Alarm im Tunnel Transterra (Autor: Michael Szameit)
 
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Alarm im Tunnel Transterra von Michael Szameit

Reihe: Sonnenstein-Trilogie Band 2

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Pyron hat sich gemausert: Aus dem unauffälligen Kadetten ist ein Stellvertretender Unterinspektor der Raumsicherheit geworden. Soeben hat er den Tunnel Transterra – eine der Einflugschneisen ins Sonnensystem – materiefrei gemeldet, da taucht scheinbar aus dem Nichts ein gewaltiger Brocken auf. Tödliche Gefahr für die sechshundert Raumkreuzer der Formation HELIOS, die in wenigen Tagen genau diesen Raumtunnel passieren soll. Rettung könnte der Korenther Magister Spinks bringen. Dessen supermoderner Raumjäger BOXER ist mit zwei mächtigen Plasmageschützen ausgerüstet und würde den Tunnel gerade noch rechtzeitig erreichen.

Als sie sich dem Materiebrocken nähern, überschlagen sich die Ereignisse …

 

Rezension:

Alarm im Tunnel Transterra ist das Romandebüt des am 30.Mai 2014 verstorbenen Autors Michael Szameit. Er selbst ordnete es später als zweiten Band seiner Sonnenstein-Trilogie ein, zu der er In Glanz der Sonne Zaurak und Das Geheimnis der Sonnensteine zählte. Thematisch lassen sich jedoch auch weitere seiner Werke zum selben Universum dazurechnen, so auch Drachenkreuzer Ikaros.

 

Die Science-Fiction in der DDR funktionierte nach etwas anderen Prinzipien als ihr bundesdeutsches Pendant. Das hatte ideologische Gründe, aber auch wirtschaftliche. Durch eine starke Subventionierung gab es selbst für NachwuchsautorInnen ein breites Publikum und heute utopisch erscheinende Auflagenzahlen. Damit verbunden war ein sorgfältiger Editionsprozess, der natürlich die in Diktaturen üblichen Zensurmaßnahmen beinhaltete, vorbeugende wie administrative. Es wurde viel gefeilt.

Karsten Kruschel merkte dazu in seiner Dissertation Spielwelten zwischen Wunschbild und Warnbild – Eutopisches und Dystopisches in der SF-Literatur der DDR in den achtziger Jahren an: »Ausführliche Darstellungen des militaristisch geprägten Korenths wurden vom Verlag aus dem Roman entfernt, weil dem Leser peinliche Parallelen zur DDR-Gesellschaft hätten auffallen können.«

 

Im überschaubaren Chor der DDR SF-AutorInnen erhob sich Szameit bereits mit seinem Debüt als neue und einzigartige Stimme. Allein die Dreistigkeit, mit den Gesellschaftsformen zu spielen, hatten wohl so nur noch die Brauns.

Die vom Verlag angepasste Fassung zeigt das auch noch zur Genüge. Das bereits erwähnte Korenth ist eine Insel und das letzte kapitalistische Land auf Erden. Es überlebt nur durch die Handelsbeziehungen nach außen, ohne dass man dort wirklich etwas aus Korenth bräuchte. Trotz der geringen Größe ist man natürlich sehr selbstbewusst und leistet sich sogar eine eigene Raumfahrt. Solch Denken kannte man der DDR zur Genüge.

 

Als im Einflugtunnel Transterra ein Fremdkörper auftaucht, der schnellstens dort verschwinden muss, damit die 30.000 Menschen der ankommenden Flotte nicht daran zerschellen, ist es ein korenthisches Raumschiff, die Boxer, das als einziges zur Verfügung steht, der Gefahr entgegenzutreten.

Der Kapitän heißt Magister Spinks und ist ein typischer Korenther. Geldgeil, angeberisch und hinterlistig. Sein Navigator hingegen scheint seltsam eingeschränkt zu sein. Inspektor Pyron, der mit an Bord der Boxer geht, lernt schon bald, die ganz anderen Seiten dieser Besatzung kennen. Und noch einiges mehr …

 

Szameit beginnt seinen Roman sofort mit einem Bespiel seiner extravaganten Art, Figuren zu beschreiben. Der Stationsleiter Albert Achternak entfaltet sich vor dem Leser mit einer körperlichen und charakterlichen Fülle, die man so schnell nicht vergisst. Dabei sind es gerade die augenzwinkernd beschriebenen Macken, die ihn nicht nur sympathisch erscheinen lassen, sondern auch seine Autorität unterstreichen. Denkt man zunächst, das eher an Klamauk erinnernde Detail von springenden Hemdknöpfen sei unnötiger Ballast, wird man im weiteren Verlauf der Handlung eines Besseren belehrt.

 

Mitten hinein in diese Beschreibung setzt Szameit auch die Charakterisierung des Ich-Erzählers. Wie überhaupt alle Figuren, außer der einzigen weiblichen, sind sofort positive wie negative Eigenschaften präsent. Keine Figur ist glattgeschmirgelt. Pyron etwa leidet unter seinen vergeblichen Bemühungen, eine dauerhafte Partnerschaft aufzubauen, ohne dass ihm sein Freund Reg die Frau ausspannt. Darüber hinaus reagiert er oft unüberlegt, lässt sich leicht beeinflussen und sieht manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht. Aber gerade seine Neugier treibt ihn dazu, sich dem Korenther anzuschließen, um nicht nur hinter das Geheimnis des Navigators Bob zu kommen, sondern auch endlich einmal etwas über das rückständige Korenth zu lernen. Dabei darf er schnell feststellen, dass seine scheinbar unerschütterliche Gesinnung leichter anzuknacksen ist, als im lieb sein kann.

Im Laufe der Ereignisse muss er dann mit eigenen Fehlern genauso klarkommen wie mit Niederlagen und weitreichenden Veränderungen.

Dabei zieht sich die Handlung zunächst fast Kammerspielartig über wenige Stunden hin. Szameit überbrückt den Anflug zum geheimnisvollen Fremdkörper mit einer sehr witzigen Action-Einlage, in der es Mensch gegen Maschine geht. Alles im technischen Umfeld der frühen 80er. Es wird viel von Hand geschraubt und gelötet, Schaltpläne und Logiken erdacht. Überall gibt es noch deutsche Wörter für die Geräte, der geringe Einfluss englischsprachiger SF ist deutlich zu erkennen.

Maulschlüssel und Ingenieure – kaum zu glauben, wie weit sich heute SF von diesen einst so verlässlichen Bestandteilen der SF entfernt hat.

 

Ein weiterer sehr wichtiger Teil des Romanes ist der Kampf der Systeme. Je tiefer Pyron in die Psyche des Korenthers Spinks eindringt, umso anfälliger wird er für dessen moralische Entscheidungsfindung. In einer hochdramatischen Szene lässt Szameit seinen Protagonaisten dann auch aus reiner Existenzangst nach der Zerstörung des fremden Raumschiffs brüllen und stellt ihn auf die selbe Stufe wie seinen Kontrahenten. Es ist der aufgewertete Synthom Bob, der sich den Ereignissen ohne die kreatürlichen Emotionen stellt und eine Katastrophe verhindert.

 

Wird Bob anfangs als ein eher typisches Opfer von skrupellosen Politikern und Ärzten dargestellt, zeigt sich bald, dass die Synthome inzwischen eine große Macht in Korenth ausüben. Durch ihre Fähigkeiten sind sie an vielen Spitzenpositionen anzutreffen, werden aber wegen ihrer bewusst geförderten Unansehnlichkeit und körperlichen Mängel als schwach und hilflos eingeschätzt. Sogar die Weiterentwicklung der Synthoms zu willenlosen Soldaten wird aus korenthischer Sicht als notwendig angesehen, will man sich doch nicht nur gegen aufsässige Landsleute absichern, man hat auch eine Menge Angst vor dem Rest der Welt. Dabei behandelt man sie wie Sklaven, pfercht sie in Ghettos ein und beschneidet ihre Rechte. Der aus den Worten synthetisch und Homo gebildete Kunstname Synthom wird somit zum Symptom einer archaischen Gesellschaft.

Pyron, der sich zunächst spontan aus Solidarität auf Bobs Seite stellt, gerät schon bald in die inneren Konflikte Korenths und seine Positionierung ist alles andere als eine einfache Gut-Böse Entscheidung, zumal er auf Spinks genauso angewiesen ist, wie auf Bob.

Dabei muss Pyron auch erkennen, dass die Beziehung von Spinks und Bob mehr ist, als die zwischen Herren und Sklaven. Eingebunden in ihren Kontext sind sie mehr aufeinander angewiesen, als zumindest Spinks selbst klar ist. Durch Pyron lernt auch Magister Spinks etwas hinzu, das er nicht erwartet hätte.

 

Selbst mit dem Ende liefert Szameit eine gehörige Portion Ambivalenz. Der für seine fast tragisch endende Suchaktion gescholtene Stationsleiter Achternak wird ziemlich rabiat abserviert. Nicht nur für den Leser eine schreiende Ungerechtigkeit, die so stark nach Willkür riecht, dass es als Wirklichkeitszitat schon wieder mehr als überdeutlich ist. Das lichte Morgen hat eine Menge Schatten zu bieten.

 

Trotzdem ist »Alarm im Tunnel Transterra« in erster Linie eine positive Utopie. Der explizit in den Vordergrund gestellte friedliche Kontakt zu Außerirdischen als einzig vernünftige Möglichkeit wird durch die tragischen Aktionen der Aliens noch untermauert. Fast hätten sie durch ihre Rücksichtnahme ihre eigene Auslöschung riskiert. Auch die Fremden stellen sich als friedliche Weltraumforscher heraus, nicht Expansion ist das große Ziel, sondern Wissen.

Humanistischen Ideale, die Szameits Romane prägten. Befürchtungen, der Autor könnte sich dem allgemeinen Lob des Kommunismus anschließen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als unbegründet. Dazu ist Szameit viel zu hintersinnig, stets zeigt er auch die Schwächen seiner Zukunftsgesellschaft, mit einem Augenzwinkern natürlich.

 

Wichtig war ihm auch eine exotische Gestaltung der Aliens. Sie unterschieden sich selbst im Raumschiffsdesign stark von den Menschen. Aber auch ihr Aussehen, quallenartige Wesen und ihre Symbiose mit den Sonnensteinen, stellen zumindest für die DDR-SF eine Abwechslung dar, wohl nur noch übertroffen von Rainer Fuhrmann in Planet der Sirenen und von Szameit selbst in seiner Erzählung Planet der Windharfen, der definitiv besten SF-Kurzgeschichte aus der DDR.

 

Unbedingt erwähnen muss man die Zeichnungen von Karl Fischer, die eine eigene Faszination entfachen und untrennbar mit jenen Jahren der DDR-SF verbunden sind.

 

Fazit:

Was für ein beeindruckendes Debüt legte Michael Szameit 1982 mit »Alarm im Tunnel Transterra«hin! Kraftvolle und vielschichtige Figuren, eine spannungsgeladene und dramatische Handlung, deren komplexe psychologischen und gesellschaftlichen Hintergründe nie den Lesefluss stören oder Langeweile aufkommen lassen, dabei aber umso mehr zum Hinterfragen anregen.

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Buch:

Alarm im Tunnel Transterra

Reihe: Sonnenstein-Trilogie Band 2

Autor: Michael Szameit

Neues Leben Berlin, 1982

Hardcover, 279 Seiten

Cover und Illustrationen: Karl Fischer

 

ASIN: B00F8P8W8O

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00557TU2W

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

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Erstellt: 11.08.2014, zuletzt aktualisiert: 24.11.2023 15:44, 13646