Zwielicht 2 herausgegeben von Michael Schmidt
Rezension von Ralf Steinberg
Rezension:
Lang ist es her, dass die erste Ausgabe des Horror-Magazins Zwielicht erschien, doch Verlagsprobleme hinderten Herausgeber Michael Schmidt letztlich doch nicht auf Dauer, sein ambitioniertes Projekt fortzusetzen.
Das Magazin in Buchform besteht aus einem großen Teil mit Kurzgeschichten und einen etwas dünneren Teil mit Sachartikeln, darunter auch die Liste zum Horrorpreis Vincent der Jahre 2008 und 2009.
In seinem Vorwort verspricht der Herausgeber dem Leser eine Streuung über die gesamte Breite des Genres und dies löst er auch ein.
Die erste Geschichte stammt von Christian Weis. Mia ist eine klassische Gruselgeschichte, die ihre Stimmung aus bekannten Ängsten zusammensetzt. Da ist die psychisch angeschlagene Ehefrau, die tagsüber allein in einem alten Haus abhängt, in das das kinderlose Paar vor kurzem gezogen ist. Der geheimnisvolle Keller übt eine seltsame Faszination auf Mia aus, sie hört ihren Namen rufen...
Die Geschichte entwickelt sich mit steigender Spannungskurve, obwohl einige Rätsel für den Leser schnell offensichtlich werden, bis der metaphysische Twist mit doch recht unbefriedigenden Lösungen aufwartet. Das Grauen wird mit einer religiösen Note versehen und zerfasert dadurch leider.
Sabine Ludwigs bewies dann auch gleich die Bandbreite des Genres, denn Kaltblütig ist ein Märchen. Die phantastische Note wird durch das Zusammenspiel von sagenhafter Gestalt und der Wahrnehmung eines geistig Behinderten angeschlagen, verklingt aber zu schnell und nicht wirklich originell.
Die folgende Story steht im krassen Widerspruch zum eher lyrisch-besinnlichen Vorgänger. Exit Criteria von Peter Nathschläger ist Hardcore. Ein Junge zahlt den Preis für kindliche Grausamkeit. Der vor Sadismus triefende Plot ist recht schnell ausgetreten und nicht wirklich schlüssig. Vielmehr scheint er nur das Transportmittel für Gore-Szenen zu sein. Ein bisschen Saw, ein bisschen Shining, aber ohne Glaubwürdigkeit.
Auch mit Das Idyll von Martin Clauß wechselt erneut die Gangart. Wesentlich ruhiger, versteckt sich der Horror im Reden über Vergangenes. Der Autor deckt die Karten jedoch allzu schnell auf. Der Leser wird weder vom Rätsel des Ortes noch vom Geheimnis der Tochter überrascht, so vorhersehbar sind beide. Damit verliert die Geschichte leider viel von ihrer sorgsam inszenierten Atmosphäre.
Da ist Antje Ippensen mit ihrer fast Fantasygeschichte Eisig deutlich konsequenter. Zwar passiert hier nicht viel, aber die Eindringlichkeit, mit der hier der Wunsch nach Flucht aus der Realität geschildert wird, trägt zumindest das märchenhafte Ende. Die Autorin hat hier das blutige Skelett einer viel größeren Geschichte hinterlassen.
Die Geschichten von Jakob Schmidt leben oft von Ironie und verstecktem Humor. So auch Im Himmel. Beinahe andächtig schildert er zunächst das harte Brot eines Witwers, der versucht, das Leben mit seiner kleinen Tochter zu meistern. Und schwupps fällt in diese tragische Szenerie eine Körperfresserstory ein und bringt Tod und Zerstörung. Alles sehr fein erzählt und schrullig arrangiert, ohne mit Melancholie an den richtigen Stellen zu geizen.
Wieder mehr in Richtung Schauergeschichte geht N. T. Neumann mit Die Nacht der Kraniche. Protagonist tötet jemanden und muss deshalb die Stelle des Toten ausfüllen. Im Prinzip nichts wesentlich Neues, nur leicht veränderte Variablen.
Ebenfalls blutleer bleibt Magic Potion von Walter Diociaiuti. Der Geschichte merkt man an, dass sie für einen Storywettbewerb zum Thema Kaffee entstand. Die Figuren nehmen keine Kontur an, der geschilderte Lebenslauf wird platt und viel zu klischeebesetzt erzählt, es gibt nicht einmal Ansätze von Grusel oder Aufregung. Ein schwacher Beitrag.
Pechmarie von Markus Niebios gehört in die Richtung Horror, in der das unaufhaltsame Übel mit dem die Hauptfigur geschlagen ist, unaufhaltsam und unendlich ist. Bitterböse, ohne Hoffnung und fast leidenschaftslos erzählt.
Der Herausgeber blieb dem Geschichtenteil seines Magazins nicht fern. In Der Tod ist dir sicher konstruiert Michael Schmidt einen Déjà-vu-Alptraum mit fiesem Doppeltwist. Gewohnt leger geschrieben, nimmt man der gestressten Figur ihre zunehmende Verzweiflung, und die Reaktion darauf ab, dabei entwickelt sich beides nur in den Passagen zwischen den Schleifen.
Die zweite Story mit Insekten kommt von Torsten Scheib, dem Horror-Künstler aus Ludwigshafen. Motten ist ganz großes Kino. Wunderbar verschränkt, mit locker und breit angelegten Figuren, krank in ihren Perversionen und Schicksalen. Der Plot ist eine wahnwitzige Fahrt durch das Grauen, dem man sich kaum lange genug entziehen kann, um Atem zu holen. Voller Genre-Anspielungen und dennoch eigen. Wer Torsten Scheib bisher nicht kannte, dem sei gesagt, dass er hier keine Ausnahmeleistung ablieferte, der Mann schreibt einfach mit die besten Horrorgeschichten in Deutschland.
Ein kleines Zwischenspiel vor dem Höhepunkt des Magazins liefert Lothar Nietsch mit Unsterblich. In ziemlicher Eile schildert er die virulente Ausbreitung einer Metarmorphose. Thematisch nicht neu, bleibt der Autor seiner gebeutelten Figur seltsam fern. Es bleiben viele Fragen offen und man versteht nicht so recht, warum die Geschichte plötzlich abgewürgt wird, ohne tiefer in das Problem der tödlichen Unsterblichkeit und seiner Folgen einzusteigen.
Aber der Leser wird all diese Fragen schnell vergessen, denn dass absolute Highlight dieser Zwielichtausgabe ist Marcus Richters Feuerhaut. Es handelt sich dabei um ein dicht und wortsprühend erzähltes Drama vom gebrannten Kind, dass in sich fortwährend das Brennen des entstellenden Feuers spürt. Marcus Richter belebt Figuren, die widersprüchlich sind, aber in ihren Rollen stark und ausgeprägt agieren. Die Verbindung mit dem unfassbaren Grauen Buchenwalds und dem daraus geborenen Mystizismus des Feuers wird bei ihm nicht zum wiederholten Mahnen vor der Geschichte, sondern zum im wahrsten Sinne des Wortes brennenden Bestandteil. Richter macht es dem Leser nicht leicht, sondern reißt ihn mit sich fort, getragen von leidenschaftlicher Poesie. Eine Erzählung die sich kraftvoll ins Gedächtnis drängt. Ein Meisterwerk.
Wenn man sich nach diesem furiosen Finale etwas Zeit lässt, wartet der Sachartikelteil mit einigen spannenden Themen.
Daniel Neugebauer stellt uns mit viel Hintergrundwissen und Zitaten die klassische TV-Serie Twighlight Zone vor, so dass man am liebsten gleich zum Fernseher rennen möchte.
Ebenso begeistert berichtet Markus Mäurer von seiner Leseerfahrung des Buches House of Leaves von Mark Z. Danielewski, dass ja eigentlich gar keine Empfehlung mehr benötigt, in einem Horrormagazin aber natürlich erwähnt werden muss.
Horror-Sachverständiger Torsten Scheib bricht im Anschluss eine Lanze für Repairman Jack und fordert den Leser zu einer Lesereise auf, quer durch eine gigantische Anzahl von Kurzgeschichten und Romanen. Ein wirklicher ausführlicher Einblick in die Reihe.
Zu guter Letzt stellt Michael Schmidt noch die Listen des Vincent Preises der Jahre 2008 und 2009 vor, ein dokumentarischer Service, der ebenfalls als Leseanregung genommen werden kann (und noch einmal durch das Korrektorat laufen sollte).
Etwas schade ist die Druckqualität der Grafiken. Die textkonsistenten Innenillustrationen von Lothar Bauer sind allesamt zu dunkel, oft fast schwarz, was viele Details mit Druckerschwärze zukleistert. Hier sollte der Verlag unbedingt eine bessere Lösung finden!
Susanne Jaja hat sich in letzter Zeit etwas rar gemacht, umso schöner, dass wir wieder einmal ein Titelbild von ihr bewundern dürfen. Raffiniert arbeitet sie mit Schatten und Licht, die nicht nur in der Schrift wiederzufinden sind, sondern auch aus einem Tausendfüßler die Verlängerung einer Wirbelsäule schaffen.
Fazit:
Michael Schmidt gelang es, in der zweiten Ausgabe des Horrormagazins Zwielicht, eine illustre Runde von Geschichten zu versammeln, die einige Bereiche des Horrors und der dunklen Phantastik abdecken. Ergänzt um informative Artikel lebt der Band auch von den beiden herausragenden Geschichten »Motten« und vor allem »Feuerhaut«.
Möge das Magazin noch lange über deutsche Phantastik berichten!
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