Kolumne: Der Leser – das unbekannte Wesen
 
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Kolumne: Der Leser – das unbekannte Wesen

Autor: Holger M. Pohl

 

Wenn ich so durch die Foren geistere – und ich tue das öfters als man denkt –, dann stoße ich dabei immer wieder auf Threads, in denen sich Autoren darüber beklagen, dass die Leser sich nicht dafür interessieren oder es nicht verstehen, was diese Autoren geschrieben haben. Hin und wieder stimmt ein Verleger in dieses Klagelied ein. Dabei entstehen oft sehr einseitige Diskussionen, in denen man sich gegenseitig in seiner Meinung bestärkt.

Für die Verleger kann ich nicht sprechen, für die Autoren schon und für die Leser ganz sicher.

Insbesondere was die Autorenseite angeht, stellt sich mir manchmal die Frage: Habt ihr darüber nachgedacht, für wen ihr schreibt? Oft gewinne ich den Eindruck, dass das nicht der Fall ist! Autoren stellen hin und wieder Ansprüche an den Leser, die dieser gar nicht erfüllen kann – und vielleicht auch gar nicht erfüllen will. Oder überhaupt gar nicht erfüllen muss! Der Autor hat an den Leser keinen Anspruch zu haben! Anders herum wird ein Schuh draus: der Leser hat jedes Recht, an uns Autoren Ansprüche zu stellen! Es liegt dann an uns, diese Ansprüche zu befriedigen.

Es ist ein unerfüllbarer Traum, all diese Ansprüche befriedigen zu wollen. Manche dieser Ansprüche stehen sich diametral gegenüber. Und das bringt uns wieder zu obiger Frage: Habt ihr darüber nachgedacht, für wen ihr schreibt?

DEN Leser von phantastischer Literatur schlechthin gibt es nämlich nicht. Nur um mal ein Beispiel zu konstruieren: Nehmen wir an es gäbe 100 Leser phantastischer Literatur. Von diesen interessieren sich 10 wirklich extrem für Kurzgeschichten, den restlichen 90 sind diese aber ziemlich gleichgültig. Von den 10 kaufen sich 5 eine neu erschienene Kurzgeschichtenanthologie. Toller Erfolg, oder? 50% der potentiellen Leserschaft von Kurzgeschichten hat das für sie geschriebene Werk gekauft!

Statt sich aber nun zu überlegen, wie man auch die anderen 5 (von 10) möglicherweise mit dem nächsten Sammelband auch noch „erwischen“ kann, wird darüber geklagt, lamentiert, diskutiert, weshalb 90 (von 100) so gar kein Interesse für Kurzgeschichten zeigen. Die 5, die man noch hätte erreichen können, werden über dieses Diskussion leider allzu gerne vergessen.

Dieses Zahlenspiel könnte man für jedes Subgenre der Phantastik aufmachen. Es geht jedoch nicht um konkrete Zahlen, es geht ums Prinzip.

Der Leser – unser Leser – ist zunächst einmal ein unbekanntes Wesen. Wir schreiben für ihn, nicht er liest für uns. Manche seiner Ansprüche kennen wir, andere können wir im Ansatz erahnen. Wenn wir diese Ansprüche nun weitestgehend befriedigen, dann erreichen wir unseren Leser. Und dann, erst dann, können wir – so wir das wollen – auch etwas erreichen mit dem, was wir geschrieben haben.

Das sollte nun keineswegs missverstanden werden. Wir müssen uns nicht darauf beschränken, triviale Mainstream-Literatur zu schreiben. Wir müssen nicht ausschließlich Massenware produzieren. Wir können, dürfen, sollen und müssen auch außergewöhnliche, schwer verdauliche Texte schreiben. Aber: Habt ihr darüber nachgedacht, für wen ihr schreibt?

 

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Ältere Kommentare:

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404261710412fa7e293
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Erstellt: 25.09.2007, zuletzt aktualisiert: 26.06.2022 18:51, 4950