletzt aktualisiert: 11.04.2024 08:46, 4692