American Mary (BR; Horror; FSK 18)
 
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American Mary (BR; Horror; FSK 18)

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Mit dem Studieren ist es so eine Sache: Bist du nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren, weil dein Papi wahlweise Chirurg, Anwalt oder Politiker ist, dürften die Chancen ganz schlecht stehen, nach hoffentlich erfolgreicher Beendigung bzw. Magister schwarze Zahlen auf dem persönlichen Konto zu finden. Nicht mal zweistellige. Oder anders ausgedrückt – der Student ist im Grunde immer klamm, sofern er nicht bereit ist, den einen und/oder anderen Nebenerwerb in Betracht zu ziehen. Beispielsweise im Bewirtungsgewerbe. Der Einzelhandel freut sich auch immer über preisgünstigen Nachschub. Aber genau hier liegt der Casus Knaxus: Preisgünstig. Billig. Viel Maloche, wenig Geld. ZU wenig, um ein Studium finanzieren zu können. Von Beiläufigkeiten wie Miete, Nahrung, Kleidung und meinetwegen der eigenen Schrottkarre aus dritter Hand ganz zu schweigen. Hm, was machen? Nun ja, wer sich ein bisschen durch die virtuellen Endloswelten des Internets arbeitet, dürfte bestimmt fündig werden. Wie wäre es zum Beispiel … als Proband für eine neue Medizin? Kein gutes Exempel. Feuerkind, schon klar. Hmm – dann vielleicht etwas weniger gefährliches? Exotische Tänzerin vielleicht?

Für Mary Mason (Katherine Isabelle), gleichsam vielversprechende angehende Chirurgin und hungernde, da monetär ziemlich abgehalfterte Studentin, klingt das nach relativ leicht verdientem Geld. Die dafür erforderlichen physischen Attribute hat sie und was die merkwürdige Klientel in der Strip Bar oder den schmierigen Besitzer des Ladens, Billy Barker (Antonio Cupo) betrifft – Schwamm drüber. Dafür stimmt die Kohle.

Sie tut sogar noch mehr als das, nachdem Billy Marys Talente mit Nadel und Faden benötigt. Das dazugehörige Objekt liegt im Keller des Ladens; blutüberströmt, aufs Übelste zugerichtet. Aber weil Billy den Knaben benötigt, braucht er auch Mary – sofern sie einwilligt. Das heißt, eigentlich stellt Billy keine Frage. Das derb zugerichtete und wimmernde Stück Fleisch, die beiden Affen in der Ecke und nicht zuletzt Billy höchstselbst … hier wird nicht gefragt – sondern gefordert. Mit plumpen Mitteln bewaffnet und noch dazu in Stöckelschuhen, Strapsen und überaus figurbetontem Korsett, macht sich Mary ans Werk – und hat Erfolg. Patient X überlebt und ihre Briefbörse darf sich über satten Zuwachs freuen: 5.000 Dollar. Doch der eigentliche Preis, den Mary im Gegenzug zahlen muss, ist im Grunde mit Geld kaum bis überhaupt nicht aufzuwiegen: die Erniedrigung, nichts anderes als ein Objekt zu sein. Den Eintritt in eine Welt aus Gewalt und Unmenschlichkeit. Wer kann es Mary übel nehmen, dass sie daraufhin zitternd und mit einem Baseballknüppel bewaffnet die nächsten Nächte in ihrem Apartment verbringt?

Bis sich unvermittelt die Fiepsstimme einer gewissen Beatress (Tristan Risk) am anderen Ende der Leitung meldet, um gleichfalls Marys Dienste in Anspruch zu nehmen; abermals mit einem üppigen Honorar als Gegenleistung. Das Beatress ausschaut wie Betty Boop und die Freundin in chirurgischen »Nöten« jeder Barbiepuppe Konkurrenz machen kann … zunächst fühlt es sich eigenartig an, ja sogar absolut widerlich – aber schließlich stimmt die Kasse, sie lernt gleichermaßen dazu wie sie abhärtet und dieses Völkchen, das sosehr auf diese ungemein speziellen Körpermodifikationen steht? Sind eigentlich keine üblen Zeitgenossen.

Kurz danach: Mary verrichtet ihr Praktikum im lokalen Hospital – und man muss ihr zweifellos eingestehen, dass sie fraglos eine ziemliche Ecke kaltschnäuziger geworden ist (auch wenn es Mary selbst gar nicht wahrnimmt). Aus der introvertierten, ruhigen und durchaus auch etwas naiven Person ist eine gefestigte, zielstrebige Persönlichkeit geworden, was auch der zumeist männlichen Ärzteschaft nicht entgangen ist. Die Einladung, mit den versierten und zumeist auch bedeutend älteren Kollegen in stilvollem Ambiente ein paar gepflegte Drinks zu schlürfen, etwas Small Talk zu betreiben und hie und da auch mal einen unverbrämten Flirtangriff zu starten, klingt demzufolge auch gar nicht mal so übel. Generell gibt es gegen all das auch rein gar nichts einzuwenden, jedoch macht Mary einen verhängnisvollen Fehler, indem sie mit ihrem ungemein attraktiven Äußeren – zweifellos eine Reflexion ihres erstarkten Selbstbewusstseins – jene Ärzte und selbst ihren Uni-Professor (David Lovgren) dazu anstachelt, nicht minder unverbrämt ihre wahren, dunklen, abstoßenden Seiten zu offenbaren.

Großer Fehler – und zugleich, trotz aller Traumata, ein Erlebnis, welches bei Mary einen Schalter umlegt; eine geradezu kathartische Wirkung erzielt. Denn fortan lernt sie zu begreifen – die wahren Freaks, die echten Perversen, die wirklich Irren, die findet sie nicht innerhalb ihrer wachsenden Kundschaft von Body Modification-Jüngern, völlig gleich, wie bizarr deren Wünsche und Sehnsüchte auch sein mögen. Denn trotz allem begegnet ihr diese Klientel mit Respekt, Aufrichtigkeit und sogar Bewunderung. Sogar ein im Grunde mieses Schwein wie Billy wird plötzlich auf eigentümliche Art und Weise zu einer Art Freund. Nein, das wahre Übel lauert in der vermeintlich gehobenen, distinguierten, »besseren« Gesellschaft – und ebendort, an ebenjenen will, nein, MUSS Mary ihre Rache, ihre Vergeltung ausüben; ohne zu merken, auf welch dünnem Eis sie sich bewegt, wie sehr sie immer mehr und mehr kälter wird und gegenüber der »normalen« Gesellschaft abstumpft …

 

»Ambivalent« dürfte eine gute Beschreibung für eine Perle wie American Mary sein. Was die beiden Regisseurinnen, Jen und Sylvia Soska (deren Kurzauftritte im Film absolut kultverdächtig sind und förmlich nach einem Spinoff schreien) hier gefilmt und geschrieben haben, ist gleichermaßen clever wie grausam, ebenso Horror wie düsterer Thriller mitsamt gesellschaftskritischen Andeutungen und jeder Menge rabenschwarzem Humor. Leicht schizophren, aber trotzdem geradlinig.

Vor allem aber ist es eine kluge Zelebrierung an die starke, unabhängige Frau – sofern besagtes Individuum nicht vollständig den Anschluss an die geistige Gesundheit verliert (wie es in Mary Mary Masons Fall schleichend geschieht). Neben den Soska Sisters, deren Handschrift in »American Mary deutlich auszumachen ist, ist es aber vor allem die atemberaubende Qualität von Hauptdarstellerin Katherine Isabelle, die hier eine wahre Galavorstellung abliefert. Erwähnte ich die Kanadierin schon unlängst positiv in meiner Besprechung für 13 Eerie, so schippt 32jährige in »American Mary« noch ein paar Schaufeln mehr ins Feuer. Gut möglich, dass man hier von ihrer besten Darstellung reden darf (hoffentlich nur bislang). Trotz der Tatsache, dass sie zweifellos in den Kreis der Scream Queens gehört und weiterhin ihre Wurzeln im (Indie-)Horror besitzt, wäre es vollkommen falsch, sie lediglich auf viel blanke Haut, noch mehr Vakuum zwischen den Schläfen und markerschütternde Schreie zu reduzieren.

Weniger ist manchmal mehr und eben darum mitunter wirkungsvoller als plumpe Haudrauf-Mentalität. Isabelle verkörpert diesen Weg, bei ihr genügen leise Töne, eine Bewegung oder einfach nur ein Blick um in die Seele ihres Alter Egos blicken zu können. Diese relative Subtilität – die niemals durch irgendwelche Formen des erzählerischen Leerlaufs ausgebremst wird – wird auch von den beiden Regisseurinnen sehr gekonnt ausgeführt. Man staunt über das handwerkliche Geschick der beiden, etwa bei langen, ungemein eleganten Kamerafahrten, den Licht- und Farbpaletten, welche die Atmosphäre stets perfekt ergänzen oder sogar noch verbessern oder der klugen Entscheidung, »American Mary« niemals zur grobschlächtigen Metzgerplatte verkommen zu lassen. Und dennoch werden sich geneigte Zuschauer an die Härte, die Brutalität erinnern, welche der amerikanischen blutigen Mary innewohnt. Warum? Ganz einfach: Kopfkino. Und dafür braucht es manchmal nur ein blitzendes Skalpell oder irgendwelche blutigen Segmente oder Gazestreifen. Den Rest erledigt dann der Verstand. Ganz ähnlich hat es übrigens auch Brian de Palma gemacht, als er seinen Scarface gedreht hat.

Was nicht heißen soll, dass ausschließlich das Subtile bei »American Mary« Oberwasser hat. Wenn es aber heftig wird, dann erst fast auf den letzten Drücker, damit man auch genug Zeit hat, sich die möglichen Garstigkeiten auszumalen. Ein cleverer Kniff, der die Spannung gehörig steigert und sich ein Teil der Konkurrenz durchaus mal zum Vorbild nehmen darf. Auch das thematische Umfeld – Body Modification – wurde keineswegs sinnlos verwendet und ausschließlich zu Schauwerten degradiert, sondern akzentuiert und mithilfe von echten Mitgliedern besagter Gesellschaft ein weiteres Thema des Films: die innere Schönheit, das Missverstehen der äußeren Erscheinung. Das Erschaffen von persönlicher Anmut – fernab von den sterilen Schönheitskliniken und Plastikkörpern der Reichen und, nun ja, »Schönen«. Das sich da eine Assoziation mit dem Altmeister des tragisch-brutalen Bodyhorrors, David Cronenberg, nicht vermeiden lässt, ist weniger bedauerlich, vielmehr sogar noch ein weiterer Pluspunkt. Was unterm Strich bleibt, ist gewiss eine der besten, weil intelligentesten Genreproduktionen seit langer Zeit, die nicht nur Freunde des eleganten, aber keineswegs mit Weichzeichner gefilmten Horrors zu begeistern weiß.

 

Fazit:

Abseits vom Glanz und Glamour und der belanglosen Austauschbarkeit ähnlicher Hollywood-Elaborate ist den beiden Geschwistern Jen und Sylvia Soska ein kleines Meisterwerk gelungen; eine Genre-Perle, die gewiss schon sehr bald absoluten und berechtigten Kultstatus besitzen wird – wie auch Katherine Isabelle als titelgebende Mary, die damit ohne Wenn und Aber einen ikonenhaften Charakter kreiert hat, der den Vergleich mit Sissy Spaceks Carrie (1976) oder Angela Bettis’ May (2002) nicht zu scheuen braucht. »American Mary« ist tragisch, ungeschönt, bisweilen brutal, schwarzhumorig, nachdenklich – und wunderbar kurzweilig. Großes (kleines) Kino eben.

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BR:

American Mary

Originaltitel: American Mary, 2012

Regie: Jen und Sylvia Soska

Format: Widescreen

Sprache: Deutsch (DTS 5.1 Surround), Englisch (DTS-HD 5.1)

Untertitel: Deutsch, Englisch

Region: Region B/2

Bildseitenformat: 16:9 - 2.40:1

Umfang: 1 BR

FSK: 18

Universal Pictures, 28. März 2013

Spieldauer: 102 Minuten

 

ASIN (Blu Ray): B00A1JLAS6

ASIN (DVD): B00A1JLAVI

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Darsteller:

Katharine Isabelle

Antonio Cupo

Tristan Risk

David Lovgren

Paula Lindberg

Clay St. Thomas

John Emmet Tracy

Twan Holliday

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240510231035f5b85c37
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Erstellt: 10.08.2014, zuletzt aktualisiert: 10.09.2023 10:58, 13642