Der Ausreißer von Hideo Azuma
Reihe: Shodoku
Rezension von Christian Endres
Kann man den Untergang eines Menschen so weit vereinfachen und verharmlosen, dass er pure Unterhaltung ist? Andererseits: Braucht es in Zeiten der Castingshows überhaupt noch so etwas wie eine humorvolle Verpackung, damit man sich offiziell an Leid und Schmerz anderer weiden darf?
Zum Glück ist Hideo Azuma zu seinen Lesern gnädiger als der restliche Medienzirkus: Er vereinfacht seine Geschichte vom schnellen Fall und harten Aufprall optisch wie dramaturgisch von Haus aus so sehr, dass sie den Eindruck eines lustigen Mangas niemals ablegt. Wird Azumas Leser die unterschwellige Verzweiflung zu viel, kann er sich in oberflächliche Witzchen und lustige Betrachtungen des Unglücks flüchten. Selbst in den bittersten Momenten blitzt ein Hauch der von Azuma schon auf dem Klappentext propagierten »positiven Weltsicht« durch, die er beim Schreiben und Zeichnen nie aus den Augen verloren hat.
Dabei ist die Geschichte, die er so überzeichnet darstellt, nicht irgendeine Geschichte über irgendeinen glücklosen Tropf, der zwischen Kommerz und Konsum unter geht und sich und sein Leben am Ende im Suff verliert: Die Story, die Azuma erzählt, ist seine eigene. Ja, unter der bizarren Alltags-Schilderung lauert eine stark verzerrte autobiografische Aufarbeitung von Azumas persönlichen dunkelsten Momenten - als er aufgegeben, sein Leben weggeworfen und sich dem Alkohol hingegeben hat, als er einfach nur noch sterben wollte und am Ende war, begleiten wir ihn auf seine Reise ins totgeschwiegene Dunkel unserer Zeit.
Der Druck war Anfang der 1990er zu groß geworden für den japanischen Künstler – Azuma wird zum gesellschaftlichen Aussteiger. Und zum Absteiger und Obdachlosen. Diese seltsame Odyssee schildert der Mangastar und portraitiert dabei den bummeligen, aber dennoch durchplanten Alltag des Obdachlosenlebens mit einer gehörigen Portion Ironie und Komik, bis er den Alltag auf einer Baustelle mit einer scharfen Beobachtungsgabe und erzählerischem Talent veredelt.
Kunst entsteht auf kreativem Nährboden – oder? Doch was, wenn die Muse (wie einst in Neil Gaimans brillanter Sandman-Episode) zum Sexsklaven wird und Manga-Orgasmen am Fließband, im Wochenrhythmus und für verschiedene Verlags-Bordelle liefern soll? Diesen Fragen widmet sich der zweite, noch kritischere Teil des schön aufgemachten Paperbacks. Denn scharf beobachtet hat Azuma auch »seine« Mangaszene, die ebenfalls nicht sonderlich gut wegkommt, wenn der 1950 geborene Japaner Einblick in jene Produktionsmaschinerie gibt, die ihn Stück für Stück in die Verzweiflung und den Alkoholismus getrieben hat (und die für den hiesigen Leser gelegentlich ein bisschen abstrakt rüberkommt, da es an Hintergründen mangelt). Jedenfalls: Der Sucht gehört dann auch das letzte Wort in der Autobiografie, die so endet, wie sie begonnen hat: Mittendrin. Und das ist auch gut so. Ein anderes Bild, vielleicht sogar ein Happy End, hätte nur gestört.
So besteht »Der Ausreißer« letztlich also aus drei Teilen, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und sich dennoch vielfältig ergänzen. Unterm Strich bleibt damit nicht nur ein kluges und witziges autobiografisches Werk mit viel Charme und dem Mut zur Selbstkritik, sondern auch eine faszinierende Erzählung mit ganz eigenen Mechanismen: Viel Text, viel Humor, viel subtile Kritik, viel Lesespaß - viel Substanz.
Ganz stark.