An den Grenzen der Zeit (Autor: David I. Masson)
 
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An den Grenzen der Zeit von David I. Masson

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

In seinem Essay Reductio ad absurdum, das gerade erst neu im gleichnamigen Sammelband bei Dieter von Reeken aufgelegt wurde, untersucht Michael K. Iwoleit das Besondere an der Beschäftigung mit dem Thema Zeit, das Science-Fiction-Storys auszeichnet und seiner Meinung nach von David I. Masson meisterlich behandelt wurde.

Im weiteren geht er auf die einzelnen Geschichten der Sammlung The Caltraps of Time von 1968 ein, die in der deutschen Übersetzung von Horst Pukallus auf deutsch 1984 bei Ullstein erschienen.

 

In der Tat ist es spannend, die Iwoleitsche Interpretation der Texte während der Lektüre im Hinterkopf zu haben. Eine Spoiler-Gefahr besteht nicht wirklich, da Masson seine Geschichten nicht auf einen Gag oder spektakulären Plot-Twist hin schrieb. Die Untersuchung verschiedener Zeitprobleme und Irritationen stehen im Vordergrund.

 

Die Auftakt-Story Verlorener Boden besteht aus zwei Ideen-Teilen. Zum einen gibt es das Gefühlswetter. Ähnlich klimatischen Einflüssen wie Regen, Temperatur- und Luftdruckschwankungen unterliegt die Umgebung Gefühlsänderungen. So wird man von Kummer oder Melancholie betroffen und muss medizinisch dagegen ankämpfen. Da bricht in das traute Familienleben von Miriel und Roydon der tragische Tod ihres Sohnes. Kummer und Schmerz führen zu einer Reise in einen fremden Teil des Landes. Miriell nimmt die Drogen gegen die Gefühlsschwankungen des Wetters nicht mehr und Roydon hofft irgendwie, durch gezielte Spaziergänge in Kummerzonen, die Trauerarbeit erleichtern zu können. Doch da verschwindet Miriel vor seinen Augen in einem Zeitloch und es beginnt ein zweiter Teil, der ganz dem komplexen Wandern in der Zeit gewidmet ist.

 

Laut Iwoleit steht die Anpassung der Menschheit an feindliche Bedingungen und ihre Gleichgültigkeit ihnen gegenüber im Zentrum der Geschichte.

Es ist aber auch eine Parabel über die Bedeutung von Gefühlen. Sie lenken unser Handeln und sind beständiger als die Zeit, ganz besonders aber die Liebe und der Schmerz durch Verlust.

 

In Weniger sicher untersucht Masson die Probleme von sprachlicher Verständigung mit Aliens. Tatsächlich ist die Story eher eine linguistische Studie, denn eine Geschichte. Inhaltlich passiert nicht viel, die Erläuterungen der phonetischen Irrtümer bestimmen den Text. Das liest sich gut und ist auch hochgradig interessant, aber eben auch nichts Neues mehr.

 

Auch Schlund der Hölle ist eine eher konventionelle Story, in der es um die Entdeckung einer gefährlichen Kraft geht, die Menschen verrückt werden lässt, je tiefer sie in eine unerforschte Region eindringen, eben jenen Schlund der Hölle.

Die Überwindung kostet Opfer, aber letztlich bringt die Zeit, wie immer, die Eroberung selbst der Unwirtlichsten Gegenden mit sich.

 

Hausfreund von vorgestern könnte zu den bekannten Geschichten Massons gehören. Das Zeitreiseabenteuer bringt einen Engländer des Jahres 1683 in die Gegenwart. Das Besondere ist, dass hier der Renaissance-Mensch in seiner eigenen Sprache seine Eindrücke und Erlebnisse schildert. Ein großes Lob an Horst Pukallus, dessen Übersetzerfähigkeiten hier in doppelter Hinsicht gefragt waren. Darüber hinaus bietet die Story Gelegenheit für einige Spitzen und kritische Bemerkungen über unserer modernen Zivilisation und damit heute eine hochgradig interessante Reflexion der britischen Gesellschaft in den Sechzigern.

 

Die verwirrendste Geschichte der Sammlung ist Die unendliche Wahl. Ein Physiker gerät durch einen technischen Unfall in die Zukunft und hilft dort, das Problem der Überbevölkerung dadurch zu lösen, dass man sie in ein Paralleluniversum auswandern lässt. Doch dort hatte man dieselbe Idee.

Die Geschichte ist gerade im ersten Teil ungeheuer kompliziert erzählt und schwer verständlich. Das liegt vor allem auch daran, dass Masson stark mit zukünftiger Sprache experimentiert und wir teilweise auf die Übersetzungen des Protagonisten zurückgreifen müssen. Am Ende gehen Raum und Zeit irgendwie mit der Menschheit zugrunde nur um sich dann als Komatraum herauszustellen.

 

Mit der Interpretation von Psychosmosis hat Iwoleit in seinem Essay Mühe.

In einem archaisch lebenden Dorf verschwinden Menschen, wenn sie den Namen eines toten Familienmitglieds aussprechen. Aus Angst vor diesem Verschwinden gibt es rituelle Umbenennungszeremonien und massive Probleme mit der Trauer. Allerdings erleichtert es auch den Selbstmord.

Einen davon verfolgen wir und landen auf der anderen Seite. Eine Parallelwelt, in der sich die Verschwunden wiederfinden, aber letztlich dasselbe Leben führen.

Iwoleit vermutet dahinter den Versuch, »[…], den Blick des Lesers auf entsprechende Tabus der modernen Welt zu lenken, deren Massenvernichtungstechnik dem Phänomen Tod eine neue Bedeutung gegeben hat, […]«.

Keine sonderlich naheliegende Betrachtung. Eher lässt sich ein psychologischer Aspekt vermuten, etwa die Bedeutung eines normalen Umgangs mit dem Tod und der Ahnen für eine funktionierende Gesellschaft. Mit der Tabuisierung des offenen Gedenkens an die Toten wird auch die Geschichte nivelliert, was den Tod viel schrecklicher werden lässt. Aber egal wie, eine klare Aussage über die reine und gänzlich areligiöse Weltenwechsel-Idee, ist dem Text nicht zu entnehmen. Sie bleibt dadurch tatsächlich etwas schwebend.

 

Die wohl beeindruckendste Geschichte bildet das Schlusslicht: An der Zeitfront. Iwoleit beschreibt sie so: »Massons bekannteste und vielleicht wichtigste Geschichte, ist auf den ersten Blick eine Parabel über den Wahnsinns des Krieges, die sich bei näherem Hinsehen als eine pessimistische Deutung der menschlichen Existenz schlechthin erweist.«

In der Tat führt uns die Geschichte von einem apokalyptischen Krieg zunächst in eine beschauliche Idylle. Von der Front eines gnadenlosen Zeitkrieges abgezogen, fährt der Protagonist tief ins Heimatland und gerät dabei immer weiter in Zeitzonen, deren Zeit deutlich langsamer verläuft. So gründet er fernab des Krieges eine Familie, um Jahrzehnte später überraschend zurückbeordert zu werden. Er landet die Zeitgradienten hinauf in immer schnellere Zeitabläufe und nur wenige Minuten nach seiner Ablösung wieder in dem mörderischen Konflikt mit einem unbekannten Gegner, der man vielleicht sogar selbst ist – wer kennt sich schon mit den Bedingungen eines Zeitkrieges aus?

Masson nutzt nur wenige stilistische Tricks, um die Veränderungen im Ablauf der Zeit darzustellen. Trotzdem ergibt sich die Problematik scheinbar von selbst. Nicht nur die Ideen beeindrucken an der Geschichte, sondern vor allem die Effektivität des Erzählens. Damit gelingt Masson eine wesentlich spürbare Verstörung, eine Steigerung des Grauens und des Unbehagens, das man gegenüber dem fatalistischen Ende empfindet. Eine Geschichte, die man so schnell nicht wieder vergisst und die gesamte Sammlung überragt.

 

Fazit:

Mit den Sammelband »An den Grenzen der Zeit« legte David I. Masson eine hochklassige Reihe von Kurzgeschichten vor, die mit sprachlicher Finesse und vor allem ausgefeilten Ideen einem der primären SF-Themen, der Zeit, eine Tiefgründigkeit abgewinnen, die sich in dieser Konzentration nur schwer ein zweites Mal finden lässt.

 

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Buch:

An den Grenzen der Zeit

Original: The Caltraps of Time, 1968

Autor: David I. Masson

Übersetzer: Horst Pukallus

Taschenbuch: 172 Seiten

Ullstein, Mai 1984

Vorwort: Harri Harrison

 

ISBN-10: 354831077X

ISBN-13: 978-3548310770

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Verlorener Boden

  • Weniger sicher

  • Schlund der Hölle

  • Hausfreund von vorgestern

  • Die unendliche Wahl

  • Psychosmosis

  • An der Zeitfront

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426072609d66f193c
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Erstellt: 09.11.2015, zuletzt aktualisiert: 24.11.2023 15:44, 14166